Hertha BSC in der Bundesliga:Wat'n ditte?

Hertha BSC - Borussia Mönchengladbach

Halt, hiergeblieben! Ondrej Duda versucht, seinen Berliner Teamkollegen Vedad Ibisevic nach dessen 1:1-Ausgleichstreffer zu stoppen.

(Foto: Sören Stache / dpa)
  • Hertha BSC glänzt überraschend in der Bundesliga - die Mannschaft steht auf Tabellenplatz zwei, am Freitag kommt der FC Bayern zum Spitzenspiel.
  • Berlin überzeugt sogar mit gutem Offensivspiel.
  • Hier geht es zur Tabelle der Fußball-Bundesliga.

Von Javier Cáceres, Berlin

Die Spieler von Borussia Mönchengladbach kamen am Samstagabend direkt vom Spielfeld, ohne den Umweg über Kabine und Dusche zu nehmen. Unparfümiert und unfrisiert, wenn man so will. Und dennoch kristallisierte sich bei ihrer Nachbetrachtung der Partie bei Hertha BSC ein Konsens heraus, der von solch frappierender Einmütigkeit war, dass man leicht hätte vermuten können, sie hätten eine Sprachregelung vereinbart, ehe sie den Journalisten in den Katakomben des Olympiastadions gegenübertraten.

"Wir haben die Tore zu einfach bekommen", sagte Nationalspieler Matthias Ginter. "Wir haben das der Hertha zu einfach hingelegt", sagte Torwart Yann Sommer. Und auch Kapitän Thorgan Hazard, der nach knapp einer halben Stunde per Foulelfmeter die völlig überraschende Führung für die Gäste aus Mönchengladbach erzielt hatte, war sich bei der Exegese des Spiels sicher: "Es war zu einfach für die Spieler von Hertha heute."

Die "kleine, fleißige Mannschaft" hat sich weiterentwickelt

Mit 4:2 hatte die Hertha die Partie gewonnen, und es gab noch einen Punkt, in dem sich alle Beteiligten, hier nun die Berliner eingeschlossen, einig waren: Der Sieg, der den Berlinern zum besten Saisonstart ihrer Bundesligageschichte verhalf, war vollauf verdient. Die Hertha turnt jetzt in der Spitzengruppe der Liga herum; für ein paar Stunden, bis zum Spiel des FC Bayern am Samstagabend (2:0 auf Schalke), führten sie sogar die Tabelle an. "Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey! Hey!", sangen die Fans in der Ostkurve und hüpften auf und ab.

"Die Fans dürfen solche Sachen gerne raushauen. Wir müssen aber auf dem Boden bleiben", sagte Kapitän Vedad Ibisevic. Der Chor hatte allerdings einen gesunden, selbstironischen und auch ungläubigen Unterton, der am Sonntag auch im örtlichen Tagesspiegel Eingang fand, der sich verwundert die Augen rieb: "Die Partie gegen die Gladbacher hatte einen fast schon beängstigend hohen Unterhaltungswert."

Dass es so weit kommen konnte, hatte auch mit einem formidablen Missverständnis zu tun, dem Gladbachs Trainer Dieter Hecking erlegen war. Bei ihrem Saisonstart hatte die Hertha zumeist weniger Ballbesitz als der Gegner; daraus leitete Hecking ab, dass man der Hertha am ehesten schadet, wenn man ihr den Ball aufdrängt. In den vergangenen Jahren war es tatsächlich oft so gewesen, dass die Hertha sich in der Rolle des ekligen Gegners gefiel, ihr Spiel gegen den Ball perfektionierte und die Kreativität vernachlässigte. Die "kleine, fleißige Mannschaft", von der Trainer Pal Dardai immer wieder gerne sprach, hat aber eine Metamorphose durchlaufen.

Im Mittelfeld agieren mit Arne Maier, 19, Ondrej Duda, 23, und Marco Grujic, 22, drei junge Spieler, die mit dem Ball umzugehen wissen und mitunter die große, die herausforderndste Kunst vorführen: die schwierigen Dinge einfach zu machen.

Und hinter eingebungsreichen Flügelstürmern wie dem blendenden Javairo Dilrosun, 20, oder dem alternden, aber immer noch zum Hüftwackler fähigen Solomon Kalou, 33, agieren zwei Außenverteidiger, die sich berufen fühlen, das Angriffsspiel über die Flanken so zu bereichern wie die Außenverteidiger brasilianischer Teams: Marvin Plattenhardt (links) und Valentino Lazaro (rechts). "Der Gegner konnte draußen immer zwei gegen eins spielen", erklärte Gladbachs Torwart Sommer, trotz der Gegentreffer bester Akteur seines Teams.

Stark über Außen

Sommers Frust konnte man nur nachvollziehen. Sämtliche Tore der Berliner fielen nach Hereingaben von außen: die Tore von Vedad Ibisevic zum 1:1 und 3:1 (30./63.), das 2:1 von Lazaro (34.) und auch das 4:2 durch Spielmacher Ondrej Duda (73.), der sein viertes Saisontor schoss. Der Slowake hat nun mehr Treffer auf dem Konto als Stürmer wie Robert Lewandowski (FC Bayern), Sebastien Haller (Eintracht Frankfurt) oder eben Ibisevic, sie alle haben bislang nur drei Mal Tor gebrüllt.

Dass Gladbachs Millioneneinkauf Alassane Plea zwischenzeitlich verkürzte (67.), war am Ende irrelevant. Denn Hertha verströmte den Eindruck, auf alles eine Antwort zu haben - auch noch, als Gladbachs indisponierter Rechtsverteidiger Nicolas Elvedi längst ausgewechselt war.

"Am Ende des Spiels habe ich zum Manager (Michael Preetz) gesagt: Das war heute Spaß", feixte Hertha-Coach Dardai, der seinen Spielern mit auf den Weg gegeben hatte, "kein Kampfspiel" sehen zu wollen, sondern spielerische Lösungen. Es funktionierte: "So ein gutes, offensives Spiel und so eine gute Stimmung habe ich länger nicht mehr gesehen", freute sich Dardai. Getrübt wurde diese allenfalls durch eine Verletzung, die sich Liverpool-Leihspieler Grujic nach einer rotwürdigen Attacke von Gladbachs Patrick Hermann zuzog. Grujic fällt nun wegen einem Bänder- und Kapselriss am Sprunggelenk wochenlang aus. Für Dardai, selbst einst Mittelfeldspieler, ist das ein schwerer Schlag: "Seit ich bei Hertha bin, ist er der erste Ausnahmespieler im Mittelfeld. Er drückt unserem Spiel den Stempel auf", sagte er am Sonntag.

Das ist insofern irreführend, als er mit dem bezaubernden Maier einen Sechser gefunden hat, der für sein Alter eine unglaubliche Umsicht und Nüchternheit an den Tag legt. Dass Bundestrainer Joachim Löw ihn am Samstag im Olympiastadion beobachtete, lässt ahnen, dass er ihn eher früher als später für seine A-Elf berücksichtigen dürfte. Und, pssst: Hertha hat für Grujic Alternativen.

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