Die Zuschauer im Hockeystadion in der Peripherie von Paris setzten sich wie üblich hin, als die laute Aufpeitscher-Musik verstummt war und das Spiel begann. Doch was war das? Sonst kehrt erst mal Ruhe ein, wenn die Spieler sich in Stellung gebracht haben. Aber jetzt zog eine Lärmattacke von der rechten Seite aus über die Tribüne, breitete sich übers grüne Gras, und verursachte Lärm, der so schnell nicht aufhörte. Denn es ging gegen Indien.
Klar, in Paris leben genügend indische Fans, die das olympische Hockeyturnier verfolgen und das Olympiaturnier live im Stadion sehen wollten. Die deutschen Fans versuchten es mit Dagegen-Schreien, jedoch, sie hatten keine Chance im Lärmvergleich.
Das Team von André Henning war nicht nur leiser, sondern insgesamt in diesem abermals spannenden Spiel auch gelassener. Am Ende stand es 3:2, und die Deutschen rückten vor ins olympische Finale gegen die Niederlande. „Wir hatten einfach die bessere Defense“, sagte Torwart Jean-Paul Danneberg. Wie immer, konnte man glauben. Jedoch, lange Zeit sah es ganz und gar nicht danach aus.
Dies lag nicht nur am indischen Lärmen, sondern insbesondere an der großartigen Disziplin und dem Geschick der Inder im Rausholen von Strafecken. Bereits nach 1:35 Minuten wurde die erste Strafecke gepfiffen. „Wir dürfen den Gegner nicht so schnell in den Kreis lassen“, sagten Niklas Wellen und fast alle anderen Spieler. Für die Spieler bedeutet dies immer wieder höchste Gefahr. Und beide, deutsche Spieler und Fans wussten da noch nicht, dass nun eine leicht absurde Phase beginnen sollte, die von sieben Strafecken geprägt war, so, als müsste das deutsche Team hier erst mal durch sieben Strafen gehen.
Es war also die Spezialität des indischen Spiels, die Kugel immer wieder an einen Fuß oder ein Bein zu schießen oder besser: zu platzieren. Die Deutschen konnten sich dagegen nicht erwehren, weshalb aus Sicht des DHB das eine Gegentor zum 0:1 noch zu verschmerzen war.
Indiens Hockey kann mehr als Lärm bis zum Tinnitus
Jedoch, das indische Hockey hat mehr Vorzüge, als nur Lärm bis zum Tinnitus zu verursachen – jedes Mal, wenn ein Fan mal „Deutschland“ rief, wurde dieser tapfere, aber zaghafte Ruf von einem Tribünen-Tsunami verschluckt. Es blieb den Deutschen nichts übrig, als besser zu spielen, um Ruhe herzustellen, was schon anfangs des zweiten Viertels gelang.
Tatsächlich blieb dieses Spiel gegen eine ganz andere Hockey-Mentalität lange offen, auch weil der Argentinier Gonzalo Peillat, der sich vor zwei Jahren dem deutschen Team angeschlossen hatte, den Ausgleich schoss, und zwar per Strafecke: 1:1. Der Verlauf des Spiels erwies sich nun als weiterer Anschauungsunterricht für indische Hockeykunst. Denn immer wieder lupften oder besser, schickten die Gegner den Ball in riesigem Bogen von einer Ecke zur anderen, mit feiner Präzision. Der Adressat nahm den Ball auf und spielte ansatzlos weiter, als wäre nichts.
Jedoch, so spektakulär das Spiel und die indischen Zuschauer waren, schön langsam hielten die Deutschen dagegen. Nach und nach beruhigten sie das Spiel, vor allem Wellen, Christopher Rühr, Martin Zwicker, aber auch der aufmerksame Torwart Danneberg schufen Ordnung und nahmen den Indern den Zugriff, die sich dennoch heftig wehrten. Schließlich wurde das Spiel derart schnell, dass die Zeit sich zu verkürzen schien. Das 2:1 für die Deutschen entstand in eher konservativer Art, als Strafecke, bei der aber ein indischer Verteidiger Hand spielte, und das auf der Torlinie. Das Regelbuch fordert dafür Siebenmeter. Rühr verwandelte mit einem lauten „Plock“ in die holzverkleidete untere Ecke.
Die Deutschen können nicht schlenzen, dafür Tore schießen
Weiter ging dieses schnelle Spiel. Die Deutschen versuchten sich auch, aber mit wenig Erfolg, an weiten Bogenlampen, meist entwischte der Ball der deutschen Kelle. Rasant blieb dennoch das Spiel, die Inder bekamen die zweite Luft, holten weitere Strafecken, die sie im dritten Versuch verwandelten. 2:2 hieß es wieder, mit diesem Spielstand würde es in die Verlängerung gehen, in der ja alles möglich sein kann, wie es die deutschen Spielerinnen erlebten, die anfangs der Woche ausgeschieden waren.
Die Schlussphase zog sich, dafür durften Trainer Henning, die Spieler auf der Bank und die auf dem Feld plötzlich jubeln. Knapp vier Minuten waren noch zu spielen, als Marco Miltkau ganz vorsichtig eine stramme Hereingabe ins Tor ablenkte. Die Deutschen mögen Schlenzer zwar nicht stoppen können, dafür können sie Tore schießen.
3:2 stand es, und die übliche Tortur, die unendliche Schlussphase für die Deutschen begann. Sie war wie ein ganzes Spiel im Schnelldurchgang. Kapitän Mats Grambusch und seine Spieler kontrollierten, schlugen raus, konterten, versuchten Weitschüsse aufs schon leere indische Tor, doch die Zeit verrann einfach nicht – die Uhr wurde sogar noch mal angehalten. Noch eine Strafecke gegen Deutschland. Doch der Ball strich übers Tor, die Schlusssirene dröhnte – und nun machten die Deutschen einen richtig gewaltigen Lärm.