Süddeutsche Zeitung

Hockey:Silber ist auch Gold

Die deutschen Hockeyteams werden bei der Europameisterschaft Zweite hinter Gastgeber Niederlande - was trotzdem reicht, um vom Olympiasieg zu träumen.

Von Volker Kreisl, Amsterdam/München

Ganz genau lässt er sich nicht verorten, der Zeitpunkt, an dem die Hockey-Nationalmannschaft der Männer plötzlich wieder von einem Teamgeist beseelt war. Die einen denken, das geschah erst auf dem Platz, die anderen glauben, wohl eher schon davor, in der Kabine, und der Trainer Kais al Saadi sagt, es sei bereits auf dem Weg zu jenem Pro-League-Spiel im April gegen Holland gewesen. Also auf der Autobahn.

Ganz geklärt werden wird das nie, der Teamgeist selber gibt auch keine Antwort, denn er hat Besseres zu tun. Jedenfalls ist er jetzt anwesend. Mittlerweile, gut drei Monate später, hat er das Hockey-Team von einer talentierten, aber doch fahrigen und in Einzelspieler zerfallenen Gruppe zu einem Olympia-Mitfavoriten befördert. Am Samstag gewannen die Hockey-Männer Silber bei der Europameisterschaft, was sie selber wegen des im letzten Moment verlorenen Finales gegen die Niederlande zunächst als Niederlage empfanden.

Auch die deutsche Equipe der Frauen scheiterte im Endspiel, ebenfalls am Gastgeberteam. Die Auswahl von Bundestrainer Xavier Reckinger hatte zwar gut mitgespielt, jedoch ihre Torchancen nicht verwandelt, am Ende stand es 0:2. Diese Niederlage, so Reckinger, "war auch ein Geschenk von uns".

Bei den Männern lief es etwas dramatischer. Neun Sekunden vor der Schlusssirene hatte es noch 2:1 für die Deutschen gestanden, was im Feld-Hockey eine Ewigkeit ist. Die reichte also den Holländern, um den Ball per Strafecke herein zu schlenzen, den dann Jip Janssen Richtung Tor der Deutschen schlug, wo er - noch abgefälscht - auch landete. Das Resultat: Penaltyschießen, was eher eine technische Einzelleistung ist und keine Team-Angelegenheit. Wie dem auch sei, der Spirit war machtlos, Christopher Rühr und Timm Herzbruch scheiterten.

Die Frage war also, was ist diese Silbermedaille nun wert? Al Saadis Mannschaft hatte insgesamt eine starke Leistung gezeigt, jedoch in den entscheidenden Momenten des Finales offenbar etwas Konzentration eingebüßt. Entsprechend niedergeschlagen war sie zunächst. Aber ist Platz zwei nicht eine beachtliche Leistung nach einem 14 Monats-Spielstopp, der zwar alle betraf, aber vielleicht besonders die Deutschen mit ihrem hohen Anspruch? "Wir haben heute unser bestes Turnierspiel gemacht, wahrscheinlich das beste des Jahres", sagte Kapitän Tobias Hauke. Und Al-Saadi erkannte: "Die Enttäuschung ist riesig, weil wir gemerkt haben, das Team ist bereits so weit, um Turniere zu gewinnen." Andererseits ließ dieses Spiel hinterher eine weite Auslegung zu, etwa diese Interpretation des Trainers: "Wir haben ja eigentlich zu null gespielt."

Eigentlich habe man ja 2:0 gewonnen, rechnete der Trainer

Nach Ansicht der Bilder, so Coach Al Saadi, seien beide Gegentore irregulär gewesen, woraus er aber keine Legende stricken wollte, sondern einen psychologischen Trick zur Erbauung seiner Mannschaft. Fehler würden gemacht, auch von den Schiedsrichtern, man müsse die Konsequenzen hinnehmen, dürfe sich aber durchaus ausmalen, was ohne fremden Einfluss passiert wäre, in diesem Fall ein 2:0 und der EM-Titel für sein Team.

Die eigene Leistung hätte nach dieser Auslegung also gereicht, und der Glaube daran kann entscheidend sein für jenes Turnier, das ab 24. Juli im Hockey-Stadion von Tokio bei den Olympischen Spielen steigen soll. Es ist der Termin, der auch dem deutschen Hockey für 14 Tage höchste Beachtung garantiert. Vergangene Erfolge sind da immer der Maßstab, konkret nun aber eher Gold 2008 in Peking und 2012 in London als Bronze vor fünf Jahren in Rio de Janeiro.

Einen ähnlichen Anspruch haben die DHB-Frauen, auch sie wähnen sich knapp unterhalb der Weltspitze, die im Wesentlichen aus den Niederlanden besteht, und vertrauen auf die letzten Wochen vor Tokio, um nach der Corona-Pause weiter zusammenzuwachsen. "Ich sehe noch etliche Stellschräubchen bei der Spielsteuerung, wie wir Chancen erarbeiten und welche Entscheidungen wir treffen", sagte Bundestrainer Xavier Reckinger. Und Spielerin Cecile Pieper hatte am Ende einen ähnlichen Eindruck wie die Männer: Man sei mit Holland auf Augenhöhe gewesen. Vor allem, seit der Teamgeist, also der Zusammenhalt und der gegenseitig ansteckende Glaube an einen Sieg, immer dabei ist - auch wenn dieser Sieg nicht immer eintrifft.

Wahrscheinlich passierte es ja doch schon auf der Autobahn im April, als man verteilt auf mehrere PKWs über diesen Sommer und wohl auch über die Zukunft sprach und sich vermutlich gegenseitig wieder Lust und Mut machte auf eine neue Erfolgsperiode in diesem Sport. Die gemütlich-gesellige Atmosphäre im Auto ist dafür gar nicht schlecht. Zum Glück ist der Teamgeist schon geboren, nach Tokio geht's im Flieger.

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