Neue Holländer in der Bundesliga:Pragmatiker aus dem Wohnwagenland

Die Huntelaarisierung der Liga schreitet fort: Gladbachs Rekordtransfer Luuk de Jong ist ein zweckorientierter Angreifer, der nicht zickt und auch die Mitspieler einsetzt. Er zählt im Lande der Fußball-Romantiker zu den Realisten - auch in Wolfsburg freuen sie sich auf einen nüchternen Niederländer.

Christof Kneer

Klischees sind auch deshalb so wertvoll, weil sie das Leben einleuchtend und übersichtlich machen. Man weiß zum Beispiel, dass der Holländer seine Wohnwagen im Schritttempo über Alpenpässe steuert, dass er seine Tomaten vorsätzlich mit Wasser füllt und dass er vom rechten Flügel nach innen zieht, vier Mitspieler übersieht und dann drüber schießt. Arjen Robben ist Holländer, Eljero Elia ist Holländer, Ryan Babel ist Holländer.

Borussia Mönchengladbach

Neu in Mönchengladbach: Der Niederländer Luuk de Jong.

(Foto: dpa)

Ihre Qualitäten werden gerade kritisch diskutiert in der deutschen Bundesliga, und vereinfacht gesagt kommen die drei Debatten zum selben Ergebnis: Robben, Elia und Babel zählen zur Spezies der Diven. Sie übersehen quasi hobbymäßig die Mitspieler, wenn sie vom Flügel nach innen ziehen, Robben wird in München manchmal ausgepfiffen, Elia ist nach Bremen geflüchtet, um dort seine letzte Chance zu nutzen, Babel muss Hoffenheim wohl bald verlassen. Luuk de Jong ist auch Holländer. Er ist vielleicht sogar der Holländer der Woche.

De Jong, 21, hat Robben in dieser Woche aus den Schlagzeilen verdrängt, das muss man erstmal schaffen. Es wurden unzählige Meldungen über ihn verfasst, bei den meisten stand "teuerster Transfer der Vereinsgeschichte" in der Überschrift. Zwölf Millionen haben sich die Gladbacher diesen Spieler kosten lassen, Robben hat die Bayern einst 24 Millionen gekostet. Ist de Jong also ein halber Robben? Übersieht er statt vier Mitspielern nur zwei?

In Mönchengladbach sind sie sich sicher, dass ihr Neuer überhaupt keinen Mitspieler übersehen wird. "Luuk ist das genaue Gegenteil des Klischees", sagt Borussias Sportmanager Max Eberl. De Jong ist der Eberl unter den Holländern, ehemalige Kollegen beschreiben ihn als bodenständig, und seine Launen passen, wenn überhaupt, in einen sehr, sehr kleinen Wohnwagen. "Ein Arbeitstier" sei er, sagt Eberl, er laufe "unverhältnismäßig viel für einen Stürmer, wer ihn spielen sieht, weiß, was er für einen Charakter hat". Luuk de Jong, sagt Eberl, sei "ein Teamplayer".

Luuk de Jong war auch bei der EM in diesem Sommer, aber mit den Geschichten, die von dort herüberkamen nach Deutschland, hatte er nichts zu tun. Er hat mit den Holländern null Punkte geholt, aber er hat nicht gespielt und nicht gezickt. Er gehörte nicht zu jener Sorte Artisten, die sich mit ihrer eitlen Kunstfertigkeit selbst im Wege stand. Er ist kein l'art-pour-l'art-Fußballer, er zählt im Lande der Romantiker zu den Realisten, die es dort auch immer gab.

Auch Ruud van Nistelrooy war kein Zauberer, sondern Stürmer, ebenso Roy Makaay oder - aktuell - Schalkes Klaas-Jan Huntelaar. Mit Huntelaar könne man de Jong "gut vergleichen", sagt der ehemalige Schalker Youri Mulder, der de Jong als Co-Trainer in Enschede täglich stürmen sah.

Was kommt nach Marco Reus?

Die Huntelaarisierung der Bundesliga schreitet fort, das beweist ein Blick auf den Transfermarkt. Der VfL Wolfsburg vertraut neuerdings ja ebenfalls einem niederländischen Sturmrealisten, ein langer Mensch namens Bas Dost kam gerade vom SC Heerenveen, und weil es nun mal der VfL Wolfsburg ist, hat er einen sehr, sehr großen Wohnwagen voller Geldscheine auf Reisen geschickt; knapp zehn Millionen soll Wolfsburgs Machthaber Felix Magath angewiesen haben.

Die Gladbacher haben Dosts Weg auch verfolgt, sie haben ihn auch als allürenfreien Teamsportler kennen gelernt, aber sie haben beschlossen, dass sie zwar einen pragmatischen Stürmer suchen, aber einen so pragmatischen dann auch wieder nicht. Bas Dost ist der Dieter Hoeneß unter den Holländern, "er braucht Flanken und lange Bälle", sagt Eberl, "das ist ja nicht so unser Spiel".

Luuk de Jong ist schon jetzt zu einer der spannendsten Personalien der Liga geworden, denn es geht ja nicht nur darum, ob er den nach Dortmund umgesiedelten Marco Reus ersetzen kann. De Jong steht auch stellvertretend für die Frage, ob den Gladbachern versehentlich eine Spitzensaison rausgerutscht ist oder ob sie sich auf dem Rückweg zu stabiler Größe befinden.

"Man darf nicht den Fehler machen, Luuk an Marco Reus zu messen, er ist ein anderer Spielertyp", sagt Eberl. De Jong ist kein geschmeidiger Tempodribbler, aber er kann gut kombinieren, er hat ein Navigationssystem, das auch im Strafraum-Stau die schnellste Route zum nächsten freien Raum berechnet, und seine Tor- und Assist-Quote ist beeindruckend.

"Wir haben mit Marco Reus 28 Scorerpunkte verloren", sagt Eberl, "deshalb war für uns entscheidend, einen Spieler zu finden, der treffsicher ist und trotzdem viel arbeitet. Ein Spieler, der zusätzlich das Tempodribbling beherrscht, hätte 25 Millionen gekostet." Und wäre - zumindest im Klischee - eine Diva gewesen.

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