Hamburger SV:"Alle glauben daran"

  • Der Hamburger SV muss auf eine Niederlage des VfL Wolfsburg am 34. Spieltag hoffen - nur so kann der Klub den ersten Bundesliga-Abstieg der Vereinsgeschichte verhindern.
  • Trainer und Mannschaft hoffen auf den 1. FC Köln. Der Absteiger ist der Gegner der Wolfsburger.
  • Erstaunlich: Wie souverän der HSV mit einer umstrittenen Video-Schiedsrichter-Entscheidung beim 0:3 in Frankfurt umgeht.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Es wäre möglich, dass Gotoku Sakai in diesem Moment an den 20. Januar gedacht hat. Ebenso wäre denkbar, dass er den 25. Februar oder den 18. März in Erinnerung hatte. Aber am wahrscheinlichsten ist, dass der Kapitän des Hamburger SV gar kein konkretes Datum im Kopf hatte, sondern schlicht das sagte, was gesagt werden musste, wenn das eigene Tun in den Tagen bis zum Samstag einen irdischen Sinn ergeben soll. "Ja, ja, ja, ich traue den Kölnern zu, in Wolfsburg zu gewinnen", sagte Sakai fast flehentlich. Und selbstverständlich fand sich kein HSVler, der das anders sah - auch wenn Köln an den vergangenen 15 Spieltagen nur an den drei oben genannten Tagen siegen konnte und bereits als Absteiger feststeht.

Der Hamburger SV steht nach 55 Jahren in der Bundesliga kurz vor dem Absturz. Dieser Satz gilt schon seit Wochen, aber durch das 0:3 in Frankfurt am Samstag ist das Szenario noch wahrscheinlicher geworden. Mit einem Sieg hätte es der HSV selbst in der Hand haben können, wie es auf Fußballerisch so schön heißt. Stattdessen gibt es angesichts von zwei Punkten Rückstand auf den VfL Wolfsburg und einer um zehn Treffer schlechteren Tordifferenz nur eine Option, wie der Klub sich noch auf den Relegationsplatz retten kann: Er muss am letzten Spieltag gegen Gladbach gewinnen - und Köln muss in Wolfsburg gewinnen. Als eine Art letzter Dienst unter Traditionsvereinen, den Dinos der Liga.

Vor exakt 20 Jahren war es so, dass nur zwei Klubs behaupten durften, seit Gründung der Bundesliga 1963 durchgehend dabei zu sein: der 1. FC Köln und der Hamburger SV. Dann stieg Köln das erste Mal ab (und ließ fünf weitere Abstiege folgen), der HSV hielt sich bis heute. Aber nach der Enttäuschung vom Samstag bleibt ihm nichts anderes übrig, als ein neuerliches Wunder zu beschwören. "Alle glauben daran", sagte Trainer Christian Titz: "Rein rechnerisch ist die Chance gering. Aber im Fußball passieren viele verrückte Sachen."

So wie vor vier Jahren, als der HSV nur mit Glück auf den Relegationsrang kam und dann gegen Fürth zwei Remis für den Ligaverbleib reichten. Oder wie vor drei Jahren, als der HSV in der Relegation gegen Karlsruhe nur dank eines falschen Handspiel-Pfiffs und eines anschließenden Siegs in der Verlängerung die Klasse hielt. Oder wie vor einem Jahr, als Luca Waldschmidt am 34. Spieltag gegen, genau, Wolfsburg zwei Minuten vor Abpfiff das Klassenerhalts-Tor köpfelte.

Sie kennen sich also aus in Hamburg mit dieser Dramaturgie. Andererseits ist es auch schon eine Art von Wunder, dass der HSV nach einer so katastrophalen Saison, nach zwei Trainerwechseln, ständiger Unruhe in der Führungsetage und der Kulmination von jahrelangem Fehlmanagement, vor dem letzten Spieltag überhaupt noch den Klassenerhalt schaffen kann. Titz hat großen Anteil daran, seit er der Elf bei seinem Amtsantritt vor sieben Wochen eine spielerischere Linie verordnete und eine Aufholjagd begann. Aber am Samstag in Frankfurt war es insgesamt nicht gut genug, was der HSV bot.

Nach vorne gab es trotz viel Ballbesitzes zu wenige kreative Ideen und in der Defensive zu viele Lücken, und so war die Niederlage durchaus verdient. Und dennoch wäre auch ein anderes Resultat möglich gewesen, insbesondere aufgrund eines Ereignisses in der 25. Minute, bei dem auch schon Köln eine große Rolle spielte - wenn auch nicht der FC, sondern das Kabuff im Stadtteil Deutz, in dem der Videoassistent sitzt und die Spiele verfolgt. Aaron Hunt spielte einen wunderbaren Pass auf Tatsuya Ito, der guckte Frankfurts Torwart Lukas Hradecky aus und schob den Ball ins Tor. Doch mitten in den Jubel hinein kam die Korrektur von Schiedsrichter Deniz Aytekin: Köln hatte eine Abseitsposition gemeldet.

Es war, das zeigten die Bilder, extrem knapp, und es offenbarte sich deutlich wie selten in dieser Saison, dass die Videotechnik bei knappen Abseits-Fragen die sogenannten kalibrierten Linien braucht. Die stehen aus technischen Gründen noch nicht zur Verfügung, und somit beruhte der Befund auf der Einstellung einer Kamera, die sich gar nicht auf Höhe der entscheidenden Spieler befand. Der Videoassistent war sich gleichwohl sicher, Aytekin übernahm das. Aber so klar, wie er das hinterher in einem Statement herausstellte, war die Szene nicht. Die Fernsehsender fanden jedenfalls keine Einstellung, die es endgültig aufklärte. Und so war erstaunlich, dass der Videoschiedsrichter sich überhaupt zur Wort meldete: Denn vor der Saison, als die kalibrierten Linien noch geplant waren, hatten die Verantwortlichen stets vorgetragen, dass es bei TV-Bildern immer eine Unschärfe geben könne. Und außerdem soll der Videoassistent ohnehin nur bei klaren Fehlern eingreifen.

Es war durchaus anerkennenswert, wie ruhig Trainer Titz diesen Vorgang nach dem Spiel zur Kenntnis nahm. Er wolle den Schiedsrichtern keinen Vorwurf machen, sagte er, und überhaupt habe es danach noch die Möglichkeit gegeben, die Partie erfolgreich zu gestalten. Aber das geschah nicht. Stattdessen traf Marius Wolf kurz nach dem zurückgenommenen Tor zum 1:0 für Frankfurt. Nach der Pause scheiterten Bobby Wood aus kurzer und Douglas Santos aus weiter Distanz an Hradecky, und als Omar Mascarell (77.) bei einem der vielen Konter das 2:0 erzielte, war die Partie entschieden. Rückkehrer Alex Meier traf gar zum 3:0 (90.), und das einzige tröstliche für die Hamburger war in diesem Moment, dass Wolfsburg sie mit einem 1:4 in Leipzig "noch am Leben gelassen hat", wie es Mittelfeldmann Hunt formulierte. Und dass sie deshalb noch an ein Wunder glauben dürfen.

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