Süddeutsche Zeitung

Hitzlspergers Coming-out:Ein Anfang ist gemacht

Das Coming-out von Thomas Hitzlsperger platzt mutig in eine Zeit zweier rivalisierender Fußballfraktionen. Einer neuen Generation von Verantwortlichen und Profis, die Macho-Spieler ablehnt, steht eine Retro-Gruppe gegenüber, die allem Neuen das Etikett "schwul" aufdrückt.

Von Christof Kneer

Thomas Hitzlsperger war schon immer ein ungewöhnlicher Fußballspieler. Er war das nicht nur wegen seiner ungewöhnlichen Sportlerbiografie, die ihn schon mit 18 Jahren von einem oberbayerischen Bauernhof zu Aston Villa nach England führte; er war es auch nicht nur wegen der gewaltigen Schusskraft im linken Bein und nicht nur, weil er ein mustergültiger Lerner war, der jedem neuen akademischen Ansatz des Spiels offen gegenüberstand.

Nach allem, was man damals über ihn wusste, war Hitzlsperger vor allem deshalb ein ungewöhnlicher Profi, weil er die üblichen Reflexe in der Branche immer aus einer gewissen Distanz betrachtet hat. Als er im vergangenen August sein Karriere-Ende mit erst 31 Jahren bekannt gab, hat er sich sogar gegen den Begriff "Karriere" verwahrt. Er klang ihm zu aufgeblasen, zu heroisch. Er hat das so gesehen, dass er sich einfach vom Spielbetrieb verabschiedet, ohne große Girlanden oder Heldengesänge. Er war halt ein Fußballprofi, und dann war er halt plötzlich keiner mehr.

Das war und ist ein ausgesprochen ehrenwerter Ansatz, aber im Moment kann es Thomas Hitzlsperger drehen und wenden, wie er will: Er weiß, dass er jetzt erst mal eine Menge Schlagzeilen produzieren wird. Im Interview mit dem Wochenmagazin Zeit hat er seine Homosexualität öffentlich gemacht und ist fürs Erste nun doch geworden, was er nie sein wollte: eine Figur, die sie in der Fußball-Szene als historisch begreifen werden. Er ist der erste prominente deutsche Profifußballer, der sein Schwulsein öffentlich thematisiert.

"Ich äußere mich zu meiner Homosexualität, weil ich die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen möchte", sagte Hitzlsperger der Zeit, für deren Online-Ausgabe er seit Jahren - übrigens inhaltlich und sprachlich anspruchsvolle - Kolumnen verfasst. Er habe das Gefühl, so Hitzlsperger, dass nun, nach dem Ende seiner Karriere, ein guter Moment für ein Coming-out gekommen sei.

Um die Dimension dieser Entscheidung zu verstehen, muss man sie in jene Branche einordnen, zu der Hitzlsperger bis zum vorigen August noch gehörte. Es ist eine Branche, die sich seit einiger Zeit mit zunehmender Neugier den sogenannten Tabuthemen widmet - wie Homosexualität oder Depression. Die Motive hinter dieser Neugier sind so disparat wie die Branche selbst, und der sensationslüsterne Teil der Branche (und auch: der Medien) hat bislang verhindert, dass Profis wie Hitzlsperger sich ein Coming-out in ihrer aktiven Zeit zugetraut haben.

In den letzten Jahren haben Vertreter gewisser Medien immer wieder gelauert und gebohrt, sie haben Verantwortliche bedrängt und ihnen konspirative Listen mit Spielernamen überreicht, von denen sie gehört hätten, dass sie ganz bestimmt schwul seien. Wie gerne hätten sie Sätze wie jene gehabt, die Thomas Hitzlsperger nun im Interview mit der Zeit in Ruhe ausformulieren durfte: Das Bewusstsein, homosexuell zu sein, sei "ein langwieriger und schwieriger Prozess" gewesen, sagte er zum Beispiel. "Erst in den letzten Jahren dämmerte mir, dass ich lieber mit einem Mann zusammenleben möchte."

