Beleidigungen gegen Dietmar Hopp:Kurz vor der finalen Eskalationsstufe

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Die Bayern-Spieler versuchen, angeführt von Ersatztorwart Sven Ulreich, mit den Fans zu reden. (Foto: imago images/Jan Huebner)
  • Nichtangriffspakt statt Fußball: Das groteske Schauspiel von Sinsheim steht stellvertretend für eine Debatte, die die Liga dramatisch beschäftigt.
  • Schmähungen gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp führen am Wochenende in drei anderen Stadien zu Unterbrechungen.

Von Martin Schneider, Sinsheim

Die Fehlpässe auf Sebastian Rudy dürfte Joshua Kimmich nun in seiner Statistik stehen haben, es hilft ja nichts. Mehrmals passte er den Ball zu dem inzwischen für Hoffenheim spielenden Ex-Kollegen hinüber, und vermutlich hat er sich jetzt auch seinen Schnitt als einer der lauffreudigsten Bundesligaspieler verdorben. Dafür hat Thiago nun ein paar Ballgewinne mehr im Klassenbuch stehen, und möglicherweise hat auch irgendwer den formschönen Hackentrick vermerkt, den Benjamin Pavard auf Corentin Tolisso spielte. Wahrscheinlich werden die letzten 13 Minuten dieses grotesken Bundesligaspiels später auch mal in einem Almanach oder einer Datenbank stehen, unter der Rekordrubrik "längste Zeit ohne eine Ballberührung bei einem Bundesligaspiel".

Und weil heutzutage ja alles erfasst wird, werden diese 13 Minuten am Ende auch die Minuten mit den wenigsten Laufkilometern, mit den wenigsten Sprints, mit den wenigsten Zweikämpfen - kurz: mit dem wenigsten Fußball sein.

Die Bundesliga hat in ihrer langen Geschichte schon vieles erlebt, aber so etwas wie am Samstag im Regen von Sinsheim beim Spiel der TSG Hoffenheim gegen den FC Bayern gab es noch nie: Ein Nichtangriffspakt aus Protest gegen Fan-Aktionen - das ist eine Form der Reaktion, die neu und heftig ist und die eine Debatte ausgelöst hat, die ebenfalls immer heftiger wird. Eine Debatte, die quer durch die Liga Nachahmer findet, wie am selben Wochenende in Dortmund, Köln und Berlin-Köpenick zu sehen war. Und die Spieler, die diese Protestform wählen, kommen in dieser Geschichte oftmals nur am Rande vor.

Eklat beim Bayern-Spiel
:"Wir haben viel zu lange die Augen zugemacht"

Als Bayern-Fans Schmähplakate gegen Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp hochhalten, kommt es fast zum Spielabbruch. Die Münchner kündigen Konsequenzen an, die Ultras melden sich zu Wort.

Von Martin Schneider

Eine kurze Chronologie der Ereignisse aus Sinsheim: Einige Fans des FC Bayern hatten in der zweiten Halbzeit nacheinander zwei Plakate hochgehalten, auf denen sie Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp als "Hurensohn" beleidigten. Beim ersten Mal unterbrach Schiedsrichter Christian Dingert die Partie, die Spieler David Alaba und Joshua Kimmich und die Trainer Hansi Flick und Hermann Gerland sprinteten in die Kurve und versuchten den Fans wild gestikulierend klarzumachen, dass man so etwas nicht macht - zumal man nebenbei gerade 6:0 führte und ein Spielabbruch nicht sehr hilfreich wäre. Beim Auftauchen des zweiten Plakats schickte Dingert die Teams dann einem Drei-Stufen-Plan des DFB folgend in die Kabine. Und dort entstand offenbar in einer Diskussion zwischen den Kapitänen Manuel Neuer und Benjamin Hübner der Plan, die verbleibenden 13 Minuten zu Ende zu spielen, ohne sie zu Ende zu spielen, der Spielstand war bei der Lösungsfindung vermutlich förderlich. Die letzte Stufe des Drei-Stufen-Plans sieht übrigens den Spielabbruch vor.

Die Debatte hat längst etwas Fundamentales angenommen

Um zu verstehen, wie es zum Nichtangriffspakt von Hoffenheim kam, muss man wissen, dass es schon lange nicht mehr alleine um zwei Plakate von Bayern-Fans geht. Auch bei den Wochenend-Partien Borussia Dortmund gegen den SC Freiburg, 1. FC Köln gegen Schalke 04 und Union Berlin gegen den VfL Wolfsburg gab es Proteste gegen Hopp sowie Spiel-Unterbrechungen. In Dortmund hatte Schiedsrichter Robert Hartmann nach Schmähgesängen gegen Hopp das Spiel unterbrochen und eine Durchsage veranlasst: Hartmann drohte mit Abbruch. In Köln zeigten FC-Fans ein offenbar gegen Hopp gerichtetes Banner ("Wegen einem Hurensohn euer Versprechen gebrochen"), Kölns Spieler, Trainer Markus Gisdol und Sportchef Horst Heldt schafften es dann aber, dass das Banner entfernt und das Spiel fortgesetzt wurde. Und die Sonntagspartie Union gegen Wolfsburg war wie das Spiel des FC Bayern in Hoffenheim gleich zweimal unterbrochen, die Teams standen kurz vor der Halbzeit minutenlang im Kabinengang. Nach einer ersten Unterbrechung in der 33. Minute war im Union-Block in der 45. Minute ein Plakat mit der Aufschrift "Hurensohn" und das Konterfei von Hopp im Fadenkreuz zu sehen.

