Hertha BSC in Abstiegsnöten:Gruß aus der Küche

Hertha BSC in Abstiegsnöten: Geh weg! Herthas Trainer Pal Dardai schließt Ivan Sunjic vom Training aus.

Geh weg! Herthas Trainer Pal Dardai schließt Ivan Sunjic vom Training aus.

(Foto: Sebastian Räppold/Matthias Koch/Imago)

"Was denkst du dir? Geh weg! Tschüss!! Verpiss dich!!!" Nach dem 2:4 gegen Werder Bremen fordert Hertha-Trainer Pal Dardai ein Umdenken - und statuiert mit drastischen Worten ein Exempel an Mittelfeldspieler Ivan Sunjic.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Sonntagvormittag war die Reality Soap namens "Hertha BSC" um ein Kapitel reicher, direkt nach dem Beginn des Trainings. Cheftrainer Pal Dardai, 46, hatte gerade in einer knapp 20-minütigen Medienrunde die 2:4-Niederlage gegen Werder Bremen vom Vortag Revue passieren lassen und dabei Klartext geredet. Dann stand er mit den gerade angewärmten Spielern in einem Gesprächskreis - und zeigte exemplarisch, was er gemeint hatte, als er davon sprach, dass es Konsequenzen geben werde, wenn einer nicht mitziehe. Pal Dardai explodierte: Boom!

Recht unvermittelt flogen knappe, aber laute und knallende Sätze über den Schenkendorffplatz, wie das Exerzierfeld der Hertha mit vollem Namen heißt: "Was denkst Du Dir? Geh weg! Tschüss!! Verpisss Dich!!!", rief Dardai dem kroatischen Mittelfeldspieler Ivan Sunjic zu - und deutete mit dem Zeigefinger gen Umkleidetrakt. Sunjic, Leihspieler von Birmingham City und zuletzt nicht einmal im Kader gewesen, zog von dannen und schaute dabei drein wie Josef K. aus Kafkas "Prozess", der sich bekanntermaßen verleumdet gefühlt hatte. Und der Rest der Hertha-Belegschaft lernte: Hier werden jetzt doch tatsächlich andere Saiten aufgezogen.

"Wenn die Suppe kalt ist oder nicht schmeckt, musst du das sagen! Sonst isst du dein ganzes Leben schlechte Suppe", weiß Dardai

Seit vergangenen Montag ist der Ungar Dardai wieder Trainer der Hertha, zum dritten Mal schon, aber seine neue Mannschaft rundete sein Comeback nicht durch einen Sieg gegen Werder ab, sondern sie erlitt am 29. Spieltag die 17. Niederlage - und blieb Tabellenletzter. Zeitweise lieferte die Hertha dabei eine Leistung ab, die dazu führte, dass Dardai nicht mehr um den heißen Brei herum, sondern über Lehren aus der heimischen Küche reden wollte. "In einem Team muss man ehrlich zueinander sein", sagte der reaktivierte Coach, er meinte: ehrlich wie in einer Familie. "Wenn die Suppe kalt ist oder nicht schmeckt, musst du das sagen! Sonst isst du dein ganzes Leben schlechte Suppe", dozierte Dardai.

Das war übrigens, nur am Rande bemerkt, nicht das einzige kulinarische Thema des Hertha-Wochenendes: In der Ostkurve kursiert die Sorge, dass die traditionelle Gratis-Verköstigung bei der nächsten Mitgliederversammlung dem Rotstift zum Opfer fällt. Hertha ist gerade so klamm, dass die Deutsche Fußball-Liga (DFL) die Lizenz für die neue Saison nur unter Bedingungen und bei Erfüllung von Auflagen erteilen will. "Gehälter kürzen für Topverdiener / dann reicht es auch für Kuchen & Wiener", dichteten die Fans. Andererseits: Der eine oder andere von ihnen hat offenbar noch genug Geld, um die teuren Plastikpfandbecher im Stadion nach den Spielern zu werfen - nach dem 2:4 flogen derer einige mit Restbier. Auch Verwünschungen waren zu hören, in mutmaßlich dardaistisch-derber Diktion.

