Horst Hrubesch wird Trainer beim HSV:Held aus der Vergangenheit

Lesezeit: 3 min

Horst Hrubesch, hier mit Spieler Toni Leistner, übernimmt den HSV. (Foto: Martin Rose/Getty Images)

Der notorisch chaotische Traditionsklub entlässt nach einer Negativserie Trainer Daniel Thioune. Für drei Spiele übernimmt nun Horst Hrubesch - er soll für eine letzte Mobilisation der Kräfte sorgen.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Daniel Thioune, 46, hatte schon früh verstanden, was unerlässlich ist für einen Trainer des Hamburger SV, was dieser so fragile wie traditionsbeladene Klub benötigen würde: Resistenz. Vom ersten Tag an wurde das zum Leitmotiv seines Tun und Schaffens, eine Art Mantra, eine Lösungsformel für nahezu jedes Problem im harten Zweitliga-Alltag. Die robuste Spielweise der Gegner? Es gelte "resistent" zu bleiben, erklärte Thioune in Presserunden und vor den Fernsehkameras, immer und immer wieder. Der Druck, aufsteigen zu müssen? Die unkalkulierbare Wucht des Umfelds? Resistent bleiben.

Hamburger SV
:Horst Hrubesch übernimmt beim HSV

Im Aufstiegsrennen stellt der Klub Trainer Daniel Thioune frei - und vertraut den Job nun einer Vereinslegende an.

In der Theorie klang das einleuchtend, aber der HSV bleibt nun mal eine Zermürbungsmaschinerie, die bisher noch jeden Trainer und jedes noch so hehre Ansinnen durch ihre Mühlen gedreht hat. Auch Thioune konnte die Metamorphose des HSV nicht aufhalten, die Verzwergung eines früheren Giganten. Aus dem einst unabsteigbaren Bundesliga-Urgestein ist offenbar ein unaufsteigbarer Zweitligist geworden, im dritten Jahr in Serie schon.

"Wir müssen alles daransetzen, den Mist, den wir verbockt haben, wieder geradezurücken", so Hrubesch

Am Montag teilte der Verein mit, dass Thioune von seinen Aufgaben freigestellt wurde, drei Spieltage vor Ende der Saison. Übernehmen wird interimsweise Horst Hrubesch, 70, Held aus der Vergangenheit, einstiger Meisterstürmer und Europapokalsieger. Sein Fußabdruck ist vor dem Volkspark verewigt, als bronzene Reminiszenz an bessere Zeiten. Jetzt soll er retten, was vermutlich nicht mehr zu retten ist.

Oder, wie Hrubesch in einem Interview auf der Internetseite des Klubs zitiert wurde: "Wir müssen alles daransetzen, den Mist, den wir verbockt haben, wieder geradezurücken."

Man kann sich nicht sicher sein, ob Hrubesch nur die vergangenen Wochen oder gleich die zurückliegende Dekade des HSV gemeint hat. Aber im Grunde ist das auch egal, das Drama ist Jahr für Jahr dasselbe, es unterscheidet sich höchstens in Nuancen. Umso mehr, seit der Klub vor drei Jahren den Gang in die Zweitklassigkeit antreten musste: Der HSV war auch in der Saison wieder stark in die Saison gestartet, die Fans und das Umfeld waren euphorisiert, die Buchhalter hatten bereits den klaren Aufstiegsfavoriten auserkoren.

Hrubesch bei der ersten Trainingseinheit am Montag. (Foto: Martin Rose/Getty Images)

Thioune, der im Sommer vom VfL Osnabrück gekommen war, ist ein blendender Rhetoriker, er schien das fragile Gebilde allein durch seine Aura stabilisieren zu können. Von ihm hatte man sich beim HSV auch Inspiration erhofft, einen Neuanfang mit der Perspektive auf ein langjähriges Engagement in der Hansestadt. Thioune war gewissermaßen ein ungedeckter Scheck auf eine Zukunft der unerfüllten Wünsche. Ein junger Trainer, der eine Mannschaft mit jungen und hungrigen Spielern formen sollte, ohne dabei die Herausforderungen der Gegenwart aus dem Blick zu verlieren. Und das Gegenmodell zu seinem Vorgänger auf der Trainerbank, dem erfahrenen Dieter Hecking, der in der Vorsaison bisweilen wirkte, als würde er das Scheitern recht unbewegt zur Kenntnis nehmen.

Aber auch Thioune konnte den obligatorischen Einbruch im Frühjahr nicht verhindern. Beim HSV offenbart sich mal wieder eine Bilanz des Grauens: nur drei Siege aus den vergangenen 14 Spielen, darunter auch unerklärliche Pleiten wie neulich gegen Sandhausen, das erst wenige Tage zuvor aus einer zweiwöchigen Quarantäne entlassen worden war. Der HSV, aktuell noch Tabellendritter, ist in der Rückrunde eines der schwächsten Teams der gesamten zweiten Liga. Rechnerisch ist der Aufstieg noch möglich, allerdings braucht es dafür kräftiges Zutun der Konkurrenz, die mitunter noch einige Nachholspiele bestreiten darf.

Sportvorstand Jonas Boldt lotste Hrubesch zurück zum HSV

Für eine letzte Mobilisation der Kräfte soll nun also Hrubesch sorgen, der selbst gar nicht dabei war in der virtuellen Pressekonferenz, die am Montagnachmittag anlässlich des Trainerwechsels anberaumt worden war. Auf dem Podium saß nur Jonas Boldt, der Sportvorstand des HSV. Und das könnte auch erst mal so bleiben, so ließen sich seine Erläuterungen jedenfalls auch verstehen. Der Platz von Hrubesch sei "in der Kabine", sagte Boldt: die Kommunikation mit der Öffentlichkeit übernehme er fortan gerne selbst.

Und dann dozierte der Sportvorstand auch ausgiebig über das Für und Wider der Entscheidung, sich drei Spieltage vor Schluss von einem Trainer zu trennen, der die Mannschaft offenbar seit einigen Wochen nicht mehr erreicht hatte. "Wir haben die Gefahr gesehen, dass die Saison austrudelt und wir dadurch noch mehr kaputt machen", sagte Boldt, der auch eine "wachsende Distanz" zwischen Thioune und seinem Team wahrgenommen habe.

Im vergangenen Jahr war es Boldt höchstselbst, der in sein Auto stieg und Hrubesch daheim in Boostedt besuchte, um ihn nach einigen Jahren in verschiedenen Funktionen beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) von einer Rückkehr zum HSV zu überzeugen. Hrubesch wurde Nachwuchsdirektor, ihn reizte die Aussicht, an alter Wirkungsstätte etwas Nachhaltiges aufzubauen.

Nun habe ein Blickkontakt ausgereicht, so Boldt, um Hrubesch für ein Intermezzo zu gewinnen, das am letzten Spieltag dieser Saison auf jeden Fall enden wird. Das einstige "Kopfballungeheuer" wird dann auf eigenen Wunsch wieder ins zweite Glied rücken. Als der dann erste Aufstiegstrainer in der Geschichte des HSV? "Wir sind realistisch und wissen, dass es schwer wird", sagte Boldt, "aber wir werden alles dafür tun. Und das ist genau das, was Horst versprüht."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusJulian Nagelsmann
:Sternzeichen Löwe

Zuletzt kamen Münchens prägende Trainer aus Mönchengladbach, Lörrach, Santpedor oder Amsterdam. Julian Nagelsmann ist der erste oberbayerische Bayern-Coach seit Franz Beckenbauer. Eine Spurensuche.

Von Javier Cáceres, Sebastian Fischer, Thomas Hürner und Christof Kneer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: