Hoffenheim bleibt in der Bundesliga:Albtraum endet im Glück

Sie tanzen Polonaise und singen: "Hoffe ist der geilste Klub der Welt." Die TSG 1899 feiert den Relegationserfog gegen Kaiserslautern wie eine Meisterschaft. Dass die verkorkste Saison überraschend positiv endet, hat der Klub vor allem einem zu verdanken: Trainer Gisdol.

Von Tobias Schächter, Kaiserslautern

1. FC Kaiserslautern - TSG 1899 Hoffenheim

Hoffenheims Trainer Markus Gisdol (links) bekommt von den Spielern eine Bierdusche.

(Foto: dpa)

Die Polonaise der Kindsköpfe schlich sich in gebückter Haltung in den Pressekonferenzraum. Auf dem Podium dann bildeten die Spieler der TSG 1899 Hoffenheim dann einen Kreis um ihren Trainer Markus Gisdol und überschütteten ihn mit dem Inhalt ihrer Bierdosen. Danach rannten die 18 jungen Männer schnell wieder in den Umkleidetrakt des Fritz-Walter-Stadions und sangen: "Hoffe ist der geilste Klub der Welt."

Wer die Hoffenheimer Profis nicht in den Verdacht des Meineids rücken will, sollte sie besser nicht fragen, ob sie diese Devise vor fast acht Wochen auch ausgegeben oder gar gesungen hätten. Aber seit Gisdol Anfang April das Traineramt übernommen hat, ist alles anders im Kraichgau.

Im Prinzip lässt sich diese Saison der TSG in zwei ungleiche Phasen einteilen: bevor Gisdol kam und danach. Als der 43-jährige Geislinger Cheftrainer wurde, schien die TSG unaufhaltsam auf dem Weg in die zweite Liga. Am Montagabend aber konnte der Bundesligasechzehnte den Klassenerhalt nach dem 2:1-Sieg beim 1. FC Kaiserslautern im zweiten Relegationsduell gegen den Dritten der zweiten Liga wie eine Meisterschaft feiern. Das Hinspiel vergangenen Donnerstag hatte die TSG 3:1 gewonnen. Das, was in den letzten knapp acht Wochen passiert ist, nennen sie ihn Hoffenheim "ein kleines Fußballwunder".

Dass diese Saison nicht so albtraumhaft endete, wie es sich über drei Viertel der Strecke angefühlt hatte, verdanken sie in Hoffenheim vor allem Gisdol. Irgendwer bei der TSG hatte zur Abwechslung einmal eine gute Idee, als dieser zum Chefcoach und Alexander Rosen zum Leiter des Profifußballs berufen wurde. Gisdol war der vierte Trainer in dieser Saison, Rosen der dritte Manager. Mit seiner Geradlinigkeit, seiner Konsequenz und seiner kommunikativen Art schaffte es Gisdol, ein durch die vielen Personal- und Richtungswechsel der vergangenen Jahre verlorengegangenes Gemeinschaftsgefühl zu wecken. "Der Trainer hat uns wiederbelebt", sagt Andreas Beck, der Kapitän.

Schon als Jannik Vestergaard am Montag in der 74. Minute auf dem Betzenberg das entscheidende 2:1 geköpft hatte, schallte Gisdols Name aus den 4600 Kehlen der Hoffenheimer Kurve. Nach dem Abpfiff stand der Trainer mit Megaphon in der Hand als Vorsänger auf dem Zaun und dirigierte die Jubelfeiern.

Der Schlüssel zum Erfolg, erklärt Gisdol, sei die Bereitschaft der Spieler gewesen, sich in kurzer Zeit als Team zu entwickeln. Gisdol war der erste Trainer seit seinem Mentor Ralf Rangnick, der das Vertrauen der Spieler bei diesem komplizierten Klub gewinnen konnte. Wo vorher Misstrauen geherrscht hatte, entwickelte sich plötzlich Gefolgschaft. Seine Strategie, im Abstiegskampf das Wort Abstiegskampf nicht in den Mund zu nehmen und sich total auf die sportliche Entwicklung der Mannschaft zu fokussieren, erwies sich als Erfolgsstrategie. Gisdol sagt: "Ohne das Vertrauen der Spieler geht es nicht. Erfahrene Spieler wie Beck und Salihovic haben als Vorreiter in der Kabine das Zutrauen in unsere Ideen gefördert."

