Urteil gegen Hoeneß:Strafe muss sein

Vierter Verhandlungstag gegen Uli Hoeneß

Zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt: Uli Hoeneß

(Foto: dpa)

Maßvoll hart, aber gerecht: Das Urteil von drei Jahren und sechs Monaten demonstriert, dass das Verbot der Steuerhinterziehung wirklich für jeden gilt - und dass niemand davonkommt, so prominent er auch sein mag.

Von Heribert Prantl

Es gibt schon eine Komödie und einen Roman dieses Titels. Nun gibt es auch noch ein Trauerspiel, das "Der Spieler" heißt. Es wurde soeben im Gerichtssaal aufgeführt. Es folgte den Regeln des Strafgesetzbuchs, der Strafprozessordnung und der Abgabenordnung. Traurig war und ist es deswegen, weil es den selbst verschuldeten Nieder- und Untergang eines Fußballhelden zeigt, der zu lange geglaubt hatte, die Regeln des Strafgesetzbuchs, der Strafprozess- und der Abgabenordnung seien nicht für ihn gemacht. Die Summen, mit denen der Spieler Hoeneß spielte, waren so abenteuerlich hoch, dass er sein Spiel für ein realitätsfernes Abenteuer gehalten haben mag.

Der Schuldspruch holt ihn nun in eine vergitterte Realität. Das Urteil ist maßvoll hart, aber gerecht. Es wäre ungerecht gewesen, Uli Hoeneß aus Respekt vor seiner sonstigen Lebensleistung oder aus Mitleid, Gnade und Barmherzigkeit nur "auf Bewährung" zu verurteilen und ihm so die Schmach der Haft zu ersparen. Schmach ist eine Haftstrafe auch für andere, die nicht so prominent sind.

Hoeneß ist ein braver Mann. Die Kriminalität der Braven ist ein besonderes Kapitel im Strafrecht. Die Kriminalität der Braven handelt meist nicht von Gewalt, nicht von Körperverletzung, nicht von Totschlag und Vergewaltigung. Sie handelt oft von Korruption, Untreue oder, wie bei Hoeneß, von Steuerhinterziehung. Es geht hier um Rechtsgüter, die nicht auf Einzelinteressen, sondern auf gesellschaftlichen Interessen beruhen. Wer sich selbst für "die Gesellschaft" hält, ist daher geneigt, diese Straftaten nicht ernst zu nehmen.

Aber auch die Gesellschaft selbst neigt bisweilen dazu, bei den Straftaten gegen das Gemeinwohl Entschuldigungen zu akzeptieren, die man bei Gewalttätern niemals akzeptieren würde: Was würde man von einem Körperverletzer halten, der darauf hinweist, dass er ein Tierfreund ist und immer die Katze streichelt? Was würde man von einem Einbrecher halten, der sich damit hervortut, dass er jeden Monat eine Fünfzig-Euro-Spende an Amnesty International überweist? Schön und gut, würde man sagen - das ändert aber nichts an der Körperverletzung, das ändert nichts daran, dass der Einbruchsdiebstahl als solcher zu bestrafen ist. Damit zu Uli Hoeneß: Er war und ist ein großzügiger Mann; er hat viel Geld gespendet; er kann auf eine imposante Lebensleistung verweisen. Das ändert nichts daran, dass er - mindestens - 28,5 Millionen Euro Steuern hinterzogen hat. Das ist die Schuld, um die es geht.

Die Schuld des Täters ist die Grundlage der Strafzumessung. Was ist Schuld? Wie stellt man sie fest? Wie und in welche Strafe verwandelt sie sich? Das sind rechtsphilosophische Fundamentalfragen. Ein Richter muss aber im Strafurteil keine philosophischen Abhandlungen schreiben. Er muss die Strafgesetze anwenden; diese versuchen, die rechtsphilosophischen Fundamentalfragen in den praktikablen Alltag zu übersetzen.

Die strafrechtlichen Verbote gelten für Hoeneß - und Max Mustermann

Paragraf 370 Abgabenordnung macht das so: Wegen Steuerhinterziehung wird bestraft, wer "die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt". Und ein besonders schwerer Fall liegt vor, "wenn der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt". 28, 5 Millionen Euro - das ist ein besonders großes Ausmaß.

Strafrecht ist formalisierte Sozialkontrolle - also "Verarbeitung abweichenden Verhaltens durch Normen, Sanktionen und Verfahren", wie das der jüngst verstorbene frühere Verfassungsrichter Winfried Hassemer formuliert hat. Das Steuerstrafrecht bietet ein besonderes, ein im ganzen Strafrecht einmaliges Verarbeitungsprivileg: die Selbstanzeige, die, wenn sie wirksam ist, zur Befreiung von Strafe führt. Hoeneß hat sich dieses Privileg (das fragwürdig, aber geltendes Recht ist) nicht verdient - weil eine verdruckste und unvollständige Selbstanzeige keine strafbefreiende Selbstanzeige ist. Diese verlangt die komplette Rückkehr zur Steuerehrlichkeit. Ein bisschen Rückkehr genügt nicht.

