Eklat beim Bayern-Spiel:"Wir haben viel zu lange die Augen zugemacht"

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Zeichen setzen: Als Fans des FC Bayern Hoffenheims Klub-Mäzen Dietmar Hopp mit beleidigenden Plakaten diffamieren, versuchen Hansi Flick, Hasan Salihamidzic und Hermann Gerland diese zur Räson zu bringen. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuter)
  • Der FC Bayern zeigt beim 6:0 gegen Hoffenheim rauschhaften Fußball, doch um die Leistung des Teams geht es danach nicht.
  • Bayern-Fans diffamieren auf Plakaten TSG-Mäzen Dietmar Hopp. Das Spiel steht kurz vor dem Abbruch.
  • Die Spieler auf dem Platz zeigen daraufhin eine eindrucksvolle Reaktion.

Von Martin Schneider, Sinsheim

Am Ende dieses denkwürdigen Tages in Sinsheim erklärte Hoffenheims Kapitän Benjamin Hübner, wie die 13 Minuten, die es so in der Geschichte der Bundesliga noch nie gab, zustande gekommen sind. Er habe mit Bayern-Kapitän Manuel Neuer und "einigen Funktionären" zusammengestanden, erzählte Hübner, irgendwann sei der Schiedsrichter dazugekommen. Man habe darüber gesprochen, was man tun könne, weil man das Spiel nicht abbrechen wollte. "Wir kamen dann zu dem Entschluss, dass wir nicht mehr weiterspielen - uns aber trotzdem noch bewegen."

Der Entschluss sah vor, sich 13 Minuten lang den Ball zuzuschieben, die Zeit runterlaufen zu lassen und Fußball zu spielen ohne Fußball zu spielen - ein Nichtangriffspakt. Benjamin Pavard und Corentin Tolisso jonglierten den Ball, David Alaba redete mit seinem österreichischen Nationalmannschaftskollegen Florian Grillitsch - irgendwann gingen Joshua Kimmich und Manuel Neuer zu den Fans der TSG Hoffenheim. Dort hatten einige den Block schon aus Protest verlassen, die anderen Zuschauer im Stadion klatschten den Spielern zu. Dann pfiff Schiedsrichter Christian Dingert das Spiel ab und Karl-Heinz Rummenigge marschierte im strömenden Regen zusammen mit Dietmar Hopp, der Bayern-Mannschaft, Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic in die Kurve der TSG. Die Spieler nahmen Hopp in ihre Mitte. Es gab noch mehr Applaus.

"Das hat nichts mit Solidarität zu tun, das ist einfach Dummheit"

Dann verschwanden die beiden Mannschaften in die Kabine und kein Mensch redete über eine der besten Halbzeiten, die der FC Bayern in dieser Saison spielte, auch keiner über die schönen Tore von Serge Gnabry, Philippe Coutinho und Leon Goretzka.

Nein, es ging um zwei Plakate und eine Reaktion.

Eklat in Hoffenheim
:Bayern-Fans diffamieren Hopp - Partie stand vor dem Abbruch

Schlimme Szenen in Hoffenheim: Münchner Anhänger beleidigen TSG-Mäzen Dietmar Hopp, die Fußballer stellen das Spielen ein, die Bayern solidarisieren sich mit Hopp. Der 6:0-Sieg rückt in den Hintergrund.

In der 67. Minute hielten Bayern-Anhänger zum ersten Mal ein Plakat hoch, auf dem sie TSG-Mäzen Dietmar Hopp als "Hurensohn" bezeichneten. Hansi Flick eskalierte schon in seiner Coaching-Zone. Schiedsrichter Dingert unterbrach die Partie, Alaba und Kimmich waren die Ersten in der Kurve, um auf Fans einzureden, kurz darauf sprinteten Flick und Co-Trainer Hermann Gerland hin. Immer wieder hielten sie sechs Finger in die Höhe, was "Wir führen 6:0 und ihr macht uns alles kaputt" bedeuten sollte. So sagten es Flick und Neuer hinterher. In der 77. Minute kam von den Bayern-Fans das zweite Plakat mit der gleichen Beleidigung, Dingert schickte beide Mannschaften in die Kabine, nachdem nun die komplette Bayern-Mannschaft, inklusive Kahn und Salihamidzic, in die Kurve gekommen war. Rummenigge hatte sich da ebenfalls von der Tribüne auf den Rasen begeben, er saß das Spiel über neben Hopp.

Die Fifa hat für diese Fälle seit einigen Monaten ein verschärftes Disziplinarreglement mit einem Drei-Punkte-Plan vorgeschlagen, den der DFB umsetzt. Sanktioniert werden "verachtende, diskriminierende oder abwertende Worte oder Taten (egal auf welche Weise) auf der Grundlage von Rasse, Hautfarbe, ethnischer, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, sexueller Orientierung, Sprache, Religion, politischer Ansichten, Einkommen, Geburt oder eines anderen Status oder Grundes". Beim ersten Vorfall, Spielunterbrechung und Durchsage. Beim zweiten Vorfall, Spielunterbrechung und Mannschaften gehen in die Kabine. Beim dritten Vorfall: Spielabbruch. Die Verfahrensordnung des DFB sieht danach zwei Optionen vor. Entweder Wiederholungsspiel - oder die Partie wird gegen die Mannschaft gewertet, die den Spielabbruch verursachte.

