Formel 1 in Hockenheim:Vettel und seine irrwitzige Aufholjagd

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Schiebt sich immer weiter nach vorne: Sebastian Vettel in Hockenheim (Foto: REUTERS)
  • Lewis Hamilton und Valtteri Bottas patzen beim Regenrennen von Hockenheim.
  • Sebastian Vettel krönt seine Aufholjagd im Ferrari - und schafft es aufs Podium.
  • Im Ziel ist nur noch Max Verstappen vor ihm.

Von Philipp Schneider, Hockenheim

Der Regen prasselte fröhlich auf Sebastian Vettels Helm, als in seine Ohren die Stimme seines Strategen ertönte. "Box Sebastian, box! Slicks!"

Aha, Slicks, also Trockenreifen. Vettel fuhr brav raus und ließ sich die neuen Gummis anschrauben. 24 von 64 Runden waren da erst gefahren auf dem Hockenheimring, es hatte die ganze Zeit getröpfelt. Mal richtig stark, mal stark, mal weniger stark, aber immer noch ganz ordentlich. Trockene Traumbedingungen für Trockenreifen hatte es eigentlich zu keiner Zeit gegeben. Aber was half es denn der Scuderia Ferrari? Sie hatten dieses Rennen schon in der Qualifikation am Samstag verloren, als Defekte gleich beide Fahrzeuge lahmlegten, weswegen Charles Leclerc als Zehnter ins Rennen gestartet war - und Vettel gar als Letzter, als Zwanzigster. Ein bisschen mutig darf man da schon mal sein.

Formel 1 in Hockenheim
:Vettel rast von ganz hinten auf den zweiten Platz

Das Formel-1-Rennen auf dem Hockenheimring verläuft turbulent: Hamilton fällt nach einem verpatzten Stopp zurück, Vettel gelingt eine eindrucksvolle Aufholjagd - und Verstappen gewinnt.

Und Vettel wurde belohnt für diesen Mut! Er pflügte durch die Pfützen in Hockenheim und wurde noch Zweiter hinter Max Verstappen im Red Bull. Ein Jahr nachdem er, in Führung liegend, in der feuchten Sachs-Kurve ausgerutscht war, worauf er zwölf Monate lang von sehr vielen Menschen angesprochen wurde, umfing dieser zweite Platz im Regen nun seine Seele auf wohltuende Weise. "Eine fantastische Leitung von ihm", lobte Ferrari-Chef Mattia Binotto. "Das hat er gebraucht. Das hat das Team gebraucht." Und das war sogar eine Untertreibung.

Eine herrliche Abrisssause

Nach seinem Stopp fuhr Vettel wieder raus auf die nasse Strecke mit seinen Trockenreifen. Und weil es ihm kurz darauf alle Spitzenfahrer gleichtaten und sich ebenfalls für die trockenen Mischungen entschieden, tobte für einige Minuten der Irrsinn auf dem Hockenheimring - der sich am Sonntag fürs Erste von der Formel 1 verabschiedete. Jeder Gast dürfte sich noch eine Weile erinnern an eine herrliche Abrisssause, auf der es feucht und wild zuging wie auf einer Ü30-Schaumparty. Die Piloten wechselten so oft hin und her zwischen Trocken- und Regenreifen, als würden sie Socken tauschen.

Max Verstappen kam an die Box, ihm wurde eine härtere Mischung gereicht als Vettel. Kurz darauf drehte er sich in seinem Red Bull, fing ihn aber spektakulär wieder ab. Er fluchte. "Ihr hättet mir die Soft-Reifen geben sollen!" Als nächstes reagierte Mercedes, sie schickten Lewis Hamilton und Valtteri Bottas auf Trockenreifen auf die Strecke. Nun rutschte Leclerc aus, er versenkte seinen Ferrari im Kiesbett von Kurve 16. Seine Reifen drehten sich, der Kies flog in die Luft, Leclerc stieg aus, das Rennen war vorbei. Und auch Hamilton patzte, der zuvor, von der Pole Position gestartet, das Rennen diktiert hatte. Er verlor den Wagen kurz vor der Einfahrt in die Boxengasse. Dabei demolierte er seinen Frontflügel. Schließlich bog er auf der falschen Seite der Boxenmauer ein zu seiner Versorgungsstation, wofür er eine Fünf-Sekunden-Strafe erhielt. Und das war noch nicht einmal sein größtes Problem.

Als er schließlich seinen Silberpfeil zu den Mechanikern gelenkt hatte, da lag weder ein passender Frontflügel parat, noch lagen dort die richtigen Reifen. Wie ein Kaugummi zog sich sein Boxenstopp in die Länge, eine ganze Minute, und als er auf die Strecke rollte, da war er nicht mehr Erster, sondern Fünfter. Sieben Runden vor Schluss flog auch noch Valtteri Bottas von der Strecke, der es vielleicht noch aufs Podium geschafft hätte. Ein Wahnsinn alles.

