Erster Bundesliga-Erfolg von Holstein Kiel:Und das Trikot soll ins Museum

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Magnus Knudsen links und Marko Ivezic feiern den ersten Kieler Bundesliga-Sieg. (Foto: Claus Bergmann/Imago)

Historischer Tag: Dem Aufsteiger Holstein Kiel gelingt sein erster Bundesligasieg auch deshalb, weil er die Eigenschaften des Gegners aus Heidenheim für sich entdeckt.

Von Thomas Hürner, Kiel

Wo ein Sieg seinen Ausgang nahm, ist manchmal nicht so leicht zu sagen. Noch undurchsichtiger wird die Angelegenheit, wenn dieser Sieg nicht irgendein Sieg war, sondern einen echten Meilenstein für einen vergleichsweise kleinen Fußballverein markiert. Nostalgiker erinnern in solchen Momenten gern an den unüberwindbaren Libero aus der damaligen Oberliga-Aufstiegsmannschaft, ohne den alles Weitere gar nicht erst möglich gewesen wäre, und Romantikern fallen als Erstes jene sentimentalen Momente ein, in denen Geist und Selbstverständnis geschaffen wurden. All das hat beim ersten Bundesliga-Erfolg von Holstein Kiel natürlich auch eine gewichtige Rolle gespielt. Am Samstag, nach dem 1:0 gegen den 1. FC Heidenheim, waren sich die Beteiligten allerdings darin einig, dass auch der Lärm vor dem Anpfiff etwas zu diesem Sieg beigetragen haben muss.

Und weil der Lärm so groß war, war auch eine Leitfigur aus der Kieler Fanszene an diesem Erfolg mutmaßlich nicht ganz unbeteiligt. Ihm war vor Spielbeginn das Stadionmikrofon anvertraut worden, damit er eine Art Motivationsrede halten konnte, nach welcher sich einige im schnuckligen Holstein-Stadion gefragt haben dürften: Hoppla, ob der Kieler Trainer Marcel Rapp das in der Kabine genauso leidenschaftlich hinbekommt? Der Capo schien sich jedenfalls mit jedem gesprochenen Wort mehr in den von Al Pacino gespielten Footballcoach aus dem Film „An jedem verdammten Sonntag“ zu verwandeln. „Wir haben uns das vielleicht ein bisschen einfach vorgestellt“, dröhnte es aus den Boxen, und klar, die ersten Wochen in der ersten Liga seien „nicht optimal gelaufen“. Doch letztlich, fügte er unter lautem Jubel aus dem Publikum hinzu, hätten die Kieler ja insgesamt 34 Saisonspiele zu absolvieren und somit „34 Feiertage“ zu genießen: „Dabei hat nie jemand damit gerechnet, dass wir überhaupt mal ein Erstligaspiel machen dürften!“

Das stimmt. Zwischenzeitlich hatten sich gemeine Skeptiker allerdings auch gefragt, ob die Kieler überhaupt eines dieser Erstligaspiele gewinnen würden. Nicht wegen zuvor mieser Leistungen, nicht wegen des Engagements, das bei den Kielern in dieser Saison immer riesig war. Und ganz sicher nicht wegen fehlenden Ideenreichtums des Trainers Rapp, der sich für jedes dieser Spiele eine schlüssige Herangehensweise überlegt hatte. Doch irgendwie wirkten die Kieler mit dieser Liga ein wenig überfordert. Alles ging ein wenig zu schnell, vergleichsweise ordentliche Auftritte mündeten in teils deutliche Niederlagen. Es hatte den Anschein, als ginge es ihnen in der Erstklassigkeit ein wenig zu ruppig zur Sache, zumal sie unter der Woche erst im DFB-Pokal am Zweitligisten 1. FC Köln gescheitert waren. Spätestens seit diesem 0:3 waren Bedenken über die individuelle Qualität der Küstenstädter deutlich zu vernehmen gewesen.

