Süddeutsche Zeitung

HSV gegen St. Pauli:Großdemonstration im Volkspark

  • Der Hamburger SV trifft erstmals in der zweiten Liga auf den FC St. Pauli.
  • Für HSV-Coach Christian Titz könnte es nach dem 0:5 gegen Regensburg um seine Zukunft im Klub gehen.
  • Die Polizei hat einen Einsatz vor sich wie bei großen Demonstrationen.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Vielleicht ist es ganz gut, dass Bernd Hoffmann seit seiner Rückkehr auf den Chefposten beim Hamburger SV seinen Job offenbar etwas anders interpretiert als früher: nämlich zurückhaltender. Dieser Tage hat Gerald Asamoah noch einmal verraten, was die Profis des FC St. Pauli vor dem letzten Derby, das der Stadtteilklub in der Bundesliga 2011 dank Asamoahs Tor im Volksparkstadion überraschend mit 1:0 gewann, besonders angestachelt hatte. Hoffmann habe in einem Interview vorher nur über die Höhe des HSV-Sieges gesprochen. "Das", sagte der frühere Nationalspieler Asamoah, "hat mich richtig sauer gemacht, aber eben auch total motiviert."

Nun hat Hoffmann derzeit auch keinen Grund, überheblich zu sein. Einerseits, weil das 100. Lokalderby am Sonntag erstmals in der zweiten Liga stattfindet. Andererseits, weil der HSV nach der historischen 0:5-Niederlage gegen Jahn Regensburg am vergangenen Sonntag gerade heftig durchgeschüttelt wird. Das 0:0 am Donnerstagabend bei der SpVgg Greuther Fürth hat die Wogen nur ein wenig geglättet. Immerhin hatte Sportvorstand Ralf Becker nach dem Nullfünf eine recht windige Umschreibung zur Zukunft des Trainers Christian Titz verbreitet. Die Personalie sei "momentan kein Thema". Das ließ Spielraum offen, wann sie doch auf die HSV-Tagesordnung kommen könnte.

Womöglich aber hat Titz, der eine klare offensive Ballbesitz-Spielidee hat, begriffen, dass er um ein paar taktische Kompromisse nicht herumkommt, wenn es ihm nicht so ergehen soll wie den sturen Kollegen Gertjan Verbeek (2014 beim 1. FC Nürnberg), Alexander Zorniger (2015 beim VfB Stuttgart) oder Peter Bosz (2017 bei Borussia Dortmund). Die hatten von ihrer taktischen Marschroute auch nicht abweichen wollen, als ihre munter nach vorn agierenden Teams dem Gegner so viele Torchancen gestatteten, dass es eine Menge Niederlagen gab, obwohl man doch so attraktiv gespielt hatte.

Titz unterstrich zwar nach seiner Analyse des Debakels gegen Regensburg, dass er an seiner Philosophie festhalten werde. Aber in Fürth hat er mit den beiden Sechsern Vasilje Janjicic und Orel Mangala mehr Stabilität in die Defensive bekommen und trotzdem 64 Prozent Ballbesitz gehabt. Diese Balance wird auch nötig sein, um das alternativlose Ziel Wiederaufstieg zu erreichen. Und es wird interessant sein zu beobachten, ob er dieses Konzept auch im Heimspiel gegen den Stadtrivalen beibehält.

Es greift das Fahndungskonzept der Soko "Schwarzer Block"

Die Partie des Tabellendritten HSV gegen den nur einen Punkt zurückliegenden FC St. Pauli versetzt die beiden Fanlager auch in der zweiten Liga in aufgeregte Stimmung. Auf dem Schwarzmarkt wurden im Internet Karten zwischen 150 und 999 Euro (für zwei VIP-Tickets) angeboten. Am Millerntor wird für 15 000 Menschen ein Public Viewing angeboten, es ist längst ausverkauft. Die Polizei hat einen Einsatz vor sich wie bei großen Demonstrationen. Bis zu 1000 gewaltbereite Fans werden erwartet. 300 sollen nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden aus anderen Städten, ja sogar aus dem Ausland anreisen. Schon die ganze Woche hat Sicherheitspersonal Stadionbesucher abgetastet, um zu verhindern, dass Pyrotechnik eingeschmuggelt wird wie 2011.

Die Ordnungshüter werden das Fahndungskonzept der Soko "Schwarzer Block" wie bei den G-20-Demonstrationen vor einem Jahr anwenden. Auf einer Internetseite der Polizei kann jeder Fotos und Videos hochladen, damit Straftäter überführt werden können. "Wir kennen und können Derby", sagt der Polizeisprecher Timo Zill. Beim FC St. Pauli sind sie von dieser Weisung nicht begeistert. Pressesprecher Christoph Pieper bezeichnete das Portal zum Hochladen als "überzogene Maßnahme".

Geschmacklose Entgleisungen gab es schon in den Tagen vorm Duell um die Stadtmeisterschaft. An Einfallsstraßen baumelten, aufgeknüpft an einem Galgen, Puppen in den Farben des FC St. Pauli. Beim Pauli-Heimspiel gegen Paderborn am Mittwoch (2:1) wurde ein Plakat hochgereckt, das den damaligen St. Pauli-Keeper Benedikt Pliquett zeigt, wie er nach dem Derbysieg 2011 der HSV-Eckfahne mit der Raute einen Kung-Fu-Tritt verpasst. "Die Stadt ist in Aufruhr", sagte Paulis Co-Trainer André Trulsen, der auch als Spieler in einigen der 14 Bundesligaduelle (von denen der FC nur zwei gewann) zwischen den Klubs dabei war.

Mehr noch als beim Millerntor-Klub, der ja aktuell kein Aufstiegsziel hat, wird diese Partie über die weitere Stimmung beim HSV entscheiden. Geht die Sache schief wie beim 0:1 vor sieben Jahren, wird die Trainerdebatte wieder aufkommen und die Gefahr, dass der HSV in alte Muster fehlender Kontinuität zurückfällt. Wie sagte St. Paulis Abwehrspieler Christopher Avevor: "Jedem ist bewusst, was das Spiel für eine Bedeutung hat für die Fans und die Vereine."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4149644
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.09.2018/chge
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.