Hillsborough-Aufklärer Jones:Befreier von Liverpool

Er findet Unterstützung für homosexuelle Partnerschaften in der Bibel und gilt auch sonst als undogmatischer Bischof. Als Leiter der Kommission, die sich mit der Stadiontragödie von Hillsborough beschäftigte, sprach James Jones die Fans von einer Schuld frei. Das bringt ihm viel Lob - und erneut Aussichten auf einen Karrieresprung.

Christian Zaschke, London

James Jones ist ein Mann, der nicht zu fassen ist. Der Bischof von Liverpool gibt Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche immer wieder Rätsel auf. Das liegt daran, dass er sich weder dem konservativen noch dem liberalen Lager der Kirche von England zuordnen lässt. Und wenn es so scheint, als habe er nun doch eine klare Position bezogen, dann kann es sein, dass er diese nach einigem Nachdenken wieder ändert.

Hillsborough Independent Panel chairman, the Bishop of Liverpool James Jones, attends a news conference to discuss the panel's report, in Liverpool's Anglican Cathedral, in Liverpool

Bischof Jones: Nicht zu fassen

(Foto: REUTERS)

So geschehen im Jahr 2008, als Jones in einem Essay argumentierte, in der Bibel könne sich Unterstützung für homosexuelle Partnerschaften finden lassen - ein Standpunkt, den er unter anderem mit Verweis auf die enge Beziehung zwischen Jesus und dem Apostel Johannes einnahm.

Konservative Kirchenkreise waren entsetzt, zumal Jones sich noch 2003 entschieden gegen die Ernennung des schwulen Klerikers Jeffrey John zum Bischof von Reading eingesetzt hatte. Damals gehörte er zu einer Gruppe von neun Bischöfen, die sich gegen John wandte. Die Gruppe erhielt den Spitznamen "die Nazgûl", benannt nach Geistern aus dem Roman "Der Herr der Ringe", die allein durch ihr Auftreten lähmenden Schrecken verbreiten. Jones entschuldigte sich später dafür, dass er Johns Ernennung verhindern wollte.

Jones gilt den meisten Beobachtern dennoch nicht als wankelmütig, sondern als undogmatisch, als Mann, der in der Lage ist, seine Standpunkte zu überdenken. Als es im Frühjahr 2011 darum ging, einen Vorsitzenden für die unabhängige Kommission zu finden, die sich mit der Aufarbeitung der Stadionkatastrophe von Hillsborough beschäftigen sollte, fiel die Wahl auf Jones, weil er von seiner Gemeinde und von der Politik gleichermaßen respektiert wird.

Im Hillsborough-Stadion zu Sheffield waren 1989 bei einem Fußballspiel 96 Fans des FC Liverpool erdrückt worden, weil die Polizei viel zu viele Menschen auf eine bereits überfüllte Tribüne lotste. In der Folge versuchte die Polizei, den Liverpooler Fans die Schuld an dem Desaster zuzuschieben. Die von Bischof Jones geleitete Kommission sichtete 400.000 Seiten Material und stellte am Mittwoch ihren Bericht vor.

Demnach trifft die Fans des FC Liverpool keine Schuld, wohingegen die Polizei aktiv versuchte, ihre Verantwortung für die Katastrophe zu vertuschen. Premierminister David Cameron hat sich im Namen des Landes entschuldigt, und die Menschen in Liverpool sind ihrem Bischof unendlich dankbar: Er hat sie von einem Stigma befreit - von dem Vorwurf, dass die Verstorbenen selbst schuld seien an ihrem Tod.

Bereits 2003 galt der heute 64 Jahre alte Jones als Kandidat für den Posten des Erzbischofs von Canterbury, der das geistliche Oberhaupt der Kirche von England ist. Wenn Ende dieses Monats der Nachfolger von Rowan Williams bekanntgegeben wird, gilt der dreifache Vater Jones erneut als ein möglicher Kandidat. Sein Einsatz für die Opfer von Hillsborough und deren Angehörige dürfte seine Chancen auf das höchste Kirchenamt im Land nicht geschmälert haben.

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