Es ist keine originelle Erkenntnis, dass es sich bei der Unterhaltungs- und Wirtschaftssparte Profifußball um eine Macho-Gesellschaft handelt, aber sie stimmt immer noch. Hitzlsperger hat auch die Widersprüche dieser Gesellschaft im Interview angeprangert: Profifußball sei bekanntlich harter Leistungssport, sagt er, Kampf, Leidenschaft und Siegeswille seien "untrennbar miteinander verknüpft", und das passe offenbar nicht zu dem Klischee, das sich viele von einem Homosexuellen machten, nämlich: "Schwule sind Weicheier."

Solche Sätze waren die Hintergrund-Musik, mit der zuletzt so manche Debatte unterlegt war, und das ist es auch, was Hitzlspergers Interview so bemerkenswert macht. Sein Coming-out platzt mutig in eine Zeit, in der sich zwei rivalisierende Fußballfraktionen gegenüberstehen, es lenkt den Blick auf jenen Kulturkampf, mit dem der deutsche Fußball seit geraumer Zeit beschäftigt ist.

Selten war dieser clash of cultures so anschaulich zu besichtigen wie bei der WM 2010, als die Weltöffentlichkeit über eine junge deutsche Mannschaft staunte, die keinen Panzerknackerfußball mehr spielte, sondern stilvollen, modernen Sport zeigte - ohne den verletzten Kapitän Michael Ballack, der für viele noch jenes urdeutsche Führungsspieler-System verkörperte, in dem junge Profis gefälligst die Wasserkisten zu schleppen und ansonsten die älteren Spieler zu bewundern haben.

Die WM in Südafrika wurde allgemein als Befreiung von den alten Dämonen überhöht, was den Kulturkampf nur verschärfte: Hier eine neue Generation von Verantwortlichen und Profis, die Macho-Spieler wie Ballack noch radikaler ablehnte; auf der anderen Seite eine Retro-Fraktion aus Bundesligatrainern, Managern und Spielerberatern, die allem, was sie als neu empfanden, das Etikett "schwul" aufklebten.

Am Ende dieser WM erschien im Spiegel ein Essay, in dem der damals nur hinter vorgehaltener Hand geflüsterte Begriff von der "Schwulen-Combo" plötzlich schwarz auf weiß gedruckt stand - ein Spottname, den ein Spielerberater für die Nationalelf erfunden und genüsslich in die Branche gestreut hatte. Hitzlsperger war bei dieser WM übrigens schon kein Nationalspieler mehr.

Gewiss hat auch dieses aufgeheizte Klima dazu beigetragen, dass kein homosexueller Profi bisher öffentlich ein Bekenntnis gewagt hat - zumal die Debatte damals auch von höchster Stelle ungelenk moderiert wurde.

Nach dem Freitod des Nationaltorhüters Robert Enke im November 2009 schien zwar vorübergehend ein Bewusstsein für die sogenannten Tabuthemen des Sports vorhanden zu sein, gerne begleitet vom damaligen Verbandspräsidenten Theo Zwanziger, der zunächst ein paar beachtliche Worte fand und unter anderem homosexuelle Profis zum Coming-out aufforderte.

Als das Thema "Männerfreundschaft im Sport" aber kurz darauf in der Affäre der ehemaligen Schiedsrichter Michael Kempter und Manfred Amerell erstmals konkret wurde, schaffte es Zwanziger auf fast groteske Art, das Thema hinter einem ebenso unübersichtlichen wie unappetitlichen politischen Gerangel verschwinden zu lassen.

Homosexualität werde im Fußball weiterhin "schlicht ignoriert", sagt Hitzlsperger im Zeit-Interview. Damit sich das ändert, hat er nun sein Pilotprojekt gestartet.

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Quelle:
SZ vom 09.01.2014
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