Süddeutsche Zeitung

HSV in der 2. Liga:Hamburg macht die Rakete rückwärts

  • Beim HSV steht der direkte Wiederaufstieg in die Bundesliga auf dem Spiel. Die Heimniederlage gegen Magdeburg führt zu Alarmstimmung.
  • Ängste schürt vor allem das Restprogramm gegen einige schwere Gegner.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Der gebürtige Münsterländer Michael Oenning hat ein Faible für Hamburg. Dort lebt er am liebsten, dort war er 2011 Cheftrainer beim Hamburger SV. Und selbst bei seinem zweijährigen Ausflug nach Ungarn, als Coach von Vasas Budapest, blieb die Hansestadt seine Oase. Am Montagabend war Oenning mal wieder im Volksparkstadion und ziemlich begeistert: "Ich habe eine unglaublich gute erste Halbzeit gesehen", schwärmte er.

Allerdings bezog sich dieser Satz nicht auf seinen früheren Arbeitgeber HSV, sondern auf sein neues Team, den Zweitliga-Aufsteiger 1. FC Magdeburg. Und am Schluss durfte Oenning sogar richtig jubeln: In der vierten Minute der Nachspielzeit schmetterte Philip Türpitz einen Abpraller des HSV-Verteidigers Rick van Drongelen unter die Torlatte.

Dieses Tor bedeutete einen überraschenden Sieg für den Abstiegskandidaten aus Sachsen-Anhalt, der trotz eines 0:1-Rückstands am Ende 2:1 gewann. Der Jubel des bekennenden Hamburgers Oenning hat dem HSV verständlicherweise sehr "wehgetan", wie HSV-Trainer Hannes Wolf zugab. Denn es war ein Déjà-vu.

In der Kabine wurde offenbar wütend geschrien

Es ist gerade mal drei Wochen her, da hat der Aufstiegskandidat aus Hamburg, der in der Rückrundentabelle nur auf Rang zehn gelistet ist, schon mal fast das Gleiche erlebt. Damals führte der HSV sogar mit 2:0 gegen den Abstiegskandidaten Darmstadt 98, eine Radioreporterin dichtete, die Hamburger befänden sich "auf einer Rakete, die sie direkt wieder in die erste Liga katapultieren" würde. Am Ende aber, diesmal in der zweiten Minute der Nachspielzeit, hatte der 98-Profi Marvin Mehlem das 3:2 für Darmstadt erzielt.

Wie kommt es, dass der HSV zum zweiten Male zu Hause die Chance liegen ließ, den Tabellendritten Union Berlin um sechs Punkte zu distanzieren, und nun Gefahr läuft, mal wieder auf jenem Platz zu landen, auf dem er in den vergangenen Jahren fragwürdig berühmt wurde, nämlich auf dem Relegationsplatz? Zunächst einmal wurde in der Kabine offenbar wütend herumgeschrien. Und später hat allein der Kapitän Lewis Holtby öffentlich geredet und gesagt, jeder sei sauer, und es sei jetzt nicht der Moment, "in dem wir da drinnen die Musik anmachen und feiern".

Auch seine weiteren Einlassungen klangen nicht ermunternd: Man habe wieder "die Führung abgeschenkt und den Gegner aufgebaut". Er sprach von "zu vielen schlampigen Fehlpässen". Jeder Einzelne müsse sich fragen, ob er genug investiere. Holtby, der den HSV im Sommer verlässt, wird übrigens nicht dabei sein, wenn es am kommenden Montag beim Tabellenführer Köln darum gehen muss, "den Arsch hochzukriegen und zu arbeiten". Er ist wegen der fünften gelben Karte gesperrt.

Seine Analyse fällt jedenfalls ziemlich deprimierend aus. Ist der erneute Rückschlag jener HSV-Elf, die erst letzte Woche mit einem 2:0 in Paderborn das Halbfinale des DFB-Pokals erreichte, wirklich nur auf das junge Alter der meisten Spieler zurückführen? Oder ist die erneute Absenz des verletzten Spielmachers Aaron Hunt ein wesentlicher Grund? Immerhin hat der HSV mit einem gesunden Hunt etwa die doppelte Punktzahl eingefahren.

Der HSV spielt noch in Köln, in Paderborn und bei Union Berlin

Man muss bei der Analyse aber wohl auch auf Hannes Wolf gucken, jenen jungen Coach, der laut Vorstand auch mehrere Krisen als HSV-Trainer überstehen würde. Es war jedenfalls nicht glücklich, dass Wolf, 37, den gerade von einem Knorpelschaden genesenen Gideon Jung durchspielen ließ, obwohl der noch deutlich überfordert wirkte. Auch der andere Rückkehrer Kyriakos Papadopoulos war noch nicht wieder das "Mentalitätsmonster", als das er jeden Tag gepriesen wird. Und auch sogenannte Führungsspieler wie Holtby oder Gotoku Sakai haben in kritischen Situationen zu viel mit sich selbst zu tun.

Es hätte sogar noch schlimmer ausgehen können, hätte Schiedsrichter Bastian Dankert das Tor des Magdeburgers Felix Lohkemper (22.) nicht aberkannt; das angebliche Abseits war keines. Zwar hätte der HSV nach dem 1:0 durch Bakery Jatta (31.) auch 2:0 führen können, als Dankert nach einer Grätsche gegen Pierre-Michel Lasogga erst auf Elfmeter für Hamburg (52.) entschied, diese Entscheidung nach Rücksprache mit seinem Assistenten aber wieder zurücknahm. Dennoch wirkte der HSV nie souverän, und so gelang stattdessen Magdeburgs Marius Bülter bald das 1:1.

Die restlichen sechs Spiele haben es für die Hamburger noch in sich. Jedenfalls die Auswärtsspiele, in denen der HSV nach Köln noch bei den weiteren Aufstiegskandidaten Union Berlin und Paderborn antreten muss. Der gefühlte Hamburger Oenning ist sich dennoch sicher, dass der HSV aufsteigt. Das wirkt neuerdings aber wie eine recht optimistische Sichtweise.

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SZ vom 10.04.2019/jbe
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