Holländische Nationalelf:Oranje quält sich aus dem Chaos

Holländische Nationalelf: Vieles ist neu bei den Holländern, aber Wesley Sneijder ist immer noch da - gegen Schweden traf er zum 1:1.

Vieles ist neu bei den Holländern, aber Wesley Sneijder ist immer noch da - gegen Schweden traf er zum 1:1.

(Foto: AP)

Nach der verpassten EM-Teilnahme suchen die Niederlande nach ihrer Fußball-Identität - beim 1:1 gegen Schweden sehen Experten wie Youri Mulder positive Zeichen für die Zukunft.

Von Christopher Gerards

Das Spiel, das er als "das vermutlich wichtigste der WM-Qualifikation" bezeichnet hatte, sollte gleich beginnen, aber Wesley Sneijder wandte sich erst einem Einlaufkind zu. Sneijder war gerade im Spielertunnel des Stadions von Solna angekommen, Dienstagabend, WM-Qualifikationsspiel der Niederlande gegen Schweden, die TV-Kameras zoomten auf sein Gesicht. Schmatzend stand der Kapitän der Niederländer da, ein Kaugummi im Mund, dann zwinkerte er dem Jungen zu.

"Bist du aufgeregt?", rief Sneijder.

"Ja!", rief der Junge, "ich habe ein kleines, kleines bisschen Angst."

"Nein, hab keine Angst, okay?"

"Okay!"

"Entspann dich, relax. Genieß es."

Entspannt euch! Das war die Botschaft, die Wesley Sneijder vor dem Spiel an die Einlaufkinder sendete. Und es war eine Botschaft, die er später, auf dem Platz, noch einmal verbreitete, diesmal aber ohne zu sprechen. Er schoss den Ball einfach ins Tor, in der 67. Minute, zum 1:1-Endstand.

So ein Unentschieden gegen Schweden lässt sich in viele Richtungen deuten, man kann es zum Beispiel machen wie Danny Blind, der niederländische Nationaltrainer. "Wir haben vergessen, uns selbst zu belohnen", sagte er. Blind rechnete vor, dass seine Mannschaft ein 3:1 verdient gehabt hätte, vielleicht sogar ein 4:1, so viele Chancen habe die Elftal gehabt. Andererseits hat dieses schlichte Einseins auch etwas Erstaunliches bewirkt.

Es hat die Stimmung rund um die Nationalmannschaft gedreht. Hatten niederländische Medien die Nationalelf vor wenigen Tagen noch vor dem "totalen Nichts" (De Volkskrant) gesehen, klangen sie diesmal fast schon optimistisch. "Das Spiel bot vorsichtige Hoffnung für die Zukunft", fand etwa das Algemeen Dagblad, es habe nur das Glück gefehlt.

Noch einmal zur Erinnerung: Die Elftal ist jene Mannschaft, die 2010 WM-Zweiter wurde und 2014 WM-Dritter. Es ist aber auch die Mannschaft, die in der Qualifikation zur EM in Frankreich ausgeschieden ist, hinter Tschechien, hinter Island, hinter der Türkei. Es ist eine Mannschaft, die ihre fünf jüngsten Heimspiele verloren hat. Und eine, um die herum es in den vergangenen Wochen vor allem eines gegeben hat: Diskussionen.

Zum Beispiel die über die Co-Trainer. Bislang galt die Besetzung dieser Position nicht als Thema, das einen nationalen Notstand auslösen könnte, aber in den Niederlanden waren sie zuletzt knapp davor. Das kam so: Erst stellte Dick Advocaat, einer der beiden Co-Trainer, sein Amt zur Verfügung, Mitte August war das. Dann verkündete der andere, Marco van Basten, dass er die Elftal bald verlassen wolle, in Richtung Fifa.

Chaos oder Neubeginn?

Eigentlich sollte Ruud Gullit Advocaats Nachfolger werden - er wurde es aber doch nicht. Begleitet wurde das von öffentlichen Anschuldigungen, die zwischen Gullit und dem neuen Technischen Direktor Hans van Breukelen hin- und herflogen. "Oranje im Griff des Chaos", schrieb das Fachmagazin Voetbal International.

Und dann gibt es ja auch noch diese andere Frage: Qualifizieren sich die Niederlande, inzwischen nur noch auf Platz 26 der Fifa-Rangliste, für die WM, in einer Gruppe mit Frankreich und Schweden - bei nur einem festen Platz fürs Turnier?

Youri Mulder hat das Spiel in Schweden im Stadion gesehen, der frühere Schalke-Profi arbeitet als Experte fürs niederländische Fernsehen. "Ein recht gutes Spiel", sagt Mulder am Tag danach, aber er sagt auch: "Es herrscht so ein bisschen die Seuche." Da war zum Beispiel die Szene, in der Kevin Strootman den Ball verlor und Marcus Berg ihn sich schnappte und zum 1:0 für Schweden ins Tor lupfte (43.). Und da war die Szene kurz vor Schluss, Bas Dost hatte zum 2:1 für die Niederlande getroffen, eigentlich. Der Schiedsrichter fand jedoch, dass Dost seinen Gegenspieler umgestoßen hatte, er entschied auf Foul. Mulder hat die Szene anders gesehen, und deshalb spricht er von "Murphy's Law". Das besagt: Was schiefgehen kann, geht auch schief.

Der niederländische Fußball erlebt gerade eine Zeit, in der es wenige Fragen gibt, die nicht gestellt werden. Soll Danny Blind vom identitätsstiftenden 4-3-3-System abrücken? Soll er ein 5-3-2 spielen lassen, so wie Louis van Gaal bei der WM 2014? Sind die Spieler noch gut genug - nun, da Robin van Persie nicht mehr nominiert wird; da Arjen Robben oft verletzt ausfällt? Wie sollen Jugendspieler ausgebildet werden? Um diese Themen dreht sich die Diskussion, und der Verband KNVB hat auf manche von ihnen eine eigene Antwort gegeben. Sie heißt: "Winnaars van Morgen", die Gewinner von morgen, ein sogenanntes "Innovationsprogramm".

Grob gesagt: Der KNVB will in der Jugendausbildung mehr Fokus auf die körperliche Entwicklung legen. Er will eine Siegermentalität vermitteln, besser verteidigen lassen, solche Dinge. Youri Mulder findet, dass es vor allem um eines gehen müsse: darum, "den neuen Robben auszubilden". Er sagt: "Leute wie er entscheiden ein Spiel. Technik, Schnelligkeit, Torgefahr - das zieht die Fans ins Stadion."

Es ist Mulders' persönliche Meinung, aber er weiß auch, dass die Lösung für die Probleme nicht so einfach ist. "Der niederländische Fußball steht auf einer Kreuzung. Welchen Weg muss man nehmen? Linksrum oder rechtsrum?", sagt er. Wohin die Wege führen? "Hoffentlich wieder zu Erfolg."

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