Und das waren auch nur die Fans, die dageblieben waren, unter dem Motto eines Plakats, auf dem zu lesen war: "Welt gesehen, trotzdem Hertha geliebt." Augenzeugenberichten zufolge war die S-Bahn bereits gut gefüllt, als sich die Bremer durch einen Dreierpack des überragenden Stürmers Marvin Ducksch und durch Mitchell Weiser uneinholbar mit 4:0 in Front geschossen hatten. Das war bereits nach gut einer Stunde Spielzeit. "Sonnenschein, die Gartensaison ist eröffnet. Da kann ich mir schon vorstellen, dass einige sagen: 'Das war's, ich geh jetzt lieber nach Hause'", lautete Dardais lakonischer Kommentar dazu. Die Flüchtenden verpassten Herthas Anschlusstore von Jessic Ngankam (68.) und Dodi Lukébakio (79.). Doch die waren nicht mehr als blasse Rouge-Tupfer auf den leichenblassen Wangen der Alten Dame.

"Die Jungs haben gearbeitet, sie sind gelaufen, sie wollten", sagte Dardai einerseits. Andererseits könne man "nicht alles unter den Teppich schieben", oder "labern und erzählen, wie toll und schön alles ist" und was für gute Fußballer doch alle seien: "Ich kann das nicht mehr hören. Hier sind andere Dinge gefragt", sagte der neue alte Trainer. Klartext also.

Und davon gab es dann genug zu hören. Das Abwehrverhalten bei den Gegentoren sei "ein bisschen Kindergarten" gewesen, "das muss man deutlich sagen", zürnte Dardai unter anderem. Und so gut sich die Spieler untereinander verstünden - "Teamgeist ist auf dem Platz nicht zu sehen", findet er, und dort sei es entscheidend. Auch die taktische Disziplin müsse man "tierisch verbessern", insbesondere bei den Standards, wo den Aufträgen des Trainerteams keine Folge geleistet werde. Und überhaupt: "Da sind falsche Automatismen ohne Ende drin!"

Auch mit Stürmer Kanga ist Dardai unzufrieden

Und dennoch: "Die Klatsche ist erst einmal gut", sagte Dardai. Denn: Hertha habe nun nichts mehr zu verlieren, werde von allen schon abgeschrieben. Womöglich löse sich dadurch die "Blockade", die Dardai am Samstag diagnostizierte, als er "mehr mentale Probleme als gedacht" erkannte. "Der Mentalcoach und Psychologe waren schon bei der Mannschaft" und hätten keine Abhilfe geschaffen, so Dardai, nun wolle er der Mannschaft "Dardai-Hartnäckigkeit" einimpfen.

Er selbst sei früher, als man ihm vermeintlich bessere Spieler wie Sebastian Deisler oder Stefan Beinlich vorsetzte, "dem Trainer so lange auf den Sack gegangen, mit Disziplin, Ordnung und Wille", bis er am Ende gespielt habe, erzählte Dardai. Er habe also jene viel zitierten "Basics" gezeigt, die er von seinem Team jetzt fordere. Und wenn einer nicht mitziehe, "muss ich leider andere Entscheidungen treffen", sagte Dardai.

Das traf am Wochenende nicht nur Sunjic, sondern auch den Stürmer Wilfried Kanga, 25. Wie der Kroate stand auch der Ivorer gegen Werder nicht im Kader. "Seine Körpersprache war die gesamte Trainingswoche nicht gut. Es geht nicht, dass jemand sich wohlfühlt, aber pro Saison zwei Zweikämpfe gewinnt. Es braucht Einsatz!", betonte Dardai und meinte damit: mehr oder weniger unverzüglich.

Seine Handschrift will er vor allem bei den nächsten Heimspielen gegen die Abstiegsrivalen VfB Stuttgart (6. Mai) und VfL Bochum (20. Mai) sehen: "Es geht nicht um irgendwas. Es geht ums Überleben", erklärte der Coach. Auch sein Herz scheint nicht immun zu sein gegen die Düsternis. "Wir sind nicht da, wo wir über Hoffnung reden können", sagte er. Aber wenn sich die Fokussierung und die Mentalität der Mannschaft bessere, könne und werde sich das ändern, und die anderen Kellerkinder der Liga patzen ja auch. Dardai mag diese Aufgabe: "Umso schwerer, umso mehr Spaß."

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