Jürgen Klinsmann und Berlin:Big-City-Chaos

Jürgen Klinsmann (Trainer Hertha BSC), betritt den Innenraum des Stadions Hertha BSC Berlin - 1.FSV Mainz 05 1. Bundesl; Klinsmann

Nicht mehr Trainer, aber noch Aufsichtsrat: Jürgen Klinsmann bei Hertha BSC.

(Foto: imago images/Bernd König)
  • Nach nur zehn Wochen wirft Jürgen Klinsmann als Trainer von Hertha BSC hin. Der Klub wird von diesem Schritt überrascht.
  • Klinsmann beklagt mangelndes Vertrauen der Verantwortlichen, will aber im Aufsichtsrat bleiben.
  • In der Winterpause hat der Klub 80 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Geschäftsführer Preetz sagt, dies sei in Abstimmung mit Klinsmann geschehen.

Von Javier Cáceres und Uwe Ritzer, Berlin

Im Fanshop, den Hertha BSC auf seinem Vereinsgelände im Berliner Westend betreibt, steht eine Art Skulptur aus Plastik, die man gut zum Denkmal an Jürgen Klinsmann umfunktionieren könnte. Weiß auf Blau steht dort zu lesen, dass Hertha anno 2028 erstmals wieder seit 1931 deutscher Fußballmeister sein wird, 2040 die Champions League gewinnt, 2044 die Klub-WM, 2083 den imaginären Mondcup und später, in den Jahren 2132 sowie 2175, eine ebenfalls fiktive Königsklasse.

Nun, nicht jede Berliner Hybris ist Jürgen Klinsmann anzulasten - die ganzen irrealen Ziele auf diesem Hertha-Mahnmal gehen auf das Konto einer Werbeagentur. Aber sie passen gut zu Klinsmanns Diskurs, der so sehr von Megalomanie getragen war, dass sich der frühere Profi Arne Friedrich, von Klinsmann zum "Performance Manager" erkoren, dazu bekannte, "größenwahnsinnige Ziele" zu verfolgen.

Doch egal, welche realistischen oder hochtrabenden Ziele die in der Gegenwart abstiegsbedrohte Hertha anstrebt - seit Dienstag steht fest: Man muss sie ohne Jürgen Klinsmann erreichen. "Ich bin nach langer Überlegung zum Schluss gekommen, mein Amt als Cheftrainer zur Verfügung zu stellen und mich wieder auf meine ursprüngliche, langfristig angelegte Aufgabe als Aufsichtsratsmitglied zurückzuziehen", teilte Klinsmann mit. Er überrumpelte damit Mitarbeiter, Spieler und nicht zuletzt die Gremien des Klubs.

"Viele waren geschockt", sagt Mittelfeldspieler Skjelbred

Noch am späten Montagnachmittag hatte sich Klinsmann in seinem Hotelzimmer vor eine Kamera gesetzt, um online mit Fans zu chatten; am Abend repräsentierte er die Hertha bei einer Tagung von Chefredakteuren deutscher Medien. Auf einem Podium bot er diverse Einschätzungen zur Lage des Vereins, sie gipfelten in der Prognose, Hertha werde die Saison mindestens als Tabellen-15. abschließen, also nicht absteigen. Indizien dafür, dass Klinsmann am nächsten Morgen hinwerfen würde, gab es dem Vernehmen nach nicht mal ansatzweise.

Bei Hertha BSC waren sie jedenfalls auf allen Ebenen baff. "Wir sind von dieser Entwicklung am Morgen überrascht worden", erklärte Hertha-Manager Michael Preetz, "insbesondere nach der vertrauensvollen Zusammenarbeit hinsichtlich der Personalentscheidungen in der für Hertha BSC intensiven Wintertransferperiode gab es dafür keinerlei Anzeichen." Die Mannschaft erfuhr die Nachricht im Medienraum. Dort stand ursprünglich die Videoanalyse der schlimmen 1:3-Niederlage vom Samstag gegen Mainz auf dem Programm. In einer knapp zehnminütigen Ansprache teilte Klinsmann jedoch mit, die Kommandobrücke der nach einem Ausflugsdampfer benannten Hertha wieder verlassen zu wollen.

"Viele waren geschockt", sagte Mittelfeldspieler Per Skjelbred nach dem Vormittagstraining, das Klinsmanns bisheriger Assistent Alexander Nouri leitete. Die Spieler machten heitere Mienen - wohl weil die Gesamtsituation so beispiellos absurd anmutete. "Wir sind alle durcheinander", gestand Hertha-Profi Marko Grujic.

