Hollands Sturmhoffnung Robin van Persie:Zwischen Möhren und Kartoffeln

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Beim FC Arsenal hat er eine fabelhafte Saison gespielt, nun plant er auch bei der Fußball-EM zu überzeugen: Der Niederländer Robin van Persie möchte seine obsessive Liebe zum Ball in Titel umsetzen - und muss seinen Landsleuten zeigen, dass er besser als sein Schalker Kollege Klaas-Jan Huntelaar ist.

Raphael Honigstein

Holländische Profis reden, man weiß das, sehr gerne. Für Robin van Persie, den vielleicht eloquentesten, wahrscheinlich auch wichtigsten Spieler des Teams aber wird es eine EM des Schweigens werden. Der 28-Jährige erwägt, den FC Arsenal im August nach seiner großartigen individuellen Spielzeit zu verlassen, weil er zur Abwechslung auch mal Trophäen gewinnen will. Da seine Entscheidung aber erst nach dem Turnier fallen soll, hat der Verband ihn von der Medienarbeit weitgehend befreit. "Ich habe Arsenal versprochen, nichts zu kommentieren, daran halte ich mich", sagt er.

Konkurrenten um einen Platz im Sturm: Klaas-Jan Huntelaar (rechts) und Robin van Persie. (Foto: dpa)

Den Niederlanden ist es recht so. Man vertraut darauf, dass der als "Schüsselspieler des Turniers" (Ex-Nationalspieler Edgar Davids) eingeschätzte Angreifer ohne Worte die richtigen Antworten geben wird. "Es ist wunderbar, mit ihm zusammen zu spielen", sagt Ibrahim Afellay (FC Barcelona), der zum Auftakt gegen Dänemark rechts neben RVP auflaufen wird. "Wir haben diesen Klick, wir sprechen beide die Fußballsprache."

In der Heimat würden viele Fans lieber Schalkes Klaas-Jan Huntelaar in der Sturmspitze der Oranjes sehen; die Experten sind anderer Meinung. "Er hat für Arsenal Unglaubliches geleistet und muss natürlich auch in der Nationalelf auf seiner Position spielen", sagt der frühere Nationalspieler Jimmy Floyd Hasselbaink. Tonny Bruins Slot, der Ajax-Chefscout und enge Vertraute von Johan Cruyff, glaubt gar, der als selbst erklärte "Neuneinhalb" gerne in der Tiefe agierende van Persie könne beim Turnier "eine ähnliche Rolle wie Cruyff in der WM 1974" ausfüllen.

Für die Gunners traf van Persie 37 Mal in allen Wettbewerben und wurde zum Spieler des Jahres gewählt. "Die Statistik erzählt nur die Hälfte der Geschichte", sagt van Persie, "ich fühle mich besser und fitter als je zuvor." Sein Stürmer sei "sensationell" gewesen, schwärmte Trainer Arsène Wenger, der es mit Arsenal nach einer chaotischen Runde nur dank der Weltklasseleistungen des spielstarken Torjägers auf den dritten Platz schaffte. "Seine Tore haben uns über Wasser gehalten."

Das Kicken lernte der Sohn eines Künstlerehepaars auf einem eingezäunten Bolzplatz zwischen Migrantenkindern, die ihn "den Holländer" riefen; doch er machte als Kind ganz Kralingen zu seinem persönlichen Spielfeld. In dem kleinbürgerlichen Viertel im Osten Rotterdams fürchtete man diesen aufgekratzten Straßenschreck, der täglich im Trainingsanzug mit dem Ball am Fuß herumstreunte, nichts-ahnende Passanten umdribbelte und den Gemüsehändler mit Tricks zwischen Möhren und Kartoffeln zur Weißglut trieb.

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"Ich bin mit dem Ball einkaufen gegangen, in die Schule, ich habe alles mit Ball gemacht", hat der 28-Jährige dem Magazin Hard Gras erzählt. "In Läden jonglierte ich, und wenn jemand vorbei kam, spielte ich ihm durch die Beine. Aus heutiger Sicht war das vielleicht ein bisschen extrem, aber in Wahrheit bin ich immer noch ein bisschen so."

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Die leicht obsessive Liebe zur Lederkugel legte sich auch nach Beginn seiner Profikarriere nur langsam. Als Teenager bei Feyenoord nahm van Persie dem Starstürmer Pierre van Hooijdonk einst den Ball vor einem Freistoß weg und wurde dafür von Rotterdams Trainer Bert van Marwijk - dem heutigen Bondscoach - aus dem Kader geworfen.

Die Szene wiederholte sich vor vier Jahren bei der EM in der Schweiz: Beim 1:3 gegen Russland im Viertelfinale schoss van Persie ungefragt einen ruhenden Ball aufs Tor, den sich Wesley Sneijder zurecht gelegt hatte. Vor zwölf Monaten, in einem Freundschaftsspiel gegen Brasilien (0:0), stürmte er nach seiner Auswechslung aufgebracht in die Kabine; Arjen Robben hatte ihn kurz zuvor freistehend vor dem Tor ignoriert. "Ich hätte das nicht machen sollen, aber ich sehe Fußball anders als Robben", hat er hinterher gesagt.

In Nord-London staunten im vergangenen Sommer viele, dass Wenger ausgerechnet den als Egoisten verschrienen, enorm verletzungsanfälligen Niederländer zum Kapitän ernannte. Doch van Persie stürzte sich regelrecht in die Aufgabe, organisierte Mannschaftsessen und Golf-Ausflüge. Und auf dem Platz wurde er, erstmals seit seinem Wechsel nach London vor acht Jahren von Blessuren verschont, zum überragenden Akteur der abgelaufenen Saison. Gegnerische Fans scherzten angesichts des unübersehbaren Qualitätsdeltas zwischen ihm und seinen Mitspielern, der Souvenirshop im Stadion müsste schnellstens ein "van Persie-Tablett" anbieten, mit dem man "zehn Flaschen" tragen könne.

Van Persie glaubt, nach drei persönlich eher enttäuschenden Turnieren mit insgesamt drei Treffern, seine Arsenal-Form auch in diesem Juni zeigen zu können. "Ich habe mich vor großen Turnieren immer stark unter Druck gesetzt, aber das ist jetzt anders. Ich habe im Verein Erfahrung gesammelt und kann auf ein tolles Jahr zurückblicken." Bei Arsenal würde man sich über einen Erfolg der Niederlande bestimmt auch freuen: Vielleicht kann er seine Lust nach Titeln ja in Orange stillen.

© SZ vom 09.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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