Möglich, dass die Bayern-Fans den Plan kannten und deswegen nur die ersten beiden Eskalationsstufen zündeten, so etwas deutete zumindest Flick in der Pressekonferenz danach an. Als er vor der Kurve stand, hätte es Kommunikation gegeben "Aber man hat das Gefühl gehabt, sie haben die zwei Dinge durchziehen wollen. Es ging wohl um Aufmerksamkeit und Solidarität mit den anderen - aber das hat nichts mit Solidarität zu tun, das ist einfach Dummheit", meinte Flick.

Später am Abend veröffentlichten die Ultras auf suedkurve-muenchen.org eine Erklärung. Herr Hopp habe einen "Privatkrieg mit verschiedenen Fanszenen angezettelt", als vor Jahren die BVB-Anhänger mit einem Pfeifton beschallt wurden (laut TSG soll das ein Hausmeister in Eigenregie gemacht haben). Dass der DFB in letzter Konsequenz die BVB-Anhänger von den kommenden zwei Spielen in Hoffenheim ausschloss, sei ein Wortbruch, weil der DFB auf Kollektivstrafen verzichten wollte. Das wäre ein "Affront, den wir nicht unbeantwortet lassen können", heißt es dort. Man müsse den Wortlaut der Plakate nicht gut heißen, allerdings bekäme das Thema nur so die nötige Aufmerksamkeit. Die Erklärung schließt mit den Worten: "Fick dich, DFB".

Während Flick und Kapitän Neuer sich von den eigenen Fans um den sportlichen Erfolg gebracht sahen, stand Bayerns-Boss Karl-Heinz Rummenigge stocksauer in den Katakomben der Arena. Ein "schwarzer Tag" sei das, man hätte die perfekte Woche haben können mit dem Sieg beim FC Chelsea und der 120-Jahr-Feier. Er kündigte Konsequenzen an. "Ich schäme mich zutiefst. Spätestens heute ist der Moment gekommen, wo die gesamte Bundesliga gegen diese Chaoten mit aller Schärfe vorgehen muss. Wir müssen alle zusammenstehen. Wir haben viel zu lange die Augen zugemacht, was in den Kurven passiert. Die Verantwortlichen im Fußball ducken sich viel zu oft weg, weil sie denken, da sei eine Macht in der Kurve. Aber das ist eine Minderheit, die es an den Pranger zu stellen gilt."

Es hätte Hinweise gegeben, dass eine solche Aktion geplant war. Deswegen hätte man den Fanblock gefilmt und wird gegen identifizierbare Täter vorgehen. Kollektivstrafen befürworte er nicht. "Ich würde dringend empfehlen, dass wir uns alle in der Bundesliga abstimmen und dagegen vorgehen", sagte Rummenigge. Und weiter: "Manche haben dann Sorge um ihre Stimmung. Aber da sage ich: Scheiß Stimmung, da hab' ich lieber Langeweile im Stadion."

Die Aktion einiger Bayern-Fans ist eine weitere Eskalation im Konflikt, der mit dem Auswärtsspiel des BVB in Sinsheim im vergangenen Dezember begann. BVB-Fans waren bereits wegen mehrfacher Beleidigung gegen Dietmar Hopp auf Bewährung, als sie erneut das Konterfei von Hopp im Fadenkreuz zeigten. Der DFB setzte die Bewährung aus und sperrte die BVB-Fans für zwei Jahre bei Spielen der TSG. Viele Ultras halten das wie die Bayern-Fans für einen Wortbruch, weil der DFB eigentlich ankündigte, Kollektivstrafen auszusetzen, für andere sind Beleidigungen gegen Dietmar Hopp offenbar Teil der Meinungsfreiheit, wieder andere finden, dass Hopp vom DFB eine besondere Behandlung bekommt.

Seitdem gibt es jedenfalls in Stadien Solidaritätsplakate, vergangene Woche in Gladbach, wo Hopp erneut im Fadenkreuz gezeigt wurde, jetzt von Bayern-Fans. Flick berichtete ja, bei seinem Gespräch mit den Ultras wäre von "Solidarität mit den anderen" die Rede gewesen. Beim Spiel in Köln gab es erneut ein Plakat und in Dortmund bei der Partie gegen Freiburg wurden Schmähgesänge angestimmt. Der Streit ist jedenfalls längst auf einer grundsätzlichen Ebene angekommen und einige Ultras sind offenbar bereit, ihn eskalieren zu lassen - auch auf Kosten des Erfolgs der eigenen Mannschaft.

"Ich war so enttäuscht. Alles, was die eigene Mannschaft geleistet hat, wird weggeworfen. Das sind Dinge, die machen einen ratlos und wütend. Es ist an der Zeit, dass man sich dagegen wehrt", sagte Flick dann noch. Er saß auf der Pressekonferenz mit gesenktem Kopf, seine Augen wirkten müde. Das Spiel hatte seine Mannschaft übrigens gerade 6:0 gewonnen.

© SZ vom 01.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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