Hollands Sieg im Elfmeterschießen:Van Gaals Coup mit Tim Krul

Netherlands v Costa Rica: Quarter Final - 2014 FIFA World Cup Brazil

Gesegelt und gehalten: Tim Krul.

(Foto: Getty Images)

120 Minuten sind gespielt, da wechselt Louis van Gaal den Torhüter - und Tim Krul hält im Elfmeterschießen tatsächlich zwei Schüsse. Nach zähem Spiel besiegt die Niederlande Costa Rica und erreicht das WM-Halbfinale. Krul kann sein Glück kaum fassen.

Von Carsten Eberts

Louis van Gaal hatte sich einen letzten Kniff überlegt. Die 120. Minute war auf der Uhr heruntergetickt, da wechselte der Bondscoach seinen Torwart aus. Jasper Cillessen musste runter, Tim Krul trabte aufs Feld, kurz darauf pfiff der Schiedsrichter ab. Krul hatte nicht einen Ball berührt. Und musste direkt ins Elfmeterschießen.

Krul, 26, hält normalerweise in England seine Bälle, bei Newcastle United, und er hat sich dort den Ruf eines Elfmeterkillers erarbeitet. Van Gaal ist dies nicht verborgen geblieben, also entschied er sich zu diesem wagemutigen Schritt. Es klappt derzeit vieles im Fußballleben des Louis van Gaal - und so überraschte nicht, dass Krul noch eine herausragende Rolle spielen sollte.

Costa Ricas Kapitän Bryan Ruiz lief an, zielte nach unten rechts, Krul tauchte ab, der Ball klatschte an seinen Arm. Später hielt Krul auch noch den Schuss von Michael Umana; weil alle Holländer trafen, gewannen sie das Spiel 4:3 nach Elfmeterschießen.

Die Niederlande stehen damit im WM-Halbfinale, treffen am Mittwoch auf Argentinien. Und van Gaal? Wird immer mehr zur Figur dieser Titelkämpfe. Er hält sich, das lässt sich ohne Übertreibung konstatieren, für den besten Trainer dieses Erdballs. Doch er tut auch einiges dafür, um diesen selbsterwählten Ruf aktuell zu rechtfertigen. Er hat schon Stürmer eingewechselt, die anschließend Siegtore erzielten. Er hat während einer Trinkpause seine Taktik verändert, um auch dieses Spiel zu gewinnen. Nun der Coup mit Krul.

Krul konnte seine Gefühle kaum in Worte fassen. Er versuchte es: "Da sitzt du das ganze Spiel auf der Bank, siehst Chancen über Chancen und dann musst du rein und das Halbfinale retten - das ist fantastisch." Ein "Kindheitstraum" gehe für ihn in Erfüllung, sagte Krul. Und nochmal: "Unglaublich."

Viel war über die Taktik vor diesem Duell gesprochen worden, doch es war nicht wirklich so, dass hier zwei Abwehr-Fünferketten aufeinander trafen. Die Costa Ricaner errichteten sehr wohl ihren imposanten Abwehrriegel, davor zusätzlich abgesichert mit einer Viererkette. Die Holländer agierten deutlich offensiver. Die avisierte Fünferkette war zu einer Dreierkette verkümmert, stattdessen machten Dirk Kuyt und Memphis Depay über die Außen Druck. In der achten Minute dann Arjen Robbens erster Antritt in den Strafraum, ein langes Bein der Costa Ricaner - doch Robben sprang drüber hinweg, der Ball kullerte ins Aus. Auch die Debatte um Robbens Flugkünste erfuhr zunächst keine Fortschreibung.

Zum ersten Mal überhaupt trafen beide Teams in der langen Geschichte des Weltfußballs aufeinander, schon nach einer Viertelstunde verfestigte sich der Eindruck, dass diese Premiere ein zäher, langer Abend werden könnte. Die Niederländer ließen den Ball kreisen, die Männer aus Costa Rica warteten und machten die wenigen Vorstöße des Gegners ohne Probleme unschädlich. Derweil lauerten sie auf Konter, doch nun ja: Sie lauerten. Mehr nicht.

Sneijder trifft doppelt Aluminium

Erst nach 20 Minuten der erste Torschuss, dann aber ein richtiger: Kuyt vollführte eine Drehung an der Strafraumgrenze und steckte das Spielgerät herrlichst auf Robin van Persie durch, der diesen Ball durchaus hätte verwerten dürfen, jedoch völlig frei an Keeper Keylor Navas scheiterte. Van Gaal hatte auf seinem Trainerbänkchen indes ein finsteres Gesicht aufgezogen. Er wusste genau, was ihm in der Heimat im Fall einer Viertelfinal-Pleite gegen Costa Rica geblüht hätte.

Die Holländer wirkten nun aber, als wollten sie die Partie nicht zu einem Geduldsspiel verkommen lassen. Sie überfielen ihre Gegner nun blitzartiger, nach einer halben Stunde nahm van Persie einen Ballverlust der Costa Ricaner auf, legte genau richtig auf Depay ab, der genau im richtigen Moment Abzug - wieder stand Navas jedoch so dermaßen richtig, dass er den Ball per Fußabwehr klären konnte. Und auch die dritte Gelegenheit entschärfte Navas, diesmal einen 28-Meter-Freistoß von Wesley Sneijder.

Ehe sich der geneigte WM-Gucker versah, waren in Halbzeit zwei auch schon wieder 25 Minuten gespielt - jedoch ohne nennenswerte Offensivszenen auf beiden Seiten. Auch das Publikum schaltete allmählich ab. In langen Sprechchören schickten die Zuschauer gute Wünsche an Neymar, Brasiliens an den Wirbeln verletzten Schützenkönig, der aufgrund seiner Verletzung bei dieser WM nicht mehr auflaufen kann. "Neymaaaaaar, Neymaaaaar" hallte es durch die Arena Fonte Nova in Salvador. Auf dem Platz tat sich weiterhin nicht viel. Wieder eine Ecke für Holland, wieder klärte Costa Rica mühelos.

Im Schnitt war Holland bislang dreimal pro WM-Auftritt erfolgreich. Es war klar, dass sie diese Quote an diesem Abend nicht halten können würden. Van Gaal brachte den jungen Jeremain Lens von Dynamo Kiew, doch es dauerte bis zur 82. Minute, ehe sich mal wieder eine größere Torchance einstellte. Nicht aus dem Spiel heraus, aber durch einen Freistoß, den Sneijder vom linken Strafraumeck an den linken Pfosten zirkelte. In der Nachspielzeit dann noch eine kuriose Situation, als drei Holländer im Fünfmeterraum am Ball vorbeirutschten, ehe van Persie das Leder an die Latte drosch. Van Gaal richtete den Blick starr auf den Rasen. Verlängerung.

In der abermaligen Pause richtete Robben klatschnass geschwitzt einen Appell an seiner Mitspieler, zürnte, gestikulierte. Van Gaal brachte Klaas-Jan Huntelaar, der ihn gegen Mexiko schon einmal gerettet hatte, versuchte es nun mit zwei Stürmern. Die beste Chance hatten dann tatsächlich noch die Costa Ricaner, als der eingewechselte Marcos Urena am herausstürmenden Holland-Keeper Jasper Cillessen scheiterte. Auf der anderen Seite haute Sneijder den Ball zum zweiten Mal an diesem Abend ans Aluminium, diesmal an die Latte (119.).

Das Publikum brüllte nun, die Brasilianer hatten sich längst auf die Seite des Außenseiters geschlagen. Das Elfmeterschießen musste her. Und Krul kam.

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