Homosexueller Ex-Fußballer Urban:"Hitzlsperger ist ein echtes Vorbild"

Homosexueller Ex-Fußballer Urban: Marcus Urban: "Das verkrustete Denken ist nach wie vor verbreitet."

Marcus Urban: "Das verkrustete Denken ist nach wie vor verbreitet."

(Foto: imago sportfotodienst)

Marcus Urban beendete einst seine Karriere, weil er sich als Homosexueller im Profifußball ausgegrenzt gefühlt hatte. Im Interview lobt er das Coming-out des ehemaligen Nationalspielers Thomas Hitzlsperger - und erwartet, dass ihm weitere Profis folgen werden.

Von Benedikt Warmbrunn

Marcus Urban, 42, war Junioren-Nationalspieler in der DDR, er spielte in der Jugend für Rot-Weiß Erfurt. Kurz vor dem Wechsel zu den Profis beendete er seine Karriere. In seiner 2008 veröffentlichten Biografie "Versteckspieler" beschrieb Urban seine Erfahrungen als homosexueller Fußballer und berichtete von dem Druck, unter dem er stand.

SZ: Herr Urban, als Ihre Biografie erschienen ist, haben Sie gesagt, dass es nicht mehr lange dauert, bis der erste Profifußballer Ihrem Beispiel folgen wird. Nun hat sich Thomas Hitzlsperger geoutet. Wie sehr hat Sie der Zeitpunkt überrascht?

Marcus Urban: Ich weiß noch, dass ich 2007 in einer Fernsehsendung saß, mit Mario Basler und Conny Littmann, dem damaligen Präsidenten von St. Pauli, der ja auch zu seiner Homosexualität steht. Basler sagte, dass er keinen schwulen Fußballer kenne und dass es das auch nicht gebe. Littmann sagte, es werde noch mindestens 20 Jahre dauern. Ich habe gesagt: Das kann auch in fünf Jahren passieren. Für mich war die Frage immer nur: Wer ist der Erste?

Wie haben Sie auf das Coming-out von Hitzlsperger reagiert?

Homosexueller Ex-Fußballer Urban: Thomas Hitzlsperger auf einem Archivbild während seiner aktiven Zeit im Jahr 2011 beim VfL Wolfsburg

Thomas Hitzlsperger auf einem Archivbild während seiner aktiven Zeit im Jahr 2011 beim VfL Wolfsburg

(Foto: imago sportfotodienst)

Ich war total gerührt. Thomas ist ein toller Mensch, ein super Typ. Für mich ist er ein echtes Vorbild. Er hat das gut organisiert, hat sich erst mit sich selbst auseinander gesetzt. Dann hat er abgewogen, wann er sich öffentlich äußern möchte.

In einem Interview hat Hitzlsperger gesagt, dass er auch 2011, als Spieler des VfL Wolfsburg, darüber nachgedacht hat, sich zu outen. Nachdem ihm davon abgeraten wurde, hat er es gelassen. Können Sie das verstehen?

Total. Ich verstehe jeden, dem das zu heikel ist. Homophobie ist überall zu erleben, aber im Sport ist sie besonders ausgeprägt. Da herrscht eine Wettkampfhaltung, da geht es darum, sich zu behaupten, andere auszustechen. Das geht, indem du besser wirst - oder indem du andere schwächst. Das funktioniert auch über Mobbing.

Wie haben Sie selbst den Umgang in der Kabine mit Homosexualität erlebt?

In den 80er Jahren habe ich mich allein gefühlt. Ich dachte, ich wäre krank. Du läufst mit den Mitspielern zum Training und einer sagt: "Was für ein schwules Wetter." Oder einer ist komisch angezogen, dann heißt es: "Schwuchtel!" Das wird dann noch so genüsslich ausgesprochen, mit einem Zischen am Anfang. Wenn du das jeden dritten Tag hörst, denkst du irgendwann, dass mit dir etwas nicht stimmt. Du glaubst das. Du wirst brüchig.

Erschwert also hauptsächlich das Mobbing der Mitspieler das Coming-out?

Das sind ja nicht nur die Mitspieler. Da gibt es auch Trainer, Manager. Natürlich gibt es auch kosmopolitische, aufgeklärte Funktionäre. Aber das verkrustete Denken ist in vielen Verbänden nach wie vor verbreitet. Aber das zeigt ja nur die Absurdität. Viele sind schlecht augeklärt, wollen nicht darüber reden. Normal wird es erst, wenn sich niemand mehr dafür rechtfertigen muss, schwul zu sein. Aber weil wir nicht darüber reden, wird etwas Anrüchiges daraus. Wenn du dich da verstecken musst, dann kostet das Kraft.

"Da sind Weltstars dabei"

Sie haben beschrieben, dass Sie Ihre Gefühle kompensiert haben, indem sie "hyperaggressiv" wurden.

In einigen Situationen bin ich ausgetickt. Zu manchen meiner Mitspieler habe ich noch heute Kontakt, die sagen, dass ich selbst für sie völlig unberechenbar war. Ich habe Gegenspieler umgesenst, habe alle beleidigt. Ich habe mich selbst so unter Druck gesetzt, weil ich nicht anders sein wollte.

Glauben Sie, dass das Stadionpublikum einen schwulen Fußballer akzeptieren würde?

Die meisten sicher. Aber unter 60.000 müssen nur 2000 gegen dich schreien, schon hat das eine unheimliche Wucht. Wenn du da nicht die Unterstützung von allen anderen aus dem Verein hast, macht dich das kaputt.

Wie erleben Sie selbst diese Stimmung auf der Tribüne?

Ein Beispiel: Im Frühjahr 2013 war ich beim Spiel HSV gegen Dortmund. Irgendwann habe ich gehört, dass der Mann neben mir über einen "Schwuchtelpass" schimpft. Also habe ich mich umgedreht und gesagt, dass ich schwul sei. Da hat der gelacht! Der dachte, dass ich einen Witz mache. Als ich ihm gesagt habe, dass ich wirklich auf Männer stehe, ist der richtig erschrocken. Er habe das nicht so gemeint, der war total verunsichert. Viele kennen das einfach nicht, weil sich niemand in ihrem Umfeld geoutet hat.

Was muss passieren, dass es homosexuellen Fußballern leichter fällt, sich zu outen?

Das muss in den Führungsetagen anfangen, da muss ein allgemeines Verständnis für Vielfalt vorherrschen. Auch in der Erziehung der Kinder müssste mehr dafür geworben werden. Konkret im Fußball könnten Trainer geschult werden, Jugendlichen könnten Ansprechpartner zur Seite gestellt werden. Es gibt so viel zu tun - ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.

Glauben Sie, dass viele bekannte Fußballer dem Beispiel von Thomas Hitzlsperger folgen werden?

Davon bin ich überzeugt. Das kann jeden Moment passieren. Ich weiß aus meinen sicheren Informationsquellen von vielen homosexuellen Fußballern, da sind Weltstars dabei, nicht nur aus Deutschland. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich jetzt mehrere äußern werden. Doch egal wann: Jeder einzelne hilft sehr vielen Menschen.

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