Süddeutsche Zeitung

Herthas 0:5:Ode an das Nichts

  • Hertha BSC verliert daheim gegen den 1. FC Köln mit 0:5. Schon zur Pause ist das Spiel entschieden.
  • Nach dem Sieg gegen Paderborn ist die Niederlage ein großer Dämpfer für den neuen Trainer Alexander Nouri.
  • Die Kölner Fans feiern dagegen Karneval in der Hauptstadt und grüßen Jürgen Klinsmann.

Von Javier Cáceres, Berlin

Die 63. Minute war gerade angebrochen, da dichteten die voll und landestypisch auf Karneval gepolten Fans des 1. FC Köln den älteren Partyhit einer Berliner Hiphop-Schlagerband namens "Die Atzen" um. "Hey, was geht ab? Wir schießen die Hertha ab!", sangen die Kölner, die in der Westkurve des Berliner Olympiastadions standen, mit einem Unterton freudiger Verblüffung. Mit 4:0 lag da die ihre Mannschaft gegen den "Big City Club" in spe vorne, am Ende konnte Hertha von Glück reden, dass es bei einem gleichwohl demütigenden 0:5 blieb, die Pleite nicht noch schlimmer ausfiel.

Welch Dimension die Kölner Karnevals-Klatsche für die Berliner hatte, zeigt ein Blick in die Geschichtsbücher. Es war die höchste Heimniederlage seit einem 0:5 gegen die TSG 1899 Hoffenheim aus dem Jahr 2014. Nur zwei Mal musste Hertha eine noch deftigere Pleite hinnehmen, 1980 reisten der Hamburger SV, 2012 der FC Bayern jeweils mit einem 6:0-Sieg aus Berlin ab.

Aus Berliner Sicht bot sich gerade in der ersten Halbzeit ein nachgerade unerklärliches Schauspiel. Dass das "spannendste Fußballprojekt Europas", wie es der unlängst nach USA zurückgekehrte Ex-Trainer Jürgen Klinsmann genannt hatte, in einem Bundesligaspiel ohne eigene Torchance bliebt, hatte man schon mal in dieser Saison gesehen. Zumeist waren dann dennoch Spurenelemente anderer Elemente zu sehen, die gemeinhin Fußballspiele ausmachen. Diesmal aber war Hertha eine Ode an das Nichts. "Ich weiß nicht, was Hertha heute im Tee hatte", wunderte sich der frühere DFB-Verteidiger Marco Rehmer zur Halbzeit bei Sky.

Schon in der 39. Minute ist das Schicksal der Berliner besiegelt

Und Herthas Trainer Alexander Nouri, der bekanntlich eine allein im Winter für knapp 80 Millionen Euro verstärkte Mannschaft kommandiert, pflichtete ihm gewissermaßen bei. Auch er wirkte ratlos. "Wir hatten eine sehr gute Trainingswoche und wir haben heute alle Tugenden vermissen lassen, die wir letzte Woche (beim 2:1-Sieg gegen Paderborn, Anm.) auf den Platz gebracht haben. Laufbereitschaft, Umschaltverhalten: all die elementaren Dinge." Und: "Wir müssen uns bei den Zuschauern entschuldigen." Jedenfalls bei denen, die noch bis zum Ende dageblieben waren. Denn die ersten Fans stürzten schon zur Halbzeit Richtung S-Bahnhof Olympiastadion.

Was nachvollziehbar war. Denn: Wie absurdes Theater wirkte die Vorstellung auch deshalb, weil Köln von der ersten Minute an exakt so spielte, wie Nouri es angeblich erwartet hatte. Der Effzeh war zuvorderst darauf bedacht, Hertha durch Konter zu übertölpeln, und das funktionierte so fantastisch, dass gleich vier von fünf Toren dem sogenannten "Umschaltspiel" der Rheinländer entsprangen.

Die Besonderheit der Lage ließ sich auch dadurch dokumentieren, dass der überragende kolumbianische Stürmer Jhon Córdoba durch einen allerdings abgefälschten Schuss sein erstes Auswärtstor für die Kölner überhaupt erzielte (4. Minute), und dann in der 22. Minute gleich ein zweites nachlegte, diesmal per Kopf. In der 39. Minute war das Schicksal der Hertha dann im Grunde besiegelt: Córdoba tanzte Herthas Torwart Rune Jarstein im Berliner Strafraum aus; der Norweger schaffte es noch zurück auf die Linie, doch sein Rettungsversuch geriet zur Komödie. Jarstein erwischte zwar den Schuss des von Córdoba bedienten Florian Kainz, schaffte es aber nur, ihn zum Pfosten zu lenken, und von dort prallte er zurück ans eigene Bein und von dort ins Tor.

Derart selbstsicher verdauten die Kölner einen veritablen Schock. Bei einem Zusammenprall mit Marco Grujic verletzte sich Verteidiger Rafael Czichos so schwer, dass er auf dem Platz minutenlang behandelt werden musste. Czichos hatte sich nach dem Ball gebeugt, Grujic ging mit vollem Körpereinsatz, aber nicht unfair vor. So oder so: Die Kollision war derart heftig, dass die Zuschauer mit Aufmerksamkeit und Erleichterung vernahmen, dass Czichos die Extremitäten bewegen konnte, als er auf einer Trage zu einem Krankenwagen getragen und mit Blaulicht abtransportiert wurde. Laut erster Diagnose erlitt er eine Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule, wie der Klub am Samstagabend mitteilte. Czichos sollte über Nacht im Krankenhaus bleiben.

Diese Verletzung, sagte Kainz, verbitte es den Kölnern, von einem perfekten Tag zu sprechen - aber es war allein diese Verletzung. Denn Florian Kainz ließ Tor Nummer vier (62.), Mark Uth Nummer fünf folgen (66.) - das letzte per außergewöhnlich schön verwandeltem Freistoß, der im Winkel einschlug. Was blieb, war Spott über die offensiv harmlosen Berliner, die nur einen einzigen Schuss aufs Tor zuwege brachten. "Jürgen Klinsmann!", skandierten die Kölner Fans.

Wobei man Verständnis haben muss für die ausgezeichnete Laune der Kölner, sie warteten seit einem 2:1-Sieg gegen den FC Bayern aus 2009 auf einen Sieg an einem Karnevalssamstag. "Es war ein Sieg für die ganze Stadt", sagte daher auch Uth. Er zählt zu den Spielern, die sich am Montag auf dem Festzug feiern lassen werden - und grundsätzlich ohne Handbremse den Jecken geben dürfen, wie Trainer Markus Gisdol sagte. "Wer das in Köln mitbekommt, weiß, dass in der Stadt einiges in Bewegung ist, was den Karneval angeht. Ich habe der Mannschaft zwar einige taktische Dinge mit auf den Weg gegeben, aber auch versucht, dass wir für unsere Bürger, unsere Fans spielen".

Gisdol sprach daher auch von einem mannschaftlich tollen Signal, das seine Mannschaft ausgesandt habe - es zog auch noch an den punktgleichen Berlinern vorbei. Die Hertha wiederum kann sich recht glücklich schätzen, dass sie nach 23 Spieltagen schon 26 Punkte haben. Denn damit liegen sie neun Punkte vor dem Abstiegsplatz 17 der Tabelle.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4812068
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.02.2020/schm
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.