Pellegrino Matarazzo sprang seitlich auf der Linie seiner Coachingzone entlang. Gestenreich gab der Trainer der TSG Hoffenheim dabei Anweisungen, ehe er sich abdrehte. Was mit ein bisschen Fantasie aussah wie ein etwas ungelenker Balanceakt mit anschließender Pirouette auf einem Schwebebalken, war in Wahrheit der Ausdruck von Anspannung.
Am Ende des Sonntags fügte sich Matarazzos Einlage ins Gesamtbild bei der TSG. Das Bemühen konnte den Hoffenheimern nicht abgesprochen werden, der Ertrag fiel durch das 0:0 beim FC Augsburg aber wieder einmal überschaubar aus. Mit neun Punkten aus zehn Ligaspielen bleibt Matarazzos Mannschaft im Souterrain der Bundesliga stecken. Ob das seinen Vorgesetzten zu wenig ist oder ob sie das Remis beim heimstarken FCA als Stabilisierung werten, wird sich in der Länderspielpause zeigen.
„Leider hat die letzte Durchschlagskraft gefehlt. Was Einsatz, Leidenschaft angeht, da kann man der Mannschaft absolut nichts vorwerfen“, sagte Matarazzos neuer Vorgesetzter Andreas Schicker, der Geschäftsführer Sport der TSG, bei DAZN, „von dem her bin ich zufrieden.“ Für die Punktebilanz gilt das ausdrücklich nicht. Schicker kündigte Gespräche für die kommenden Tage an.
Als Entfesselungskünstler ist Matarazzo bezeichnet worden, weil er es in seiner Amtszeit seit Februar 2023 mehrfach geschafft hat, sich aus misslichen Lagen zu befreien. Andererseits scheint das Bild eines Pellegrino Houdini nicht ganz stimmig, weil sie ihn bei der TSG zuletzt keineswegs fest an sich binden wollten. Eine Skepsis dem 46-Jährigen gegenüber wird wichtigen Personen im Klub schon seit einiger Zeit nachgesagt, darunter dem langjährigen Mäzen Dietmar Hopp.

Exklusiv Pellegrino Matarazzo im Interview:„Das war ein Schock für uns alle“
Trainer Pellegrino Matarazzo erlebt große Unruhe bei der TSG Hoffenheim. Er spricht über den Rauswurf von Manager Rosen, verunsicherte Spieler, die Gerüchte um Sandro Wagner – und er dankt Dietmar Hopp.
Matarazzo wirkte zuletzt zunehmend genervt. Wie vor dem Spiel bei der Frage, ob die Partie eine der wichtigsten seiner Amtszeit sei oder sogar ein Endspiel. „Komm, hör auf. Hör auf, hör einfach mal bitte auf mit dieser Frage“, sagte Matarazzo und hielt dagegen: „Wie oft war es das wichtigste Spiel? Wie oft war es ein entscheidendes Spiel? Wie oft war es ein Schlüsselspiel? Und wie oft sind wir da rausgekommen bis jetzt? Jedes Mal.“ Matarazzo wagte sogar eine Saisonprognose, er sagte: „Dass wir mindestens einen stabilen Mittelfeldplatz erreichen, steht komplett außer Frage.“
In Augsburg traten die Hoffenheimer erneut nicht wie eine Mannschaft auf, die gegen den Trainer spielt
Ein bisschen erinnert Matarazzos Situation an die eines Seiltänzers, der mit seiner Balancierstange schon mehrfach kurz vor dem Absturz stand. Doch immer, wenn sich die Balancierstange bedrohlich weit zu einer Seite neigte, wurde sie wieder einigermaßen ins Gleichgewicht gebracht. Wie zum Beispiel vor der zurückliegenden Länderspielpause Anfang Oktober durch das 2:0 gegen Dynamo Kiew in der Europa League und den überraschenden Punktgewinn in Stuttgart (1:1). Oder wie am vergangenen Donnerstag, als nach einer verspielten Führung und einem späten Rückstand gegen Olympique Lyon noch das sehr späte 2:2 gelang.
In Augsburg traten die Hoffenheimer erneut nicht wie eine Mannschaft auf, die gegen den Trainer spielt. Zunächst gab zwar der FCA den Ton an und hatte die besseren Chancen durch Schüsse von Arne Maier und Alexis Claude-Maurice. Später aber waren die Hoffenheimer überlegen und näherten sich durch Versuche von Umut Tohumcu und Andrej Kramaric der Führung an. In der Schlussphase musste Hoffenheims Torwart Oliver Baumann in höchster Not retten, zunächst gegen Steve Mounié, dann gegen Samuel Essende und Mert Kömür. Am Ende war es also doch ein wackliger Punkt geworden. Auch das passte ins Bild von Matarazzos Balanceakt.