Holstein im DFB-Pokal gegen Bayern:Kiel, die Sportzentrale des Landes

Die Handballer des THW holen die Champions League, die Fußballer von Holstein werfen den FC Bayern aus dem Pokal - die Stadt Kiel erlebt gerade aufregende Tage.

Von Peter Burghardt

Das schöne Schleswig-Holstein wird ja seit einiger Zeit gerne übersehen, wenn es um großen Fußball geht, man spielt da oben vor allem großen Handball. Schleswig-Holstein war seit deren Gründung 1963 nie in der Fußball-Bundesliga vertreten. Dabei hat die Region einen wunderbaren Verein, "die Störche" genannt, und ein wunderbares Stadion, das dem Grünwalder Stadion der Münchner Löwen eindeutig ähnlicher ist als der Arena des FC Bayern.

Das weiß jetzt endlich fast ganz Deutschland, seit Holstein Kiel am späten Mittwochabend die Bayern im Schneesturm und live im Ersten aus dem Pokal geblasen hat.

Holstein Kiel war einst sogar Deutscher Meister

Es war in gut 120 Jahren der größte Moment des Klubs seit der deutschen Meisterschaft 1912, damals mit einem 1:0-Sieg in Hamburg gegen den damaligen Karlsruher FV, wer erinnert sich nicht. Holstein Kiel hat mal in der dritten Liga gespielt, zwischendurch in der vierten, seit 2017 wieder in der zweiten.

2018 ging die Relegation für den Aufstieg in die Bundesliga gegen den VfL Wolfsburg verloren, in dieser Saison probieren es die Männer von der Förde wieder, als aktueller Zweitligadritter hinter dem Hamburger SV und dem VfL Bochum. Aber an diesem 13. Januar 2021 hat die Hauptstadt des Landes zwischen den Meeren vor den Augen der Nation einen Moment gefeiert, der noch mehr bestaunt wurde als kürzlich der erneute Triumph des THW Kiel in der Champions League der Handballer.

Der THW Kiel ist im Handball eine Art FC Bayern des Nordens, ein international bewunderter Seriensieger. Dieser weitere Titel gelang gegen den FC Barcelona, der Holstein Kiel noch recht fern ist. Kiel jedenfalls, knapp 250 000 Einwohner, darf sich vorübergehend als deutsche Sportzentrale fühlen. Welche Stadt bezwingt sonst binnen weniger Tage Barca und Bayern? Den Handball-Europacup hat Kiel wieder erobert, im DFB-Pokal darf Kiel weitermachen, im Achtelfinale gegen Darmstadt 98.

Eine Pleite wie in Kiel ist dem FC Bayern lange nicht passiert

Und dies war keine irgendwie folkloristische Niederlage eines Erstligisten, wie sie in einer zünftigen Pokalnacht halt mal vorkommt, dem FC Bayern allerdings seit zwei Jahrzehnten nicht mehr passiert ist. Das war nicht wie im November 2000 in Magdeburg, 1994 bei Harry Kochs SpVgg Vestenbergsgreuth oder 1978 gegen Andreas Wagners VfL Osnabrück. Die Bayern der Neuzeit sind nicht weniger prominent besetzt als bei jenen Blamagen, aber sie trafen auf einen Zweitligisten, der nicht zufällig ernsthafte Chancen hat, sich in einen Erstligisten zu verwandeln.

Natürlich erleuchten solche Sternstunden Helden, in diesem Fall sind es mehrere. Da ist vorneweg Fin Bartels, 33 Jahre alt, die Schläfen schon grau. Der Stürmer kam 1987 in Kiel zur Welt und kehrte 2020 von Werder Bremen heim. Er schoss nach langem Pass von Jannik Dehm das 1:1, mit dem rechten Fuß ins linke Eck. Und er verwandelte mit demselben Fuß den elften und letzten Elfmeter, ins rechte Eck.

Da ist der Torwart Ioannis Gelios, der beim 0:1 Serge Gnabry den Ball vor die Füße boxte (wobei der Schütze im Abseits stand), und dann den Elfmeter von Marc Roca hielt. Da sind die hochgelobten Innenverteidiger Stefan Thesker und Hauke Wahl; Kapitän Wahl, der gebürtige Hamburger, köpfelte kurz vor Abpfiff das 2:2.

Das alles fügte sich in eine auffällig gelungene Gruppendynamik einer kompakten, organisierten Mannschaft. Dahinter steht der Plan eines anderen Kieler Helden, des Trainers Ole Werner, geboren vor erst 32 Jahren in Preetz ganz in der Nähe und ebenfalls in Kiel aufgewachsen. Dass man sich auf solche Spielsituationen vorbereitet habe, "bringen ja auch die Kräfteverhältnisse mit sich", sagte Werner. "Es war klar, dass Bayern viel mehr Ballbesitz haben würde und wir früher als üblich den langen Ball einsetzen müssten."

Kiels historische Gelegenheit

Es war für jeden sichtbar, dass diese Kieler an ihre historische Gelegenheit geglaubt hatten, trotz gewisser Unterschiede. Zum Vergleich: Der Kader des FC Bayern hat laut transfermarkt.de einen Marktwert von 891,40 Millionen Euro, allein Manuel Neuer (18 Millionen Euro) ist teurer als ganz Holstein Kiel (17,63 Millionen Euro). Dennoch fand Hauke Wahl, dass es in der zweiten Liga fast schwerer sei, "ohne den Bayern zu nahe treten zu wollen".

Es wurde pandemieverträglich gefeiert, auf den Straßen mit Hupkonzert. Auch Ministerpräsident Daniel Günther gratulierte, "unheimlich stolz darauf, dass Holstein Kiel diese Sensation geglückt ist". Der Kieler Bürgermeister ließ das Rathaus beflaggen, selbstverständlich mit der Fahne von Holstein Kiel.

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