Holstein Kiel vor dem Jahrhundertspiel:"Dortmund auf unser Niveau runterziehen!"

Handball-Hochburg im Fußballrausch: Der Viertligist Holstein Kiel trifft im DFB-Pokal-Viertelfinale auf den Meister Borussia Dortmund und sorgt in der Holstenstadt für eine Euphorie, die man sonst nur vom Handball kennt.

Jörg Marwedel

Schon die Eintrittskarten lassen erahnen, dass die Stadt Kiel eigentlich keine Fußball-Provinz sein möchte. "Deutscher Meister 1912" steht auf der Vorderseite mit einem Bild der erfolgreichsten Elf des KSV Holstein, die schon damals wegen ihrer roten Stutzen die "Störche" genannt wurde. An diesem Dienstagabend (20.30 Uhr, ARD und Sky) trifft der Meister aus der Frühgeschichte des Fußballs auf den aktuellen Titelträger Borussia Dortmund - im Viertelfinale des DFB-Pokals.

Viertligist Holstein Kiel hofft auf den grossen Coup gegen den Dortmund

Jubel nach dem Sieg im Achtefinale - so soll es nach Wunsch der Holstein-Spieler auch am Dienstag sein.

(Foto: dapd)

Für die Fernsehleute hat diese Partie nur einen Reiz: Kann der Viertligist aus Schleswig-Holstein, der im Achtelfinale den Erstligisten Mainz mit 2:0 bezwang und davor die Zweitligisten Energie Cottbus und MSV Duisburg, kann also der Viertligist den großen Favoriten ärgern? So, wie es die ungeschriebenen Pokalgesetze vorschreiben?

Eine Goldgrube für den Viertligigsten

1,125 Millionen Euro kassiert der Außenseiter für sein Vordringen ins Viertelfinale allein vom DFB, mit den bislang erzielten Pokaleinnahmen von 2,5 Millionen ist der Klub schon jetzt im Grunde der wahre Pokalsieger. 175 TV- und Rundfunkleute, 45 Fotografen und 50 schreibende Journalisten haben sich in Kiel angesagt, darunter sechs aus Japan, die wegen des Borussen Shinji Kagawa kommen. Ein "Oberhammer" sei das, sagt Holstein-Kapitän Christian Jürgensen.

Gespielt wird mit einem Ball aus der Extra-Edition des Ausrüsters, "Pokalschreck" steht auf dem Ball, ebenso wie auf den Shirts, die in Kiel längst der Renner sind. "Wir hätten auch 40 000 Karten verkaufen können", sagt der sportliche Leiter Andreas Bornemann.

Der Hunger nach großem Fußball in der Handball-Hauptstadt Deutschlands ist offenbar so groß wie bei einem Storch, der seit vier Wochen keinen Frosch mehr erwischt hat. Die letzten 2500 der insgesamt 11 500 Eintrittskarten waren im Januar innerhalb von 17 Minuten verkauft - das stellt sogar den THW Kiel in den Schatten, den Handball-Rekordmeister, dessen Begegnungen stets ausverkauft sind.

Der Schwarzmarkt hat Preise aufgerufen, die schamlos sind. Jemand hat mehr als 1000 Euro für eine Stehplatzkarte (Normalpreis 15 Euro) gefordert. Ein anderer verlangte 5905,96 Euro für zwei Vip-Seats. Und weil das Zuschauer-Interesse so groß ist, hatten die Vereinsverantwortlichen ein Public Viewing in der Arena geplant, in der sonst der THW spielt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) erlaubt solche Nebenveranstaltungen wegen der Verträge mit dem Fernsehen jedoch erst im Halbfinale.

Schon wird fleißig investiert

Holstein Kiel hat den einen oder anderen Euro, den die außergewöhnlichen Pokaltriumphe einspielten, schon wieder ausgegeben. Der ramponierte Rasen, der im Dezember vielleicht seinen Teil dazu beitrug, dass Holstein die spielerisch besseren Mainzer so beherrschte, wurde gegen einen holländischen Rollrasen ausgetauscht, der wegen der Frosttemperaturen mit einem 150 000 Euro teuren Klimazelt überdacht wurde.

Stadion von Holstein Kiel vor Pokalspiel gegen Borussia Dortmund

Eine Plane schützt den neuen Rasen im Holstein Stadion.

(Foto: dpa)

Zudem gönnten die Verantwortlichen dem Team zwei Trainingslager in der Winterpause - eines im türkischen Side, wo auch viele Profiklubs sich auf die Rückrunde vorbereiteten, und eines vom vergangenen Freitag bis zum Sonntag im dänischen Lügumkloster, wo vor allem an der Abwehrtaktik gearbeitet wurde.

Auch für den Frieden mit dem Gegner haben die Kieler etwas getan. 12 000 Euro mussten sie beim DFB zahlen, weil neben einigen pyrotechnischen Einlagen der Fans die euphorisierten Holstein-Spieler nach dem 2:0 gegen Mainz und der danach erfolgten Auslosung den Gegner deftig beleidigt hatten. Während Trainer Thorsten Gutzeit vor den TV-Kameras seriös antwortete, stimmte sein Team im Hintergrund Schmähgesänge gegen Borussia Dortmund an.

Vor dem Borussia-Spiel gegen Hoffenheim Ende Januar wurde auf der Videowand in der Dortmunder Arena ein Film eingespielt, in dem die Holstein-Fußballer mit Borussia-Shirts und -Schals um Verzeihung baten. Der in Dortmund anwesende Kieler Torwarttrainer Carsten Wehlmann konnte immerhin von einem "dezenten Applaus" der 80 000 Zuschauer berichten.

Berlin oder Aufstieg?

Großes Publikum für Holstein also schon vor dem "Spiel des Jahrhunderts", wie die Kieler Nachrichten titelten. Und auch der jüngste Spruch des Trainers Gutzeit wird vielleicht in die Pokalgeschichte eingehen. "Wir müssen", sagte er, "Dortmund irgendwie auf unser Niveau runterziehen." Dabei hat der KSV Holstein ja eigentlich nur ein Saisonziel: den Aufstieg in die dritte Liga, um den sich der derzeitige Tabellenzweite aus Kiel mit dem Tabellenführer RB Leipzig streitet.

Am 12. Mai, wenn das Pokalfinale in Berlin stattfindet, hat Kiel laut Viertliga-Spielplan den VfB Germania Halberstadt zu Gast. Im Holstein-Internetforum hat man dazu schon eine prima Idee. Im Endspiel könne man ja mit der ersten Mannschaft antreten, die zweite sichere gleichzeitig gegen Halberstadt den Aufstieg. Dann, meint ein vorwitziger Fan, habe man "an einem Tag doppelt etwas zu feiern".

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