Nun gelte es aber weiter an „inhaltlich gutem Fußball“ zu feilen, sagt Trainer Rapp

„Wir haben gehört, dass es sehr laut war“, sagte der Kieler Mittelfeldmann Nicolai Remberg, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Kabine befunden hatte. Ihm gefiel die Ouvertüre vom Mann am Stadionmikrofon. Und auch wenn der kausale Zusammenhang etwas konstruiert sein dürfte, so schien sich doch ein wenig dieser Energie auf die Kieler Mannschaft übertragen zu haben. Denn Remberg stellte hinterher beeindruckt fest, was es bringe, dem Gegner „auch mal weh zu tun“. Womöglich war das die Erkenntnis des Tages: Die Kieler waren im besten Sinne eklig – und das im Duell mit den ligaweit gefürchteten Heidenheimern, einem Team also, das diese Art Resolutheit wie nur wenige sonst kultiviert hat.

TV-Rechtevermarktern mag es bei der Spielansetzung Holstein gegen Heidenheim zunächst zwar die Schweißperlen auf die Stirn getrieben haben, doch für den Unterhaltungswert dieser Partie musste sich hinterher keiner schämen. Denn abgesehen von knisternder Spannung hielt der Nachmittag noch ein paar Nebenstränge bereit, die zeigten, wo die Kieler herkommen und was sie für ihr großes Saisonziel, den Klassenverbleib, in jeder Spielminute abrufen müssen. Da war etwa der Verteidiger Patrick Erras, der in den vergangenen Wochen mitunter ein wenig überfordert gewirkt hatte und nun berichten durfte, dass sein Trikot mit der Nummer 4 womöglich bald im Kieler Vereinsmuseum hängen könnte. Dieser Vorschlag war ihm nach Schlusspfiff jedenfalls unterbreitet worden, denn Erras war es, der den entscheidenden Treffer zum ersten Kieler Bundesligasieg beigesteuert hatte: Der lange Abwehrmann schraubte sich in der 28. Minute in die Luft und köpfelte den Ball nach einer cleveren Vorlage von Max Geschwill ins Heidenheimer Tor.

Patrick Erras (Nummer vier), 1,96 Meter lang, köpft das Tor zum ersten Kieler Bundesligasieg. (Foto: IMAGO/KBS-Picture Kalle Meincke/IMAGO/KBS-Picture)

Da waren auch die umtriebigen Magnus Knudsen und Steven Skrzybski, die das Zentrum im Griff und vorne immer wieder schlaue Einfälle hatten. Und nicht zuletzt war da auch der Stürmer Phil Harres, der im Sommer vom Regionalligisten FC 08 Homburg zu den Kieler Profis wechselte und zunächst Regionalligaspieler blieb, weil er lediglich für Holstein II zum Einsatz kam. Harres war die Regionalliga in seinen manchmal überhasteten Aktionen teilweise noch anzumerken, aber er beschäftigte die Heidenheimer Verteidiger mit stabiler Physis und vertikalen Läufen. „Ich habe nie gedacht, wie blöd hier jetzt alles ist“, sagte der 22-Jährige mit Blick auf die zurückliegenden Wochen: „Dass jetzt alles so schnell geht, hätte ich aber nicht gedacht.“ Seine zehn ersten Bundesliga-Minuten bekam Harres in der Vorwoche beim 1:2 gegen Stuttgart gewährt, am Samstag feierte er nach langwieriger Akklimatisierungsphase nun sein Debüt in der Kieler Startelf.

Als der Tag bereits von der Nacht verdrängt worden war, verstiegen sich einige Kieler Spieler sogar zu der mutigen Beobachtung, dass sich dieser Sieg ähnlich bewegend anfühle wie der Aufstieg vor einem halben Jahr. So sentimental wollte der Holstein-Coach Marcel Rapp nicht werden. Auch er verspüre zwar „große Freude“, sagte der Trainer, aber nun gelte es weiter an einem „inhaltlich guten Fußball“ zu feilen. Ein wenig feiern wollte er den Erfolg aber dennoch – zu Hause mit seiner Familie und einer Cola Zero.

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