Süddeutsche Zeitung

Pleite in der Relegation gegen Hertha:Mies gelaufen für den HSV

In Hamburg ist die Niedergeschlagenheit nach dem erneuten Nichtaufstieg groß. Trotzdem glauben manche auch an einen "Reifeprozess" im Klub - und für die Rückkehr in Liga eins gibt es bereits Ideen.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Es war alles ein bisschen anders als in all den Jahren, in denen eine Saison nicht gut ausgegangen war für den Hamburger SV. Die Fans waren traurig, manche waren sogar so untröstlich, dass es sehr lange Zeit brauchen wird, bis ihre gebrochenen Herzen wieder den normalen Betriebsrhythmus aufnehmen. Aber es flogen keine Pyrofackeln auf den Rasen, wie beim Abstieg vor vier Jahren. Auch die Reiterstaffeln wurden nicht gebraucht, weil die wenigen HSV-Anhänger, die nach dem Schlusspfiff auf den Rasen drängten, nach freundlichen Bitten des Ordnungspersonals den Rückwärtsgang einlegten.

Nein, es war am Montagabend eher das Gegenteil davon der Fall, kurz nachdem der HSV in der Relegation 0:2 gegen Hertha BSC verloren hatte. Es war viel Enttäuschung, aber kein bisschen Defätismus zu spüren, als die Spieler nach dem Schlusspfiff vor die Nordkurve im Hamburger Volkspark traten. Sie hatten sogar eine dicke Polizeikette durchbrochen, um mit ihren Fans die Saison rituell abzuschließen.

Die ein oder anderen Blicke wurden schon wieder nach vorne gerichtet, und während die HSV-affinen Menschen nach vorne schauten, dürften sie ausnahmsweise keine Bauch-, Kopf- oder ganz andere Schmerzen in ihren Leibern gespürt haben. Über die Hansestadt legte sich trotz des 1:0-Hinspielsieges und der damit verpassten Riesenchance auf den Aufstieg eine Stimmung, die eher an eine nicht bestandene Führerscheinprüfung erinnerte: mies gelaufen. Wir müssen noch ein bisschen dazulernen. Aber wenn wir fleißig sind, klappt es im kommenden Jahr mit der ersten Liga.

Der HSV-Sportvorstand Jonas Boldt klang anders als in den vergangenen Jahren

Einer dieser Berufsoptimisten ist qua Amt der Hamburger Sportvorstand Jonas Boldt, unter dessen Führung drei der mittlerweile vier verpassten Wiederaufstiege des Traditionsklubs fallen. Zu später Stunde lief der Zwei-Meter-Manager durch die Mixed-Zone, den Kopf trug er demonstrativ aufgerichtet, er geriet gar nicht erst in Gefahr, übersehen zu werden. Auch Boldt war niedergeschlagen, aber er konnte auch selbstbewusst vom "Reifeprozess" berichten, den das HSV-Team in den vergangenen Monaten durchlaufen habe. Dann fügte er hinzu, dass "die Menschen sehen, was hier passiert" - das klang schon anders zum etwa selben Zeitpunkt in den Vorjahren, als der HSV-Sportchef verteidigen musste, was meistens nicht zu verteidigen war.

Es ging meistens um eine von ihm verantwortete Mannschaft, die auf irre bis beschämende Weise am Aufstieg gescheitert war und es trotzdem nie schaffte, die Fans zu verjagen. Seit die Tribünen wieder bis zum Rand gefüllt werden dürfen, kommen meistens die maximal möglichen 57 000 Menschen in den Volkspark. Das reicht locker für einen Spitzenplatz in der Liga. Also: in Liga eins.

Die Hertha war reifer und abgebrühter als das junge HSV-Team

So nah dran wie in dieser Saison war der einst unabsteigbare HSV noch nie am Wiederaufstieg, es fehlten nur die berühmten Kleinigkeiten und die Reife. In einer Relegation kann das aber schon eine ganze Menge sein, weil es in solchen Duellen am Ende meistens auf ebendies ankommt: Ein Bodycheck hier, eine clevere Spielverlagerung da - und schon zeigt der Erstligist dem Zweitligisten, wer eine Liga höher spielt. Es ließ sich nicht kaschieren, dass dem jungen HSV-Team eine Autorität im besten Alter fehlt, und allein die Hertha-Treffer taugten als Lehrstunde.

