Süddeutsche Zeitung

Hoffenheim-Profi Amiri:Aus dem Dreck in die Nationalelf

Von Tobias Schächter, Hoffenheim

Nadiem Amiri kann noch staunen. Jüngst erzählte der Mittelfeldspieler der TSG Hoffenheim, es sei "krass" gewesen, als im Bundesligaspiel Anfang November beim FC Bayern seine Gegenspieler Xabi Alonso, Thiago und Arturo Vidal hießen. Mit Alonso habe er früher immer Playstation gezockt, ein Trikot von Thiago aus einer früheren Begegnung habe einen Ehrenplatz in seiner Sammlung. Aber zu staunen, bedeutet für den 20-Jährigen nicht, aus Ehrfurcht zu erstarren. Mit der TSG trotzte Amiri den Bayern damals ein Unentschieden ab, den Führungstreffer von Kerem Demirbay bereitete er vor.

Wenn an diesem Dienstag der FC Bayern zum Rückspiel in Hoffenheim antritt, wird Nadiem Amiri wieder staunen, wenn er gegen die Weltstars aus München antritt. Aber Amiri will schon auch zeigen, dass er mithalten kann, nach 57 Erstligaeinsätzen ist er ja selbst schon eine kleine Marke. Er hat auch noch viel größere Ziele als nur dieses Spiel: Im Sommer will er mit der deutschen U21-Auswahl in Polen Europameister werden und danach irgendwann A-Nationalspieler. Und mit der TSG Hoffenheim will er die greifbare Qualifikation für die Champions League nicht mehr aus der Hand geben.

Früher kickte Amiri auf Bolzplätzen "aus Stein mit Staub und Dreck"

Hoffenheim gegen Bayern: Das ist das Spitzenspiel des 27. Spieltages, der Dritte empfängt den Tabellenführer. Noch nie spielte die TSG im Europapokal, nun winkt sogar der ganz große Wurf.

Wie man sich in den Klub-Annalen der TSG verewigt, das wissen Trainer Julian Nagelsmann und Nadiem Amiri. Beide holten 2014 erstmals die deutsche A-Jugend-Meisterschaft nach Hoffenheim. Danach wurde zunächst Amiri zu den Profis befördert, vor knapp 14 Monaten folgte dann sein Trainer Nagelsmann. Sieben Profis aus der eigenen Jugend stehen im Kader, Nagelsmann hat viele Spieler selbst ausgebildet. Amiri sagt: "Wir haben ein enges Trainer-Spieler-Verhältnis und ja auch schon einige Erfolge miteinander gefeiert." Manchmal genügt nur ein kleiner Flachs des Trainers beim Gang von der Kabine auf den Trainingsplatz und Amiri weiß, was er zu tun hat.

Amiri wurde 1996 in Ludwigshafen als Sohn afghanischer Eltern geboren, die einst vor dem Krieg in ihrer Heimat flohen. Sein Cousin Zubayr spielt für den Oberligisten SC Hessen Dreieich und wurde elf Mal in die afghanische Nationalmannschaft berufen. Im Stadtteil Mundenheim kickte Amiri einst mit den Älteren auf einem Bolzplatz "aus Stein mit Staub und Dreck". Dort lernte er sich durchzusetzen, und er eignete sich auch jenen Spielwitz an, der selbst alteingesessene Erstligaprofis in den Wahnsinn treiben kann. Nur manchmal versucht er noch das Schwere, wo das Einfache die bessere Lösung wäre.

Nagelsmann sagt: "Nadiem muss noch lernen, 90 Minuten taktisch diszipliniert zu bleiben und nicht alles mit Vollgas zu machen." Amiri ist fleißig, oft sind seine Laufwerte in einer Trainingswoche die besten. Und er hört gut zu. Als U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz ihm jüngst riet, in Strafraumnähe egoistischer den Abschluss zu suchen, setzte er das prompt um und erzielte den 1:0-Siegtreffer gegen England. Amiri kennt seine Defizite, er sagt: "Ich muss mich im taktischen Bereich verbessern. Aber mittlerweile weiß ich, wann ich was machen kann und wann nicht." Amiri liebt die Freiheit, sich aus dem Zentrum überall dahin zu bewegen, wo er etwas bewegen kann, und Nagelsmann ist klug genug, seinem Hochbegabten den Spieltrieb nicht auszutreiben.

Noch bevor er in der Bundesliga reüssierte, schwärmten Scouts vieler Klubs von diesem "vielleicht ersten Nationalspieler aus der Hoffenheimer Jugend". Diesen Titel hat ihm nun der ein Jahr ältere Niklas Süle abgeluchst, der ebenso wie Sebastian Rudy in der kommenden Saison zum FC Bayern wechseln wird. Der Trainerstab von Jogi Löw beobachtet die Entwicklung Amiris aber bereits genau, und nicht nur der: Schon in der vergangenen Saison bot RB Leipzig 13 Millionen Euro für das umschwärmte Talent. Damals lehnte die TSG ab, sie hatte gerade Kevin Volland für 20 Millionen nach Leverkusen verkauft und brauchte das Geld nicht zwingend.

Nun kassiert der Klub im Sommer rund 20 Millionen Euro für Süle, weshalb man erneut keinen Spieler mehr abgeben müsse, wie Manager Alexander Rosen erklärt. Amiris Vertrag läuft 2018 aus, die TSG bemüht sich um eine Verlängerung. Neben Leipzig zeigen auch Mönchengladbach und Vereine aus England und Spanien Interesse an einer Verpflichtung. Zuletzt wuchsen Spieler wie Firmino (Amiri: "So einen Weg zu gehen wie er, ist Ansporn für mich"), Volland, Süle und Rudy über den Klub hinaus, es gehört zu Hoffenheims Geschäftsmodell, solche Profis für viel Geld weiter zu transferieren. Trainer Nagelsmann formuliert das so: "Der Bauer muss sich auch ab und zu von seinen Kühen und Schweinen trennen - auch wenn er eine gute Beziehung zu ihnen hat." Dass Nagelsmann selbst die beste Kuh im Stall der TSG ist, weiß der Klub natürlich auch.

Nadiem Amiri übrigens wohnt noch immer bei seinen Eltern, und er sagt: "Das bleibt auch so." Aber dann folgt dieser Nachsatz: "Solange ich in Hoffenheim spiele."

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SZ vom 04.04.2017/max
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