Mit drei Grundprinzipien zum Erfolg

Mit drei Grundprinzipien war Gisdol, der ehemalige U-23-Coach der TSG, angetreten: Entwicklung einer offensiven Spielweise, bescheidenes Auftreten und Einbau von jungen Spielern. Gisdol zeigte Mut, indem er Talente wie Thesker, Süle, Szarka oder Ludwig einsetze. Er sagt: "Junge Spieler können sich nur entwickeln, wenn man ihnen Einsätze gibt." Und Alexander Rosen erklärt: "Der Trainer setzt ja nicht künstlich auf die Jugend, sondern weil er überzeugt ist, dass die Spieler gut sind." Mit der Konsequenz, mit der der selbstbewusste Gisdol seinen Worten Taten folgen ließ und Transferflop Tim Wiese sowie manch anderen Fehlkauf seiner Vorgänger degradierte und auf die jungen Spieler und auf offensiven Fußball setzte, wuchs der Glaube an bessere Zeiten.

Wo vor zwei Monaten noch düstere Untergangsstimmung herrschte, wirkt nun plötzlich alles wie ein Aufbruch. Mit Gisdol scheint nun endlich ein Trainer am Werk, der sich vom einflussreichen Mäzen Dietmar Hopp und dessen Einflüsterern emanzipieren könnte.

Selbstverschuldet hatte sich der Klub an den Rand des Abstiegs manövriert und bewiesen, dass man auch aus viel nichts machen kann. Ohne Not rief der damalige Trainer und Manager Markus Babbel zu Beginn der Spielzeit das Saisonziel Europapokal-Teilnahme aus, was die Spieler unnötig belastete. Der miesepetrige Trainer Kurz und der phrasenmächtige Manager Müller hinterließen Gisdol eine demoralisierte Mannschaft. Diese wiederbelebt zu haben, ist eine starke Trainerleistung. Und dennoch: Beim 2:1 am letzten Spieltag in Dortmund, das ja erst die Relegationspiele gegen den FCK ermöglichte, hatte die TSG auch verdammt viel Glück. Gisdol weiß das, er sagt: "Wir müssen demütig bleiben und in kleinen Schritten unseren Weg weitergehen."

Der mit 43 Profis aufgeblasene Kader wird verkleinert und verjüngt. In Hoffenheim könnten mehr Gelder an Abfindungen bezahlt werden in diesem Sommer, als an Ablösesummen für Einkäufe. Die Zeit des sinnlosen Geldverbrennens soll vorbei sein.

Auch die Verlierer singen

A huge banner of supporters of FC Kaiserslautern is seen before their German first soccer division relegation return match against 1899 Hoffenheim in Kaiserslautern

Klatschen für die Verlierer: Die Fans vom FCK.

(Foto: REUTERS)

Gefeiert haben nichtsdestotrotz auch die 45.000 FCK-Fans unter den fast 50.000 im Fritz-Walter-Stadion Montagnacht - und rührten Spieler und Verantwortliche zu Tränen. Fast eine halbe Stunde lang sangen sie ihre Lieder nach dem Abpfiff, kaum jemand ging nach Hause. Die feierten aber eher sich und ihren Klub, weniger die Mannschaft, die das sportliche Ziel Wiederaufstieg verpasst hatte - auch wenn es in beiden Spielen Phasen gab, in denen die Lauterer das Duell zu ihren Gunsten hätten wenden können.

Aber selbst FCK-Vorstandsvorsitzende Stefan Kuntz sagte anerkennend: "Ohne rot-weiße Brille muss man sagen: Hoffenheim war individuell einen Tick besser besetzt." Nur mit der uralten Pfälzer "druff un dewerrer"-Taktik ("drauf und rangehen") mit langen Bällen auf Stürmer "Mo" Idrissou blieb das Spiel der Pfälzer ausrechenbar. Nach der Partie fühlte Kuntz ob der beeindruckenden Stimmung zum Abpfiff einer Saison mit Höhen und Tiefen "eine komische Mischung aus Traurigkeit und Stolz".

Nach dem Stimmungstief und dem personellen Umbruch nach dem Abstieg steht dem FCK ein weiteres Jahr in Liga zwei ins Haus. Kuntz will wieder eine Mannschaft bilden, die um die ersten fünf Plätze mitspielen kann. Einen weiteren Umbau schließt er nicht aus. Alexander Baumjohanns Vertrag beispielsweise läuft aus und Kuntz sinniert, sein Bauchgefühl sage ihm, dass der Techniker im Gegensatz zum FCK den Weg in die Bundesliga gehen werde.

In Lautern hoffen sie auf ihre Anhänger. Der bei vielen Fans nicht unumstrittene Trainer Franco Foda sagt: "Das war heute großes Kino von unseren Fans. Das weckt die Gier auf die neue Saison." Nur heißen die Gegner statt Bayern, Dortmund oder Schalke in der Pfalz dann wieder Paderborn, Ingolstadt oder Aue. Dass das in Hoffenheim umgekehrt sein wird, wollen die Spieler nach durchzechter Nacht am Dienstagnachmittag mit ihren Fans in der Sinsheimer Arena feiern.

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