Hoffenheim - Hertha:Gut und günstig

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Torschütze staunt über Torschützen: Hoffenheims Benjamin Hübner, der das 3:2 erzielte, sieht Herthas Dodi Lukebakio beim Fallrückzieher zu. (Foto: Bernd König/imago)

Überraschende Erfolgsserie nach großem Umbau: Beim 3:2 der TSG ragen die Stürmer Locadia und Kramaric heraus - und der Teamspirit.

Von Javier Cáceres, Berlin

Alfred Schreuder, der Trainer der TSG 1899 Hoffenheim, nahm sich nach dem Ende des offiziellen Teils der Pressekonferenz im Berliner Olympiastadion noch ein paar Minuten Zeit für die Reporter. Er verhehlte dabei nicht, dass er auf die Visite bei Hertha BSC außerordentlich stolz war. 3:2 (2:0) hatte sein Team bei der Hertha gewonnen, was allein schon Grund genug für Anerkennung gewesen wäre. Schreuders Stolz aber speiste sich auch aus anderen Faktoren. Vor allem daraus, dass der Sieg in einem Spiel zustande gekommen war, das der Cheftrainer zuvor "verrückt" genannt hatte.

"Zu viele Höhen und Tiefen" hatte Schreuder im Vortrag seiner Elf ausgemacht. Und er wirkte glaubhaft, als er erklärte, dass er sich nicht beschwert hätte, wenn sein Team nur Unentschieden gespielt oder gegen die Hertha sogar verloren hätte. Der Spielverlauf erinnerte tatsächlich an eine in die Luft geworfene Münze.

"Wie stark sind wir nach einem Rückschlag?", fragt der Trainer. Er sieht eine starke Antwort

Hertha hätte früh in Führung gehen können, sah sich dann aber durch Treffer von Jürgen Locadia (32.) und Andrej Kramaric (38.) zur Pause einem 0:2-Rückstand ausgesetzt, was unter anderem daran lag, dass auch Berlins Trainer Ante Covic einen Exzess aus "Höhen und Tiefen" als Formulierungshilfe hätte aufnehmen können. Seine Hertha verteilte Weihnachtsgeschenke.

Dann jedoch egalisierten Covics Berliner die Partie durch einen Fallrückzieher von Dodi Lukebakio (54.) und einen Treffer von Salomon Kalou (69.). Die Hoffenheimer allerdings vermochten zu kontern und durch Benjamin Hübner das 3:2 zu erzielen (79.). Die von Hertha-Manager Michael Preetz zurecht als überzogen gegeißelte gelb-rote Karte für den Berliner Darida nutzten die Gäste zur Sicherung des Vorsprungs - und sie rührten ihren Coach.

"Im Leben, aber auch als Fußballteam" gehe es doch, so Schreuder, stets um die Frage: "Wie stark sind wir, wenn wir einen Rückschlag bekommen?"

Schreuder wollte daher das Prisma, durch das er die Partie betrachtete, nicht mehr beiseite legen: "Wenn es gut läuft, ist es einfach; da können selbst wir noch mitspielen", scherzte er den Journalisten zu, denn der 46-Jährige durfte vermuten, dass einige seiner Gesprächspartner in etwa gleich alt waren wie er. Kompliziert werde es immer erst, wenn es nicht laufe, "dann muss man aufstehen", dozierte der Coach. Und das war das, was er seiner Mannschaft auch öffentlich attestieren wollte, nachdem er es offenkundig bereits im kleinen Kreis getan hatte. Denn nachdem die TSG-Profis in der Kabine die erste eilige Analyse des Trainers aufgenommen hatten und aus der Kabine zu den Reporter zurückgekehrt waren, da klangen sie alle genau so wie Schreuder: "Wir haben extreme Mentalität gezeigt, wir haben den Teamspirit, um solche schweren Spiele zu gewinnen", sagte etwa Torwart Oliver Baumann.

Mit einer solch positiven Diagnose nach neun Spieltagen konnte man im Sommer nicht rechnen. Denn bei der TSG 1899 Hoffenheim gingen tiefgreifende Reformarbeiten vonstatten. Nicht nur der Trainer Schreuder ist neu, er kam von Ajax Amsterdam, wo er unter Erik ten Hag Assistenztrainer war, nachdem er die gleiche Rolle unter so unterschiedlichen Chefs wie Huub Stevens und Julian Nagelsmann zuvor in Hoffenheim ausgefüllt hatte. Auch der aktuelle Kader besteht zu erheblichen Teilen aus Spielern, die Hoffenheim vor der Ankunft im Atlas suchen mussten.

Die Nordbadener hatten Leistungsträger wie Joelinton (Newcastle), Kerem Demirbay, Nadiem Amiri (beide Leverkusen) und Nico Schulz (Borussia Dortmund) abgegeben und damit einen Transferüberschuss von circa 86 Millionen Euro erwirtschaftet. Als Ersatz kamen eher wenig bekannte und entsprechend günstige Spieler wie Robert Skov (FC Kopenhagen) und Ihlas Bebou (Hannover 96). Zudem kehrte Sebastian Rudy von seinen Ausflügen nach München und Gelsenkirchen zurück. Er wurde ebenso ausgeliehen wie der niederländische Stürmer Locadia nach einem fehlgeschlagenen Abenteuer beim englischen Erstligisten Brighton & Hove Albion. Und siehe da: Die Rechnung geht auf.

Kramaric erhält ein Sonderlob von Schreuder - und wird mit Ajax-Star Dusan Tadic verglichen

Locadia feierte in Berlin sein Startelfdebüt, ebnete mit seinem Tor zum 1:0 den dritten TSG-Sieg in Serie und wurde von den Kameraden angemessen belobigt: "Er ist ein guter Junge, ein guter Typ", berichtete Torwart Baumann. Als guter Typ harmoniert Locadia besonders mit seinem Sturmpartner Kramaric. Der Kroate war wegen einer Knieblessur monatelang im Krankenstand gewesen: "Er hat keinen Spielrhythmus, aber er war heute einer der besten auf dem Platz", sagte Schreuder über Kramaric. Er fühle sich bei ihm an Dusan Tadic erinnert, erklärte Schreuder noch, "den kenne ich gut von Ajax". Das meinte er weniger in fußballtechnischer als in professioneller Hinsicht. Denn der Ajax-Star Tadic, muss man wissen, gilt nicht nur als begnadeter Techniker und Regisseur - sondern auch als nachgerade obsessiver Sportler, der seinen Körper pflegt wie ein Konzertgeiger seine Stradivari. "Nach vier, fünf Monaten ohne offizielles Match habe ich nicht gedacht, dass ich schon bereit bin für 90 Minuten", sagte Kramaric. Schreuder pries ihn gar als "einen der besten Spieler, der je in Hoffenheim aufgelaufen ist. Wir sind jeden Tag stolz, dass er da ist."

Der Lohn der Hoffenheimer war der dritte Ligasieg in Serie, vor zwei Wochen wurde der FC Bayern (2:1) bezwungen, vergangene Woche Schalke (2:0). Im Pokal folgt nun der MSV Duisburg. Es könne ruhig so weitergehen, sagte Schreuder - unter gewissen Voraussetzungen: "Wenn wir überzeugt sind von unserer Qualität und Stärke - und trotzdem wissen, dass wir nicht Bayern München sind."

© SZ vom 28.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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