Klinsmann war erst vor zehn Wochen als Trainer angetreten, 20 Tage zuvor hatte ihn Herthas neuer Großinvestor Lars Windhorst zum Aufsichtsrat des Bundesligisten bestellt. Windhorst hat über seine Investmentgruppe Tennor für 224 Millionen Euro knapp die Hälfte der Anteile an Herthas Profiabteilung gekauft, war quasi über Nacht zu einem bestimmenden Faktor im Klub geworden. Hertha könne ein "Big-City-Klub" werden, hatte er vollmundig angekündigt.

Klinsmann beklagt mangelndes Vertrauen

Am Dienstag hielt sich Windhorst mit öffentlichen Äußerungen zurück, der SZ ließ er ausrichten, dass er Klinsmanns Entscheidung bedauere - und von dieser auch erst am Vormittag erfahren hatte. Diese Präzisierung ist nicht unerheblich: Zuvor hatte ihn die Bild mit den Worten zitiert, schon am Montagabend unterrichtet worden zu sein - also weit vor allen handelnden Personen bei der Hertha.

Denen hielt Klinsmann in seiner Mitteilung, die lange vor dem Gespräch mit Preetz verfasst worden sein muss, nun vor, ihm nicht genug Vertrauen und Zusammenhaltsgefühl gegeben und Konzentration auf das Wesentliche ermöglicht zu haben. Daher "kann ich mein Potenzial als Trainer nicht ausschöpfen und kann meiner Verantwortung somit auch nicht gerecht werden", hieß es im Wortlaut.

Erstmal übernimmt Alexander Nouri - und dann?

Was das konkret heißen soll, blieb zunächst offen. Anders als beim zweiten großen Berliner Rücktritt der Woche, der Demission an der CDU-Spitze, stand die Hauptperson, Klinsmann, nicht für eine Pressekonferenz zur Verfügung. Er schlich sich davon - und meldete sich dann ausgerechnet via Bild, der Zeitung, die ihn einst diffamiert hatte und in Berlin zu seinem großen Alliierten wurde. In dem Interview behauptete Klinsmann allen Ernstes, "ein Himmelfahrtskommando" übernommen zu haben - und bestätigte, was zuvor aus verlässlichen Quellen gesprudelt war: dass es unter anderem Diskrepanzen im Hinblick auf die Dauer und Ausgestaltung der Tätigkeit Klinsmanns gab. "Nach meinem Verständnis sollte ein Trainer - nach dem englischen Modell - die gesamte sportliche Verantwortung tragen. Also auch über Transfers. Das gibt der Position wesentlich mehr Power", sagte Klinsmann.

Dazu kamen nach SZ-Informationen weitere Faktoren. Schon bei der tagelangen Posse im Januar um Klinsmanns zunächst ungültige Trainerlizenz, aber auch im Lichte der immer heftigeren Kritik an den Leistungen des Teams, soll er mehr Unterstützung durch Hertha-Bosse erwartet haben. Ähnliches galt wohl bei heiklen Personaldebatten: Beliebte Profis wie Niklas Stark, Salomon Kalou oder Arne Maier klagten öffentlich über ihre Lage, am Dienstag spitzte die Bild das von Klinsmann selbst heraufbeschworene Torwart(trainer)-Problem zu.

Niko Kovac steht nicht zur Verfügung

Bei der Installierung seines Helferstabs hatte er den Torwarttrainer Zsolt Petry durch Andreas Köpke ersetzt, einen seiner langjährigen Vertrauten. Das roch nach Nepotismus: weil Petry zuvor den Sohn des neuen Chefcoachs, den jungen Keeper Jonathan Klinsmann (inzwischen St. Gallen), öffentlich kritisiert hatte, als der noch bei Hertha unter Vertrag stand; und weil Andreas Köpkes Sohn Pascal dann unter Klinsmann erstmals in die Startelf rutschte. Stammtorwart Rune Jarstein soll zunehmend verunsichert sein: Er übt mittlerweile mit dem vierten Torwarttrainer der Saison. Ob Jarstein nun auch einen vierten Cheftrainer bekommt? Klinsmann hatte im November Ante Covic abgelöst; sein Nachfolger ist der bisherige Assistent Nouri, der mal Chefcoach bei Werder Bremen war. Der Wunschtrainer der Fans, Niko Kovac, steht weiter nicht zur Verfügung.

Nouri, hieß es, soll "vorerst" bleiben, am Samstag in Paderborn auf der Bank sitzen und die Qualität betreuen, für die Klinsmann und die Windhorst-Millionen sorgten: Hertha kaufte im Winter Santiago Ascacíbar (Stuttgart/zehn Millionen), Krzysztof Piatek (AC Milan/27 Millionen) und Cunha (Leipzig/18 Millionen), dazu den vorerst verliehenen Lucas Tousart (Lyon/25 Millionen). Die nach oben strebende Hertha ist damit unter den Top Ten Europas, in Sachen Transferdefizit. Im Hier und Jetzt der laufenden Saison, und nicht in fernen Sphären.

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