Hoffenheim:Deutlich unter 100 Prozent

08.08.2015,  Fussball DFB-Pokal: 1860 - Hoffenheim

Führung für die Löwen: Daylon Claasen schießt den Ball an Hoffenheims Torwart Oliver Baumann vorbei zum 1:0 ins Netz.

(Foto: MIS)

Kevin Kuranyi stellt fest, dass er "noch ein paar Wochen" braucht. Das lässt sich nach dem 0:2 bei 1860 München vom ganzen Team sagen.

Von Markus Schäflein

Als Kevin Kuranyi kam, hallten Sprechchöre aus dem Hoffenheimer Fanblock, die Vorfreude war groß, manche Zuschauer hatten sich schon ein Trikot der TSG mit der 22, der Rückennummer des prominenten Zugangs, besorgt. Bis zu dieser Einwechslung hatte rein gar nichts geklappt beim Bundesligisten, 0:1 lag Hoffenheim beim Zweitligisten TSV 1860 München durch einen Treffer von Daylon Claasen (51.) zurück. Nun sollte alles viel besser werden. Es wurde aber nur ein bisschen besser, denn nach Kuranyis Erscheinen spielten die Hoffenheimer eine knappe Viertelstunde lang so dominant, wie man es erwartet hatte. Torchancen hatten sie allerdings weiterhin nicht, und am Ende kassierten sie den Konter zum 0:2-Endstand durch Fejsal Mulic (90.+3).

Nach seiner ersten Partie für einen deutschen Klub nach fünf Jahren und drei Monaten gab Kuranyi, 33, pflichtbewusst sein Statement ab, er rieb sich müde die Augen und war kurz angebunden. "Ich habe versucht mitzuhelfen, aber ich brauche noch ein paar Wochen", sagte der frühere Nationalstürmer - vor drei Monaten hatte er die Saison mit Dynamo Moskau beendet, erst seit einer Woche trainierte er mit den Hoffenheimern. Dass Kuranyi überhaupt schon eine halbe Stunde zum Einsatz kam, lag zum einen daran, dass der andere Sturmzugang Mark Uth (SC Heerenveen) verletzt fehlte. Und zum anderen, dass das Offensivspiel der Hoffenheimer bis zu jener 62. Minute eine einzige Enttäuschung gewesen war, sodass Trainer Markus Gisdol irgendwie reagieren musste.

"Das war ein deutlicher Tick zu wenig", was seine Elf zeigte, fand TSG-Trainer Markus Gisdol

"Es ist uns nicht gelungen, einen Spielrhythmus zu finden", stellte Gisdol fest - dass Sechzig schon zwei Pflichtspiele absolviert hatte, um sich einzugrooven, während die erste Liga noch nicht begonnen hat, konnte als alleinige Erklärung für die uninspirierte und phasenweise geradezu hilflose Darbietung aber nicht dienen. "Wir hatten viel zu lange Ballpassagen, waren zu wenig zielstrebig, haben dem Gegner immer wieder die Möglichkeit gegeben, sich zu organisieren", klagte Gisdol, "damit haben wir 1860 in die Karten gespielt. Es ist ja zu erwarten, dass eine Mannschaft, die in der zweiten Liga gut verteidigen kann, das auch gegen einen Bundesligisten gut kann."

Es sei "ein deutlicher Tick" zu wenig gewesen, was seine Elf gezeigt hatte, meinte Gisdol, was einen deutlichen Tick zu milde gesagt war, "vor allem in der Durchschlagskraft nach vorne". Seinem prominenten Einwechselspieler Kuranyi bescheinigte er, "noch nicht bei 100 Prozent zu sein" - und das gilt ohne Frage für die ganze Mannschaft. "Wir sind noch in der Findungsphase", meinte Kapitän Pirmin Schwegler.

Nach dem hochdotierten Abschied von Firmino zum FC Liverpool versuchte sich Sebastian Rudy, der nach eigenen Angaben am liebsten als Sechser spielt, auf der Zehnerposition; er wirkte ziemlich ratlos als Spielmacher, und auch der frühere Sechziger Kevin Volland als Sturmspitze war weit entfernt von guter Form. Aber nicht nur im Kreativbereich machten die Hoffenheimer einen schwachen Eindruck, auch in der Defensive fehlte manches Mal die Ordnung. 1860 vergab bereits in der torlosen ersten Hälfte eine Reihe von Möglichkeiten, in Führung zu gehen. Kuranyi stellte fest: "Wir haben nicht das umsetzen können, was der Trainer von uns verlangt hat." Es sei zwar "ein gutes Gefühl" gewesen, wieder in Deutschland zu spielen, aber die Enttäuschung sei "sehr groß".

Dass der Schweizer Verteidiger Fabian Schär kurz nach dem 0:1 verletzt ausgewechselt werden musste, vergrößerte die Sorgen bei der TSG. Die Münchner hingegen, denen angesichts ausbleibender Zugänge, vieler Nachwuchsspieler im Kader sowie null Punkten und null Toren aus den ersten zwei Saisonspielen so mancher schon wieder die Zweitligatauglichkeit abgesprochen hatte, genossen den Augenblick - und nutzten die gute Gelegenheit, sich an ihre Kritiker zu wenden: "Dass wir nicht ganz blind sind, ist uns ja auch allen klar", sagte Torwart Stefan Ortega, "wir haben auch eine Berechtigung, diesen Beruf in der zweiten Liga auszuüben."

So konnten die Hoffenheimer immerhin behaupten, gegen Fußballprofis ausgeschieden zu sein und nicht, wie beim letzten Erstrunden-Aus im August 2012, gegen Amateure; das 0:4 beim Berliner AK unter Trainer Markus Babbel war damals der Auftakt einer gänzlich missratenen Spielzeit, die am Ende fast mit dem Bundesliga-Abstieg geendet hätte. Gisdol mochte da selbstredend keinerlei Parallelen in Erwägung ziehen. "Die Welt bricht nicht zusammen", sagte er, "wir müssen einen kühlen Kopf bewahren. Die Mannschaft kommt schon noch."

Innenverteidiger Niklas Süle hatte allerdings keine Lust auf einen kühlen Kopf. "Wenn wir so spielen, steigen wir diese Saison ab", sagte er und sprach damit aus, was sich jeder in der Arena dachte. Er diagnostizierte "das Gefühl, nicht klar im Kopf zu sein". Zum Ligaauftakt treffen die Hoffenheimer zu allem Übel auf Leverkusen und den FC Bayern, erinnerte Süle: "Es wartet jetzt ein unglaublich schweres Programm auf uns, wo wir uns auf keinen Fall so präsentieren dürfen."

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