Süddeutsche Zeitung

Hoffenheim in der Krise:"Das ist nicht akzeptabel. Es muss etwas passieren"

Seit Oktober ist die TSG Hoffenheim sieglos, das 2:5 in Bochum die zweite Klatsche in Serie und der Abstiegskampf Realität. Die Zeichen verdichten sich, dass Trainer André Breitenreiter gehen muss.

Von Ulrich Hartmann, Bochum

Aufgemotzte Schlitten, aus denen die Bässe wummern, sind auf den Straßen des Ruhrpotts nichts Ungewöhnliches. Wenn aber aus dem Mannschaftsbus der TSG Hoffenheim während der Zufahrt zum Ruhrstadion die Beats ballern, dann schauen die Menschen doch überrascht. Mit akustischem Antrieb rollte die derzeit am längsten sieglose Mannschaft der Bundesliga zum Bochumer Stadion. Doch die eingängigen Bässe aus dem Bus überdauerten am Samstag bei den TSG-Fußballern nicht als Ohrwurm.

Sie wurden bald abgelöst von einem Gassenhauer des Komponisten Jacques Offenbach. Dessen schwungvollen "Can-Can" spielen sie beim VfL Bochum nach jedem eigenen Treffer, und das geschah am Samstag fünf Mal. Die Bochumer tanzten die Hoffenheimer mit 5:2 (3:0) vom Platz.

Für die Kraichgauer war es nach dem 1:4 in der Vorwoche gegen Borussia Mönchengladbach die zweite kapitale Liga-Niederlage nacheinander. Der Can-Can ist ein Lied aus Offenbachs Operette "Orpheus in der Unterwelt". Der Titel passt zu den seit nunmehr neun Ligaspielen sieglosen Hoffenheimern mit ihrem Trainer André Breitenreiter - binnen nur viereinhalb Monaten hat es sie in den tabellarischen Hades verschlagen.

Dass Breitenreiter seinen Job deshalb kurzfristig verliert, klang kurz nach dem Spiel zumindest aus den Äußerungen des Sportchefs Alexander Rosen bei Sky nicht heraus. Am späten Sonntagabend meldeten dann allerdings der Kicker und die Bild-Zeitung, dass Breitenreiter freigestellt werde. Eine offizielle Bestätigung der TSG gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Mit dem Rückblick auf einen ziemlich guten Saisonstart hatte Rosen am Samstag noch gesagt: "Es stellt sich nicht die Frage, ob der Trainer seinen Job kann, den kann er!" Immerhin lag die TSG im Herbst auf einem Champions-League-Platz.

Rosen macht vielmehr nachdenklich, dass Hoffenheim auch schon in der Vorsaison - unter Trainer Sebastian Hoeneß - einen vergleichbar radikalen Absturz erlebt hatte. "Wir sollten alle kritischen Fragen vielleicht mal größer aufziehen", sagte er und suggerierte, dass es im TSG-System Schwachstellen geben könnte, die dauerhaftem Erfolg abträglich sind. Genaueres dazu sagte Rosen nicht.

Breitenreiter wirkt nach der Niederlage in Bochum frustriert, ratlos, geladen

Am Tag danach verdichteten sich allerdings die Hinweise, dass die kurzfristige Reaktion doch branchenüblich ausfällt - und am Ende, wie so oft, der Trainer als schwächstes Kettenglied gehen muss. Breitenreiter, 49, war erst zu Saisonbeginn als frisch gekürter Schweizer Meistertrainer des FC Zürich zur TSG gekommen.

Zufällig fällt Hoffenheims Absturz zeitlich exakt mit jenem Aufschwung beim VfL Bochum zusammen, der durch dessen neuen Trainer Thomas Letsch ausgelöst wurde. Als Letsch Mitte September antrat, war Bochum mit einem Punkt Letzter. Hoffenheim war damals mit 13 Punkten Vierter. Seither haben sich beide Klubs sukzessive angenähert. Am Samstag kamen sie durch Bochums Sieg mit nun je 19 Punkten ganz nah zusammen. 18 Punkte hat der VfL mit Letsch binnen zwölf Spielen geholt, karge sechs Punkte haben im selben Zeitraum die Hoffenheimer errungen.

Als Breitenreiter im Juni präsentiert worden war, hatte er gesagt: "Dietmar Hopp wünscht sich einen sechsten Platz und ich wäre am liebsten noch besser." Mitte der Hinrunde sah es noch so aus, als könnte Breitenreiter dem TSG-Mäzen diesen Wunsch erfüllen. Doch seither geht nichts mehr. Der bislang letzte Sieg in der Liga (3:0 auf Schalke) datiert vom 14. Oktober.

Breitenreiter war nach der Niederlage in Bochum frustriert, ratlos, geladen. "In jedem Training sehe ich hohe Intensität, aber die Mannschaft kriegt das momentan nicht auf den Platz", klagte er und wurde im Laufe seiner Ausführungen rhetorisch immer radikaler: "Diese Leistung hatte mit Profifußball nicht viel zu tun. Das ist nicht akzeptabel. Es muss etwas passieren. Das werde ich mir so nicht mehr gefallen lassen." Fragen nach seinem Job beantwortete Breitenreiter so ähnlich wie zuletzt: "Es geht nicht um mich, sondern um die Wende; der Verein muss das entscheiden."

Hoffenheims Niedergang hat auch mit personellen Nöten zu tun. Der Stürmer Georgino Rutter wurde an Leeds United verkauft, der Mittelfeld-Verstärker Grischa Prömel hat sich Anfang November den Knöchel gebrochen, und Torjäger Andrej Kramaric leidet offenbar an einer gewissen Müdigkeit, er kam in Bochum erst zur zweiten Halbzeit ins Spiel. Hinzu kommen Ausfälle solcher Stammkräfte wie Kevin Vogt, Pavel Kaderabek, Robert Skov und Jacob Bruun Larsen.

Die Bochumer Treffer waren Nadelstiche in die Hoffenheimer Wunden. Das Kopfballungeheuer Philipp Hofmann durfte das 1:0 per Fuß erzielen (22. Minute), Philipp Förster setzte sich nach seinem 2:0 (30.) provokant in den Lotus-Sitz und Takuma Asano zelebrierte vor seinem 3:0 (40.) einen Übersteiger gegen den zögerlichen Stanley Nsoki.

Unter Trainer Letsch hat Bochum alle Heimspiele gewonnen

Zwei hoffnungsvollen Treffern durch Christoph Baumgartner (49.) und Munas Dabbur (77.) in der zweiten Halbzeit widersprachen die Bochumer sofort durch Tore von Erhan Masovic (60.) und Moritz Broschinski (83.). Letzterer, Neuzugang von Borussia Dortmund II, erzielte in seinem ersten Bundesligaspiel sein erstes Tor. Solche Dinge passieren auf fruchtbarem Boden.

Zumindest in den Heimspielen im immer atmosphärischeren Ruhrstadion gelingt den Bochumern derzeit alles. Unter Letsch wurden alle fünf Partien an der Castroper Straße gewonnen. Fünf Heimsiege in Serie gab es beim VfL seit 1976 nicht mehr. "Es war ein tolles Spiel", sagte der Trainer und klang fast ein bisschen mitgenommen. Linderung winkt ihm keine. Am Mittwochabend spielt der VfL im Pokal gegen Borussia Dortmund.

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