Süddeutsche Zeitung

Hockey:16 Bundesliga-Spiele in zwei Tagen

An nur einem Wochenende ist in Hamburg praktisch die ganze Hockey-Liga zu Gast. Der Verband hält das für eine kluge PR-Kampagne, andere sagen: "Das ist verheerend."

Von Thomas Hahn, Hamburg

Im gediegenen Klubheim des Hockey-Bundesligisten UHC Hamburg hat der Vorsitzende Horst Müller-Wieland einen Platz am Fenster gewählt. Und nun kann man zusammen auf die Herrlichkeit der UHC-Welt schauen. Auf die Bäume des Alstertals, auf den gepflegten Naturrasen-Platz und aufs große Kunstrasenfeld daneben, auf dem das Frauen-Team gerade sein Training abhält. "Das Gelände ist gigantisch", sagt Müller-Wieland, 50 000 Quadratmeter groß. Neben den Hockeyplätzen beherbergt es die größte Tennisanlage Hamburgs, und Horst Müller-Wieland erzählt schnell die Geschichte dieses Ortes, der vor über 90 Jahren aus der Weitsicht der UHC-Funktionäre wuchs.

22 Tennisspieler gründeten den Klub 1901 in Uhlenhorst, woran das U im Vereinsnamen erinnert. Aber 1923 folgten die Klub-Mitglieder dem damaligen Trend zur Freizeit im Grünen und kauften Flächen in Hummelsbüttel, das damals noch ein Dorf bei Hamburg war. Heute geht Hummelsbüttel im Häusermeer der Hansestadt auf, aber der Besitz ist dem UHC geblieben und steht für den Zeitgeist eines selbstständigen, dem Leben zugewandten Bürgertums - also für eine ziemlich typische Hamburger Geschichte.

Hockey gehört zu Hamburg wie der Michel oder die Alster. Das Spiel protzt nicht mit seiner Präsenz, trotzdem ist es immer irgendwie da und trägt die hanseatische Mentalität mit, diesen vornehmen, verbindlichen Stolz, den Zugereiste leicht mit Überheblichkeit verwechseln. Dort, wo die Vereine ihre Plätze haben, sieht man Kinder in Hockey-Trikots auf dem Weg zum Training, Mütter mit geschulterten Schlägertaschen. In regelmäßigen Abständen steht in der Zeitung, dass wieder ein Hamburger Klub was gewonnen hat; der UHC ist 2016 zum Beispiel als Titelverteidiger Meister bei den Frauen geworden.

Kinder in Hockey-Trikots, Mütter mit Schlägertaschen

Und an diesem Wochenende bekommt Hockey in Hamburg einen ganz besonderen Auftritt. Im Bemühen um möglichst faire Bedingungen hat der Deutsche Hockey-Bund dem internationalen Terminkalender für diese Saison einen etwas einseitigen Bundesliga-Spielplan abgetrotzt. Am ersten Spieltag vergangene Woche spielten alle fünf Hamburger Spitzenvereine mit ihren acht ersten Mannschaften bei Frauen und Männern auswärts. Jetzt sind sie zu Hause. Am Samstag und Sonntag finden insgesamt 16 Hockey-Bundesligaspiele in Hamburg statt. Das dürfte es so noch in keiner Sportart gegeben haben.

Die Meinungen darüber sind geteilt. Ingo Heidebrecht zum Beispiel, der Präsident des Hamburger Hockey-Verbandes, nennt den Plan "verheerend, weil wir uns der Vermarktungsmöglichkeit berauben und der Möglichkeit, die Spiele der anderen Klubs zu besuchen". UHC-Mann Müller-Wieland sieht das nicht so eng. Außerdem: Lenkt das nicht die Aufmerksamkeit auf Hamburgs Hockey-Dichte, wenn praktisch die ganze Bundesliga zu Gast ist?

In Wellingsbüttel geben die Männer von Klipper ihr Heim-Debüt nach dem Aufstieg. Nicht weit entfernt spielen die beiden Teams des Clubs an der Alster. Am anderen Alsterufer kann man die Mannschaften des UHC erleben, in Winterhude Frauen und Männer des Harvestehuder THC. Und an der Elbe in Othmarschen treten die Frauen des Großflottbeker THGC an. Heidebrecht sagt: "Das ist ein Spiegelbild dessen, was wir mit dem Begriff Hockey-Hauptstadt Hamburg abbilden."