Es gibt Rennen, die sind so irrwitzig, dass sie keinen Sieger verdienen. Als Verstappen in Hockenheim als Erster über die Ziellinie fuhr, da hatte er einen Grand Prix gewonnen, der zeitweise von Lance Stroll angeführt worden war, der schließlich Vierter wurde. Und Dritter wurde tatsächlich Daniil Kwjat im Toro Rosso. Verstappen gewann einen Grand Prix, in dem sich einige Fahrer viermal neue Reifen hatten aufziehen lassen; in dem viermal das Safety Car ausrückte. "Es war wie ein Horrorfilm mit ein bisschen was von einer schwarzen Komödie", sagte Kwjat. Und Vettel sagte: "Ein langes Rennen, an manchen Stellen hat es sich angefühlt, als würde es nie enden."

Nur der Vollständigkeit halber: Der erste Pilot, der sich Trockenreifen hatte anschrauben lassen, war der Haas-Pilot Kevin Magnussen. Dann folgte Vettel, dann fast alle anderen. Sie alle haben recht fix gemerkt, dass es eine schlechte Entscheidung war, sie wechselten zurück auf Intermediates. Zumindest vorübergehend.

Ironischerweise ist an diesem Wochenende unheimlich viel über die Hitze geredet worden, so wie überall in Deutschland. In Nordbaden wurde die Hitze allerdings noch intensiver diskutiert, weil es zuletzt beim Rennen in Spielberg ähnlich heiß gewesen war und die Silberpfeile von Hamilton und Bottas in Österreich unter den Temperaturen so sehr gelitten hatten, dass sie ausnahmsweise das Rennen nicht gewinnen konnten. Er hoffe, dass eines seiner Updates für das Auto eine Klimaanlage sei, scherzte Verstappen am Freitag. Am Sonntag jedoch, als es galt, da war es deutlich kühler. Und es regnete.

Das erste Rennen, in dem es durchgängig regnete seit Brasilien 2016

Es war das erste Rennen, in dem es durchgängig regnete seit dem Großen Preis von Brasilien 2016, in dem Verstappen die Branche mit seinen Fahrkünsten zum ersten Mal in Staunen versetzt hatte. Keiner der Piloten hatte seinen Rennwagen in der Saison 2019 zuvor unter nassen Bedingungen gelenkt. Diesmal stand Vettel 19 Plätze am Start hinter Lewis Hamilton, ein Defekt am Turbo hatte seinen Ferrari lahmgelegt im vorentscheidenden Moment des Rennwochenendes: gleich zu Beginn der Qualifikation. Auch sein Teamkollege wurde Opfer mangelhafter Technik, Charles Leclerc hatte einen Defekt an der Benzinpumpe und musste starten aus Parkbucht zehn. Es blieb den Fahrern als Hoffnung der Gedanke, dass Hamilton im Vorjahr in Hockenheim gewonnen hatte, obwohl er von Startplatz 14 losgerollt war.

Wenige Minuten vor dem Start entschied die Rennleitung, zunächst ein paar Proberunden hinter dem Safety Car zu fahren. Sie entschied sich dann aber doch gegen einen fliegenden und für einen stehenden Start, nachdem einige Fahrer ihren Unmut kundgetan hatten, dass es doch bitte endlich losgehen solle. "Die Strecke passt. Es ist nass. Los geht's", funkte Magnussen.

Die Ampeln gingen aus. Und Verstappen, der von Platz zwei im Sandwich der Silberpfeile losrollte, kam schlecht weg. Bottas und Räikkönen überholten ihn, er fiel zurück auf Rang vier. Rasant starteten die Ferraris, Vettel lag nach einer gefahrenen Runde schon auf Position zwölf, Leclerc auf sechs. Sergio Perez rutschte aus, sein Racing Point stand verkehrt herum auf der Geraden in Richtung Motodrom. Das SafetyCar rückte aus. Ferrari reagierte sofort, sie zogen die Regenreifen ab und schraubten Intermediates ans Auto. Die Konkurrenz folgte diesem Plan, nach und nach kamen alle Piloten an ihre Reifenstationen.

Acht Runden waren gefahren, und an der Spitze kreisten unverändert Hamilton, Bottas und Verstappen. Sieben Sekunden dahinter folgte Leclerc - und zwischen ihm und Vettel auf Rang sechs fuhren Niko Hülkenberg und Räikkönen. "Watch out", funkte der Kommandostand von Mercedes an Hamilton, "der Regen kehrt zurück". Hamilton fuhr souverän, nach 14 Runden hatte er sich bereits einen Puffer von mehr als vier Sekunden auf Bottas erarbeitet, der zeitweise eine halbe Sekunde langsamer kreiste. Kurz darauf fuhr Vettel an die Box, er ließ sich Trockenreifen reichen, die Rutschpartie nahm ihren Lauf.

Und als Vettel gegen Ende doch noch an Stroll und Kwjat vorbeischoss, da gab es stehende Ovationen in Hockenheim.

© SZ vom 29.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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