Horst Heldt bei Schalke 04:Böse Nachreden aus dem Nirwana

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Vor dem entscheidenden Champions-League-Spiel in Maribor findet sich der Schalker Sportchef Horst Heldt im Zentrum einer merkwürdigen Debatte wieder. Während Namen von Nachfolgern kursieren, liefert die Mannschaft Argumente für ihn.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Die Champions League gilt als das Paradies des Fußballs, sie kann aber auch das Gegenteil sein, wie neulich der FC Schalke 04 beim 0:5 gegen den FC Chelsea erfahren hat. An jenem für die königsblaue Gemeinde schrecklichen Abend hat in Gelsenkirchen niemand geglaubt, dass es sinnvoll wäre, die Bemühungen in diesem Wettbewerb fortzusetzen. Doch weil Leid und Schmerz im Fußball schnell vergehen, sind die Schalker nicht nur aus Gründen der Anwesenheitspflicht am Dienstag nach Slowenien gereist, sondern in der Hoffnung, doch noch das Achtelfinale zu erreichen.

Ein Sieg bei NK Maribor würde genügen, wenn der FC Chelsea gegen Sporting Lissabon gewänne. "Eine spannende Konstellation", stellte Manager Horst Heldt am Flughafen fest, nachdem er von den Mitreisenden die Gratulationen zum 45. Geburtstag erhalten hatte.

Wie es Heldts entgegenkommender Art entspricht, hat er keine Hand ausgeschlagen, die ihm zum Glückwunsch gereicht wurde, obwohl er zuletzt ins Grübeln geraten war, ob ihm tatsächlich jeder so wohlgesonnen ist, der ihn in Schalke lächelnd begrüßt. Nach dem 0:5 gegen Chelsea war vor allem Heldt in den Mittelpunkt der Kritik geraten. Nicht nur die sogenannte öffentliche Meinung formierte sich gegen ihn, auch in Vereinsgremien kam Gerede auf.

Jones übt Rache

Gerüchte wurden ausgetauscht, und Namen bekannter Personen kursierten, die als Nachfolger des amtierenden Sportvorstands infrage kommen könnten: Oliver Kahn, Jens Lehmann, Christoph Metzelder. Auch vermeintlich Eingeweihte aus anderen Klubs gaben Prognosen über Heldts angeblich ablaufende Amtszeit ab.

Auf die Unterstützung des Aufsichtsratschefs Clemens Tönnies, der in Schalke das letzte Wort hat, sollte sich Heldt verlassen können, aber manchmal bekommen Gerüchte eine eigene Dynamik, obwohl ihre Ursprünge im Unerklärlichen liegen. Wobei die Herkunft der bösesten Nachrede über Heldts Arbeit eindeutig belegt ist: Sie wurde vom ehemaligen Schalker Profi Jermaine Jones verbreitet, der nach dem Chelsea-Debakel twitterte: "Ich sage dazu nur: Horst Heldt . . . es ist schlimm, dass jemand einen Klub dermaßen ruinieren kann." Jones, der bis dahin nicht im Rang einer moralischen Instanz gestanden hat und im vorigen Winter mit guten Gründen aus Schalke vertrieben wurde, lieferte das willkommene Stichwort. Sofort schlagzeilte Bild im polizeilichen Verhörton: "Herr Heldt, sind Sie der Schalke-Ruinierer?"

Anstelle des Betroffenen gab unvermutet die Mannschaft die Antwort, als sie dem Chelsea-Debakel das 4:1 gegen Mainz und das 4:0 in Stuttgart folgen ließ, wobei der von Heldt im Sommer ablösefrei verpflichtete Stürmer Choupo-Moting besonders hervortrat. Heldt darf es fast komisch finden, dass auch die mit dem Etikett Fehleinkauf versehenen Barnetta und Kirchhoff markant zu den Siegen beitrugen.

Ruin? Die realen Daten geben keinen Anlass, die These des rachsüchtigen Kritikers Jones ernsthaft zu diskutieren. Seit Heldt im Frühjahr 2011 vom Generaldirektor Felix Magath die Verantwortung für den Fußball übernahm, hat sich Schalke als verlässliche Größe etabliert und seine Ziele erreicht: zunächst den Pokalsieg, dann dreimal in Serie die Qualifikation für die Champions League. Der Aufwand ist zwar erheblich: Schalkes Etat für die Profi-Abteilung wird nur vom FC Bayern übertroffen, allenfalls der VfL Wolfsburg und Borussia Dortmund gehen mit ähnlichen Summen um.

Das Einkaufsbudget für diese Saison fiel jedoch ungleich bescheidener aus, weniger Ablöse haben nur Paderborn und Bremen investiert. Heldt setzte die Hoffnungen stattdessen auf die Absolventen der von ihm nachdrücklich geförderten Nachwuchsakademie - ein bisschen zu viele Hoffnungen, wie er nun selbst weiß.

Denn auch Heldt übt Kritik an Heldt. In der Vorbereitung auf die Saison habe man Fehler gemacht, sagt er. Insgeheim macht er sich offenbar den Vorwurf, die günstige Ausgangslage im Sommer nicht genutzt zu haben. Das elementare Trainerthema begleitet ihn in Gelsenkirchen so schicksalhaft wie zuvor beim VfB Stuttgart.

Keller an der Grenze

Es war auch Heldt bewusst, dass der notorisch umstrittene Jens Keller in seinem dritten Jahr auf Schalke an die Grenze seiner Wirkungsmacht stoßen würde, und das passierte, wie zu befürchten war, eher früher als später. Anfang Oktober übernahm der Italiener Roberto Di Matteo den Job, den er wohl besser im Sommer angetreten hätte. Zu diesem Zweck hätte man aber Keller entlassen müssen - und den Aufsichtsräten sowie dem Rest der Welt erklären, wieso man den Trainer wegschickt, der gerade eine erfolgreiche Rückrunde hingelegt hatte.

Heldt äußert sich dazu lieber nicht. Aber er darf sich durch die jüngste Entwicklung bestätigt fühlen. "Was Roberto macht, das macht er mit Akribie und Phantasie", sagt Heldt über Di Matteo, "das ist eine ganz besondere Qualität von Arbeit." Die auch Heldt nutzen sollte: Ein Trainer, der Gestaltungswille und Ideen mitbringt, könnte den einsam waltenden und immer wieder zur Improvisation genötigten Manager entlasten. Mehr Kompetenz in der Führungsebene würde Schalke - und Heldt - guttun.

"Dieser Verein braucht Wärme und Identifikation", hat der typische Rheinländer Heldt gesagt, nachdem sich Schalke der eisigen Herrschaft von Felix Magath entledigt hatte. Womöglich ist das in der immerwährenden Schalker Aufregung nicht aufgefallen: Aber diesem Vorsatz ist er gerecht geworden. Übrigens auch ein Grund, warum Jermaine Jones nicht mehr da ist.

© SZ vom 10.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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