Was ein Diebstahl, was ein Raub, was eine Steuerhinterziehung ist - das ist einigermaßen genau geregelt. Die Strafen, die es dafür gibt, bewegen sich aber in einem sehr weiten Rahmen; beim schweren Fall der Steuerhinterziehung reicht der von einem halben Jahr Haft bis hin zu zehn Jahren. Weil das ein zu großer Spekulationsraum für das Gerechtigkeitsgefühl und die Gerechtigkeitserwartungen ist, hat die Rechtsprechung Raster entwickelt: Zwei Urteile des Bundesgerichtshofs aus den Jahren 2008 und 2012 haben für hohe Steuerhinterziehungen ein solches Raster entworfen. "Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe", heißt es da, "kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe danach nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht."

Zur Bewährung "aussetzungsfähig" sind nur Freiheitsstrafen bis zu maximal zwei Jahren. Die Schuld bei einer Steuerhinterziehung von 28,5 Millionen Euro liegt aber nicht im untersten Fünftel des Strafrahmens. Da hätten die Richter nicht nur zwei Augen zudrücken müssen, sondern zehn. Es hat nämlich nicht nur der in der Öffentlichkeit plakativ herausgestellte Richter Rupert Heindl geurteilt: Geurteilt hat eine Große Strafkammer, geurteilt haben drei Berufs- und zwei Laienrichter. Und auch bei emsigstem Suchen nach Milderungsgründen - Aufklärungshilfe, günstige Sozialprognose, Geständnis, respektable Lebensleistung - findet man nicht so viele, dass damit die Strafe so weit nach unten gedrückt werden kann.

Was ist der Sinn der Haftstrafe? Die Erziehung des Uli Hoeneß zur Steuerehrlichkeit? Dafür hat diesem wohl schon das vergangene Jahr mit all seinen Anfeindungen gereicht. Die Abschreckung der Bürger vor ähnlichen Taten? Den Allermeisten bleibt da der Schnabel ohnehin sauber, da sie kein Geld zum Zocken haben. Was also ist der Sinn so einer Bestrafung? Diese Strafe demonstriert, dass die strafrechtlichen Verbote wirklich gelten - sie gelten für Hoeneß ebenso wie für Hans Mustermann. Das ist positive Generalprävention. Sie ist der einzig gute Sinn von Strafe.

Der Schaden, den Hoeneß hat, macht nicht froh

Gewiss: Auch Geldstrafe ist Strafe. Das Gericht hätte - theoretisch - eine Haftstrafe auf Bewährung mit der Zahlung von viel, von sehr viel Geld kombinieren können, mit einer hohen Millionensumme also. Eine Demonstration der Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung wäre das nicht gewesen. Im Gegenteil. Es hätte geheißen: Da darf sich ein Millionär freikaufen. Es wäre, in Abwandlung eines alten Spruchs, gesagt worden: "Wenn das Geld im Kasten klingt, der Hoeneß aus der Zelle springt." Das wäre nicht eine Verteidigung der Rechtsordnung, sondern deren Infragestellung gewesen. Ohne Verteidigung funktioniert eine Fußballmannschaft nicht. Der Rechtsstaat auch nicht.

Der Schaden, den Hoeneß hat, macht einen nicht froh. Vom Thron des Fußball-Präsidenten ins Gefängnis - das ist ein Höllensturz. Nicht das Recht hat ihm das angetan, vielmehr Hoeneß sich selbst. Das macht beklommen, weil es zeigt, wie dünn das Eis des Alltags sein kann.

Alles, was für Hoeneß spricht, aber das Strafmaß nicht weiter mildern konnte, all das kann im Rahmen des Strafvollzugs berücksichtigt werden: Bei außergewöhnlichen Umständen kann die Haft schon bei Halbzeit, also nach 21 Monaten, zur Bewährung ausgesetzt werden. Und in den offenen Vollzug könnte der Häftling Hoeneß schon alsbald verlegt werden. Offener Vollzug heißt nicht unbedingt, dass einer beliebig aus und ein gehen darf; er kann sich aber innerhalb der Anstalt frei bewegen.

Aus und ein gehen kann er als "Freigänger". Der Freigang ist eine ganz besondere Form des gelockerten Vollzugs: Da kann der Häftling auch ohne Aufsicht tagsüber einer "Außenbeschäftigung" nachgehen - "wenn nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzugs zu Straftaten missbrauchen" werde, sagt das Gesetz. Besondere Fristen, etwa zum Eingewöhnen oder zum Kennenlernen anderer Gefangener, sind nicht vorgeschrieben.

"Freigänger", so sagt es der von Johannes Feest herausgegebene Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, kann ein Häftling "vom ersten Tag an" sein. Nur zum Schlafen muss er ins Gefängnis. Das bedeutet: Hoeneß könnte theoretisch vom ersten Hafttag an seinen Geschäften beim FC Bayern nachgehen - welche immer das auch sein werden. Wenn Bayern das so praktiziert wie andere Bundesländer auch.

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