Hockey-Hauptstadt Hamburg. So heißt eine PR-Kampagne die der Verband und einige Klubs aufgelegt haben, um den Standort als eigene Marke anzudienen. Das Projekt ist selbst in Hamburg nicht unumstritten. Thomas Wiedermann, der Vorsitzende des Clubs an der Alster, sagt: "Wir haben da nicht mitgemacht." Er fände eine Zentralvermarktung des gesamten Hockeysports klüger. "Es geht darum, wie bringe ich den Sport wirklich nach vorne." Und an diesem kleinen Konflikt sieht man schon, dass es nicht immer einfach ist, eine Sportmacht zu sein mit Spitzenklubs, die zusammen, aber irgendwie auch gegeneinander agieren müssen.

Es gibt verschiedene Gründe für den Hamburger Hockey-Erfolg. Die Stadt zieht begabte Spieler an, weil diese hier Sport und Studium besonders gut verbinden können. Ihre Tradition macht die Vereine stark, ihre Anlagen sind gewachsen und erstklassig ausgestattet. Und auch die Rivalität unter Nachbarn hat die Klubs wachsen lassen. Der UHC zum Beispiel galt lange als Verein für freundliche Durchschnittssportler und schöne Feste. Bis man dort die Nachwuchsarbeit forcierte, in Trainer investierte und auf das Niveau stieg, das Harvestehuder THC und Club an der Alster lange vorher hatten.

Aber sich in lokalen Kleinkriegen aufzureiben, ist nicht hanseatisch. Die Konkurrenten eint ihr Lokalpatriotismus. "Wir helfen uns gegenseitig", sagt Wiedermann. Und der Wettbewerb um Spieler und Sponsoren? "Ich würde nicht sagen, dass es ein kannibalisierender Prozess ist, weil wir alle eine gute Jugendarbeit machen." Bezahlte Nachwuchstrainer sind Standard bei den wichtigen Hamburger Hockey-Klubs. Und jeder hat sein eigenes Netzwerk, aus dem er Geld und sportliche Kraft zieht. Sie sind Besitzer ihrer Anlagen, sie haben relativ hohe Mitgliedsbeiträge, Spender, Mäzene. Hockey ist ein Sport des Wohlstands, niemand klagt, niemand polarisiert. "Dass man dadurch kein Spitzenteam hat, das irre viele Zuschauer zieht, ist die Kehrseite der Medaille", sagt Wiedermann.

Trotz Erfolg behält Hockey etwas Elitäres

Der Harvestehuder THC wurde früher etwas abschätzig Schwarz-Gelb Barmbek genannt, wegen seiner Nähe zum weniger repräsentativen Teil Hamburgs. Das war ein Kontrast zum mondänen Club an der Alster, der immer besonders teuer und besonders elitär war. Aber in Wirklichkeit ist Hockey nie ein Abbild gesellschaftlicher Gegensätze gewesen. Und jetzt ist es das schon gar nicht. Der Club an der Alster ist nicht mehr ganz so exklusiv wie früher, von Schwarz-Gelb Barmbek redet man kaum noch, und auch der UHC hat heutzutage titelreiche Phasen. Die Klubs, so scheint es, sind sich ähnlicher geworden.

Hockey wirkt in Hamburg glücklich und in sich ruhend. Auch etwas weit weg von den sozial Schwachen, denen Sport eine Stütze sein kann? 300 Euro zahlt ein Jugendlicher jährlich als UHC-Mitglied, 150 Euro beträgt die Aufnahmegebühr. Das ist deutlich teurer als etwa in einem Fußballverein. "Wir müssen die Anlagen selbst bewirtschaften", sagt Müller-Wieland, "daraus ergibt sich eine finanzielle Schwelle. Das ist nicht gewollt elitär, das ist einfach so." Vereine und Verband veranstalten Aktionstage, damit auch Kinder aus anderen Milieus mal einen Hockeyschläger in die Hand bekommen. Aber am Ende ist Hockey eben doch so etwas wie der weiße Sport unter den Mannschaftsspielen.

Mit der Spitzensportvermarktung hadern sie. Und Christian Blunck findet, die Hamburger Klubs lassen Potenzial liegen. Blunck, 48, ist ein HTHC-Idol, Olympiasieger von 1992, heute Hockey-Reporter und Assistenztrainer bei Aufsteiger Klipper. Er ist der Meinung, "dass man viel, viel mehr zusammen machen sollte". Ein gemeinsames Event zum Beispiel, wenn der Bundesliga-Spielplan schon alle gleichzeitig in die Heimat zwingt. "Weiter denken", fordert Blunck. Aber auch gute Nachbarn denken eben nicht immer in dieselbe Richtung.

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SZ vom 24.09.2016/ska
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