In der vierten Minute ließ sich der HSV-Mittelfeldmann Jonas Meffert bei einem Eckball aus dem Weg rempeln, Berlins Kapitän Dedryck Boyata köpfelte das 1:0. Es war ein Tor, das weder dem Spiel noch dem HSV besonders gut tat, denn es stabilisierte die auf defensive Stabilität ausgerichtete Gäste-Elf und nahm den spielfreudigen Hamburgern die Unbekümmertheit.

"Das war der Killer", sagte Meffert. Der HSV versuchte mit vielen Pässen und ebenso viel gutem Willen zurück in dieses Spiel zu finden, aber das reichte nicht. Der Verteidiger Boyata zeigte in jedem Zweikampf, dass er schneller rennen und schalten kann als Hamburgs 22-Tore-Stürmer Robert Glatzel, und der nach Gelbsperre zurückgekehrte Abräumer Santiago Ascacíbar legte den HSV-Spielmacher Sonny Kittel an die Ketten.

"Die Enttäuschung ist groß", sagte der HSV-Trainer Tim Walter

Als dann auch noch Marvin Plattenhardt in der 63. Minute einen Freistoß aus spitzem Winkel über den leicht desorientierten HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes ins Tor zirkelte, war auch der Unbesiegbarkeitsnimbus dahin, den sich die Hamburger in den vergangenen Wochen erarbeitet und erkämpft hatten. "Ich bin stolz auf das Team, aber ich sage nichts zu diesem Spiel", kommentierte HSV-Coach Tim Walter: "Dafür ist die Enttäuschung zu groß. Aber wir werden bald zusammenkommen und den weiteren Fahrplan besprechen."

Es wird nun in der Tat spannend werden, wie die für Grabenkämpfe und Stellvertreterkonflikte bekannten HSV-Gremien nun umgehen werden mit dieser Saison; die beteiligten Personen wissen es vermutlich selbst noch nicht. Einerseits haben die Hamburger die beste ihrer vier Zweitliga-Saisons gespielt und unter Trainer Walter ihren Verlierer-Geist abgelegt. Das alles entscheidende Relegationsspiel haben sie dennoch verloren, dies dürfte nun jene Leute auf den Plan rufen, die finden, dass es nun mal zur Kernaufgabe des Sportvorstands Boldt gehört, dem HSV einen Aufstieg zu organisieren. Zu diesen Leuten könnten der HSV-Präsident Marcell Jansen und der neue Vorstand Thomas Wüstefeld zählen, ganz bestimmt wird auch Milliardär und Investor Klaus-Michael Kühne eine Meinung zu der Sache haben.

Möglichen Umsturzfantasien steht aber im Wege, dass sich Boldt und Walter ein hohes Ansehen unter den eigenen Anhängern erarbeitet haben, indem sie eine Kulturrevolution beim Traditionsklub vorgenommen haben. "Wie eine Familie" fühle sich der neue HSV an, sagte etwa Meffert, das gab auch die Stimmung der breiten Masse wieder. Andererseits würde es gut passen zum alten HSV, wenn Boldts noch in der Nacht angedeutete "Schublade voller Ideen" ungeöffnet bliebe, weil der Hamburger Aufsichtsrat andere Ideen für die Zukunft hat.

Ein Mann mit großer Vergangenheit fand den Gegenwarts-HSV jedenfalls sehr ordentlich. Die Mannschaft habe "wie ein Erstligist gespielt", lobte Hertha-Trainer Felix Magath, der mit den Hamburgern einst den Europapokal gewann - und den es grausen dürfte beim Gedanken, dass er dafür mitverantwortlich ist, dass der HSV ein fünftes Jahr in der Zweitklassigkeit dranhängen muss.

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