Süddeutsche Zeitung

Trainer-Entlassung in Hoffenheim:Am Abgrund zur zweiten Liga

Nach Alfred Schreuder und Sebastian Hoeneß ist auch André Breitenreiter als Trainer in Hoffenheim gescheitert. Nichts erinnert mehr an die Zeiten mit Hansi Flick, Ralf Rangnick und Julian Nagelsmann. Deshalb steht nun auch der Sportdirektor in Frage.

Von Ulrich Hartmann, Zuzenhausen/München

Auf der Internetseite der TSG Hoffenheim lief das ganze Wochenende ein Countdown. Er zeigte allerdings nicht die ablaufende Zeit des Trainers André Breitenreiter an. Dessen Freistellung war am Sonntagabend durchgesickert und wurde am Montagmittag offiziell verkündet. Der Countdown zählt unterdessen weiter die Sekunden bis zum nächsten Heimspiel am Samstag gegen Bayer Leverkusen.

Die Partie gegen die Werkself wird eine besonders wichtige für Hoffenheim. In diesem Spiel wird sich zeigen, ob das zuletzt lahmende Auftreten der TSG am Trainer Breitenreiter gelegen hat oder doch eher an den Spielern. Gegen Leverkusen wird sich zudem entscheiden, ob Hoffenheim noch tiefer in den Abstiegskampf rutscht oder sich zunächst befreien kann. Zu letzterem Zweck hat man sich ja von Breitenreiter getrennt. Die folgende Trainerwahl ist also von besonderer Bedeutung. Vielleicht präsentierte der Klub deshalb bis zum späten Montagnachmittag noch keinen neuen Cheftrainer. Alles will wohlüberlegt sein. Als Namen kursierten der in Stuttgart freigestellte Pellegrino Matarazzo und auch der in Leipzig suspendierte Domenico Tedesco.

Nach der 2:5-Blamage am Samstag in Bochum, nach jenem neunten sieglosen Ligaspiel in Serie also, welches das Aus für Breitenreiter bedeutete, hatte Hoffenheims Sportdirektor Alexander Rosen zunächst nicht den Trainer in Frage gestellt, sondern eher Grundsätzliches: "Ich sage, es ist ein Thema, alles zu hinterfragen und zu diskutieren", sagte Rosen und zog damit strukturell wie atmosphärisch so ziemlich alles in Zweifel. Die TSG ist dreieinhalb Jahre nach dem Abschied von Julian Nagelsmann an einem kritischen Punkt angelangt. Im letzten Viertel der vergangenen Saison verspielte die Mannschaft unter Sebastian Hoeneß eine Europapokal-Teilnahme, indem sie von den letzten neun Spielen kein einziges mehr gewann und vom vierten Platz aus ins bedeutungslose Mittelfeld stürzte.

Genau das Gleiche, neun sieglose Spiele (mit sieben Niederlagen) nacheinander und einen Absturz vom vierten Platz legte die Mannschaft auch jetzt unter Breitenreiter hin. Schlimmer diesmal, sie steht nun sogar am Abgrund zur zweiten Liga. Das entspricht so gar nicht den Erwartungen und der Toleranz am ambitionierten Standort Zuzenhausen nördlich des Stadionstandorts Sinsheim und des namensgebenden Stadtteils Hoffenheim. Ein 1:4 gegen Mönchengladbach und das 2:5 in Bochum stellten zuletzt eine neue Eskalationsstufe dar und kosteten Breitenreiter letztlich den Job.

Die TSG und Hauptgesellschafter Dietmar Hopp würden gerne wieder international spielen

Die TSG und ihr Hauptgesellschafter Dietmar Hopp würden gerne wieder international spielen. Eine Heimniederlage gegen Molde/Norwegen vor zwei Jahren im Sechzehntelfinale der Europa League unter dem Trainer Hoeneß war der bislang letzte kontinentale Auftritt. Momentan deutet wenig darauf hin, dass sich das bald ändert. Im Tabellenkeller ist Hoffenheim, gemessen an den finanziellen Möglichkeiten, ein Fremdkörper neben Klubs wie Schalke, Bochum und Stuttgart. Zwar fehlten ihnen in der Abwärtsspirale Spieler wie Georginio Rutter (verkauft), Grischa Prömel, Kevin Vogt, Pavel Kaderabek, Robert Skov und Jacob Bruun Larsen (alle verletzt). Doch mit Spielern wie Oliver Baumann, John Anthony Brooks, Angeliño, Christoph Baumgartner, Sebastian Rudy, Thomas Delaney, Ihlas Bebou, Kasper Dolberg und Andrej Kramaric gehört dieser Kader nominell eher nicht in die Abstiegszone.

Es gab drei Trainer, die die TSG in den vergangenen zwei Jahrzehnten maßgeblich vorangebracht haben. Hansi Flick führte Hoffenheim zwischen 2000 und 2005 in die dritte Liga und etablierte die TSG dort; Ralf Rangnick führte den Klub zwischen 2006 und 2010 von der dritten Liga in die Bundesliga; und Julian Nagelsmann führte Hoffenheim zwischen 2015 und 2019 an die Bundesliga-Spitze und in die Champions League. Seither geht es abwärts, erst unter Alfred Schreuder, dann unter Hoeneß und nun auch unter Breitenreiter. Die größten Erfolge des 49-Jährigen als Trainer waren die Bundesliga-Aufstiege 2014 mit dem SC Paderborn und 2017 mit Hannover 96 sowie im vergangenen Mai die Schweizer Meisterschaft mit dem FC Zürich. 2015/16 blieb er nur eine Saison bei Schalke 04 (Platz fünf) und Anfang 2019 verließ er nach zwei Jahren den anschließenden Bundesliga-Absteiger Hannover 96.

In den Fokus gerät in Hoffenheim nun auch der Sportdirektor Rosen, der alles in Frage stellt und der sich selbst befragen lassen muss nach den jüngsten Trainer-Akquisen. Auswirkungen haben die Misserfolge in mancher Hinsicht. Beim Publikum ist Hoffenheim nur Bundesliga-Vorletzter (vor Union Berlin) mit 22 250 Zuschauern pro Heimspiel.

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