Süddeutsche Zeitung

Hamburger SV:Der HSV kriegt sie alle klein

Der Hamburger SV bleibt in der zweiten Liga, eine gerechte Strafe: Ausgerechnet in jener Stadt, die sich so viel auf ihre kaufmännische Tradition einbildet, wurden so viele Sünden begangen.

Kommentar von Christof Kneer

Wenn man in der nächsten Saison nur von Ferne hinschaut, könnte es einem kurz so vorkommen, als sei Michael Ballack nach Leverkusen zurückgekehrt. Bei Bayer 04 wird in der nächsten Saison jedenfalls wieder ein breitschultriger und -beiniger Athlet durchs Mittelfeld schlurfen, er wird dort Autorität ausstrahlen, erhabene Pässe spielen, wuchtig aufs Tor schießen und manchmal sogar ein Kopfballtor erzielen. Vielleicht werden gegnerische Trainer nach Spielen neidvoll sagen, dass dieser Bursche wieder den Unterschied ausgemacht habe, und womöglich wird sich sogar der Trainer Joachim Löw noch mal an diesen Spieler erinnern, mit dem er im Sommer 2017 den Confed Cup gewann.

32 Millionen Euro wird Leverkusen demnächst an die TSG Hoffenheim überweisen, um Kerem Demirbay, 25, gemäß einer Vertragsklausel dort auszulösen. Das ist viel Geld, aber ohne Klausel wären es womöglich noch ein paar Millionen mehr geworden, der Transfermarkt hat ja längst alle Hemmungen verloren. Man könnte die Regeln auf dem neuen Markt so zusammenfassen: Jeder Fußballprofi, der einen laufenden Arbeitsvertrag besitzt, kommt weit über seinem wahren Marktwert in den Handel - es sei denn natürlich, er spielt beim Hamburger SV.

Der HSV kriegt sie alle klein.

Natürlich war auch Demirbay mal beim HSV, mit 20, in einem Alter, in dem eine stabile Talentprognose keiner Sterndeutung mehr gleicht. Längst können Experten für solche Talente seriöse Karriere-Fantasien entwickeln, aber das war/ist halt genau das Problem bei diesem HSV: Es gab zwar immer mal Experten im Haus, aber mal waren es zu wenige, mal zu viele, und manchmal waren die Experten auch gar nicht mehr im Amt, wenn eine angebahnte Entscheidung mal zu Ende hätte entschieden werden müssen.

Im Beispiel Demirbay steckt alles, was man über den HSV wissen muss. Bei diesem Spieler haben sich die wechselnden HSV-Verantwortlichen gleich mehrmals getäuscht; sie haben ihn nach Kaiserslautern verliehen, wieder zurückgenommen, nach Düsseldorf verliehen, wieder zurückgenommen und nie etwas mit ihm anfangen können. 2016 haben sie ihn endgültig verkauft, nach Hoffenheim, für 1,7 Millionen Euro. Und dank des HSV nimmt Hoffenheim jetzt 19-mal so viel für den Spieler ein, wie sie bezahlt haben.

Es gibt eine ganze Menge Demirbays auf dem Markt, Spieler, die der HSV acht- und kampflos aus der Stadt oder gar aus dem Verein gelassen hat, Shkodran Mustafi, Max Kruse, André Hahn, Martin Harnik und andere. Ausgerechnet in jener Stadt, die sich so viel auf ihre kaufmännische Tradition einbildet, haben sie so viele kaufmännische Sünden begangen, dass sie nun mit einem weiteren Jahr zweite Liga bestraft werden. Den Anschluss an moderne Milieus wie in Freiburg, Mainz oder gar Hoffenheim und Leipzig hat der HSV längst verloren; während dort innovativ gescoutet wurde, haben sie sich in Hamburg vom reichen Onkel Kühne die Rückkehr von Rafael van der Vaart aufschwatzen lassen. In seiner zweiten HSV-Periode, übrigens, blockierte der alternde van der Vaart genau jenen Platz, auf dem sich ein Talent namens Demirbay hätte aufdrängen können.

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SZ vom 14.05.2019/ebc
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