Süddeutsche Zeitung

Homosexualität im Football:"Stehst du auf Frauen?"

Die amerikanischen Footballklubs prüfen derzeit in Indianapolis die Nachwuchstalente - es geht zu wie bei einer Hundezuchtschau. Die Vereine interessieren sich jedoch nicht nur für Schnelligkeit, Kraft und Spielintelligenz der jungen Athleten, sondern auch für deren sexuelle Orientierung.

Von Jürgen Schmieder

Leon Sandcastle war gut gelaunt: Für die 40-Yard-Strecke brauchte der Mann mit der Dante-Frisur und dem imposanten Schnauzbart nach eigenen Angaben nur 4,2 Sekunden - ein Rekord. Auch seine Werte in den Bereichen Beweglichkeit, Sprungkraft und Bankdrücken sind herausragend. "Ich scheine so hell wie die Sonne", sagte Sandcastle. Keine Frage: Er ist einer für die National Football League (NFL).

Die nordamerikanische Footballiga prüft derzeit in Indianapolis Hunderte Nachwuchstalente, die einen Profivertrag haben möchten - und Sandcastle ist ein Gag des Liga-Senders: Deion Sanders, einst ein erfolgreicher Football- und Baseballspieler, arbeitet mittlerweile als Kommentator und sorgt während der Prüfungen für ein wenig Auflockerung.

Der NFL Scouting Combine ist eine ernste Sache in den Vereinigten Staaten, die Spieler werden geprüft, gemessen und gerichtet wie Hunde auf einer Zuchtschau. Hier entscheiden die Vereine, an welcher Position sie Ende April welchen Spieler auswählen werden - es geht also um die Zukunft vieler junger Athleten, darunter auch der Deutsche Defensivspieler Björn Werner, der wohl zu den besten zehn seines Jahrgangs gehört.

Sie müssen nun laufen, springen, Gewichte stemmen. Und sie müssen in Interviews mit den Verantwortlichen beweisen, dass sie mental bereit sind für die NFL. Nun allerdings kam heraus, dass die Vereine sich nicht nur für Schnelligkeit, Kraft und Spielintelligenz der möglichen Zugänge interessierten, sondern auch für deren sexuelle Orientierung. Nick Kasa, Tight End an der Universität von Colorado und derzeit als möglicher Fünf-Runden-Pick gehandelt, berichtete von mehreren Klubs, die wissen wollten, was sich in seinem privaten Schlafzimmer abspielen würde: "Die Fragen waren in der Art: 'Hast du eine Freundin? Bist du verheiratet? Stehst du auf Mädchen?'"

Offensichtlich ist Homophobie immer noch weit verbreitet in der NFL. Tony Dungy, der sowohl als Spieler als auch als Trainer die Super Bowl gewonnen hat, sagt dazu: "Wenn die Liga bereit wäre für einen Spieler, der seine Homosexualität öffentlich macht, dann gäbe es längst so einen Profi." Die Kabine eines NFL-Klubs sei eine eigene Welt, die nichts zu tun habe mit dem, was sich außerhalb davon abspielt. Also eine Welt, in der es keine Homosexualität gibt.

Football gilt immer noch als die männlichste aller Männersportarten, anders sind Aussagen wie die von Chris Culliver nicht zu erklären. "In unserer Umkleide gibt es keine Schwulen", sagte San Franciscos Verteidiger, "und falls doch, dann müssen sie raus. Mit diesen süßen Sachen kann ich nichts anfangen." Er entschuldigte sich zwar später, Liga und Vereine betonten, dass die sexuelle Neigung überhaupt keine Rolle spielen würde - doch offenbar waren diese Beteuerungen so viel wert wie die 40-Yard-Zeit von Leon Sandcastle.

Warum sind die Vereine derart an der sexuellen Neigung von Spielern interessiert, dass sie einen Skandal riskieren wie vor drei Jahren? Damals hatte sich Jeff Ireland, Manager der Miami Dolphins, bei Dez Bryant erkundigt, ob dessen Mutter eine Prostituierte sei.

Für eine Antwort nach der Homophobie lohnt es, die vergangene College-Saison zu betrachten: Da spielte Notre Dame herausragend, der beste Spieler war Linebacker Manti Te'o. Der lieferte auch abseits des Spielfelds Schlagzeilen: Mehrere Zeitungen druckten herzzerreißende Geschichten darüber, dass Te'o innerhalb weniger Wochen sowohl seine Großmutter als auch seine Freundin Lennay Kekua verlor. Dennoch spielte er formidabel, er gewann zahlreiche Preise und war ein Kandidat, als erster Spieler seines Jahrgangs gewählt zu werden.

Dann jedoch kam heraus: Lennay Kekua existierte gar nicht. Es war der homosexuelle Ronaiah Tuiasosopo, der sich in Te'o verliebt und sich auf Facebook, Twitter und am Telefon als Kekua ausgegeben hatte - und bis heute ist nicht klar, ob Te'o nicht doch Bescheid wusste und mitmachte, um seinen Marktwert zu erhöhen oder heimlich eine homosexuelle Beziehung zu führen.

Nun wollen die Klubs wissen: Ist einer der prominentesten Nachwuchsspieler homosexuell? Natürlich sollte diese Frage längst keine Rolle mehr spielen, doch sie tut es offensichtlich doch in einem Sport, bei dem viele Athleten wohl Testosteron nicht nur ausschütten, sondern es auch einwerfen. Bezeichnend dafür: Kaum jemand regte sich über die Fragen nach der Homosexualität auf, die Reaktionen waren vielmehr: Na ja, ist halt so.

Te'o ist zu talentiert, um gar nicht verpflichtet zu werden - doch aufgrund der Frage nach der Sexualität wird aus einem möglichen Nummer-Eins-Pick ein Athlet, der wohl erst in der zweiten Runde verpflichtet wird. Die Leistungen von Te'o beim Combine waren ordentlich, aber nicht herausragend. "Ich kann das viel besser", sagte Te'o, der sich mit 20 Vereinen zu Gesprächen traf - und dabei immer wieder seine Geschichte erzählen musste.

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SZ vom 02.03.2013/jüsc
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