Reaktionen
:"Das erinnert an ganz dunkle Zeiten"

Dietmar Hopp selbst äußert sich am Sonntag zu den Beleidigungen gegen ihn, DFB-Präsident Keller und Bayern-Boss Rummenigge kündigen Konsequenzen an. Reaktionen im Überblick.

Die Debatte hat längst etwas Fundamentales angenommen, und es geht, verkürzt gesagt, mehr oder weniger darum, wer die Deutungshoheit darüber hat, was im Stadion geht - und was nicht.

Dietmar Hopp war schon einmal das Symbol Nummer eins eines Kulturkampfes zwischen organisierten Fans und den - aus ihrer Sicht - abzulehnenden Vertretern des modernen Fußballs. Als Hopp die TSG Hoffenheim - seinen Heimat- und Jugendklub - mit seinen Privatmillionen in die Bundesliga führte, protestierten zahlreiche Fankurven gegen das aus ihrer Sicht als "Plastikklub" zu bezeichnende Konstrukt, das anderen, mitgliedergeführten (Traditions-)Vereinen den Platz wegnehme; so die damals gängige Argumentation.

Zwischen den Fans von Borussia Dortmund und Hopp schaukelte sich der Konflikt besonders hoch, bis der DFB im vorigen Jahr die BVB-Fans kollektiv auf Bewährung für Auswärtsspiele in Sinsheim sperrte. Weil der Protest in Form beleidigender Plakate aber weiterging, setzte der DFB die Bewährung schließlich aus - das war der Punkt, an dem sich mehrere Fan-Kurven mit den Borussen solidarisch zeigten. Was nun eben zu den Aktionen in mehreren Stadien führte. Denn der DFB hatte im Zuge eines Dialoges mit den Fans ursprünglich angekündigt, sogenannte Kollektivstrafen - also das Sperren eines ganzen Blocks - auszusetzen. Ultras interpretierten das als Wortbruch und provozieren nun über Hopp die Eskalation mit dem Verband.

Der DFB hat mit dem Fast-Spielabbruch von Hoffenheim wiederum gezeigt, dass er willens ist, den Drei-Stufen-Plan auch bei Beleidigungen konsequent anzuwenden. Auch Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge äußerte sich in den Katakomben des Sinsheimer Stadions unmissverständlich. Er werde nicht mit weniger, sondern mit mehr Konsequenz gegen Fans vorgehen, die Schmähungen als Mittel der Auseinandersetzung wählen.

"Ich würde dringend empfehlen, dass wir uns alle in der Bundesliga abstimmen", sagte Rummenigge: "Manche haben dann Sorge um ihre Stimmung. Aber da sage ich: Scheiß Stimmung, da hab' ich lieber Langeweile im Stadion."

Das alles klingt nicht nach Entspannung, und schon jetzt sorgen sich viele um das Spiel des BVB in Gladbach am kommenden Wochenende. Dort treffen zwei Fan-Lager aufeinander, die sich in den vergangenen Wochen aktiv und beleidigend am Protest gegen Hopp beteiligten und die es, so die Befürchtung, auf einen Showdown ankommen lassen könnten. Denn auch der DFB befindet sich nun in einer Lage, in der er unter Beobachtung steht.

Fragen, denen sich der Fußball lange Zeit einfach nicht gestellt hat

Ist der DFB bereit, ein Fußballspiel abzubrechen, wenn die Gegenseite die Spirale noch eine Umdrehung weiterdreht? Und wenn mehrmalige Beleidigungen gegen einen Mäzen den Abbruch eines Spiels rechtfertigen - dann müssen das rassistische, homophobe oder sexistische Anfeindungen in Zukunft doch erst recht. Viele argumentieren, der DFB würde da bereits jetzt mit zweierlei Maß messen, weil bei den rassistischen Anfeindungen gegen den Berliner Spieler Jordan Torunarigha beim DFB-Pokal auf Schalke der Drei-Stufen-Plan keine Anwendung fand. Der DFB begründete das später damit, dass Schiedsrichter Harm Osmers die Beleidigungen nicht selbst gehört habe.

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:Hetz-Plakate gegen Hopp überschatten Remis in Berlin

Zwei Mal hissen Union-Fans Banner mit Beleidigungen gegen den Hoffenheim-Mäzen. Die Partie wird unterbrochen - kann aber anschließend zu Ende gespielt werden.

Das alles sind neue Fragen, denen sich der Fußball lange Zeit einfach nicht gestellt hat. Man hätte zum Beispiel auch gerne gewusst, was in Oliver Kahns Kopf vorging, als er im strömenden Regen von Sinsheim vor der TSG-Kurve stand und Dietmar Hopp applaudierte. Als Oliver Kahn, inzwischen Vorstandsmitglied beim FC Bayern, noch Spieler respektive titanischer Torwart war, landeten in seinem Sechzehner regelmäßig Bananen, einmal flog auch ein Golfball an seinen Kopf. Er wurde in keiner Gästekurve freundlich empfangen, aber dass ein Spiel deswegen unterbrochen wurde oder gar kurz vor dem Abbruch stand, das gab es nicht. Der Unterschied zwischen Oliver Kahn und Dietmar Hopp ist aber natürlich der, dass Kahn nie zu einem Politikum wurde.

Einige Ultras sind der Meinung, dass die Causa Hopp nun dazu taugt, die grundsätzlichen Differenzen mit dem DFB auszutragen. Der Verband und die Vereine sind, nach allem, was man hört, entschlossen, dem nicht nachzugeben. Es ist also möglich, dass es in den kommenden Wochen in Bundesliga und Pokal genauso wie in den letzten 13 Minuten des Spiels Bayern gegen Hoffenheim nicht in erster Linie um Fußball gehen könnte.

© SZ vom 02.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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