Hertha BSC:Supermega Wendepunkt

Elf Zähler in sieben Spielen: Jürgen Klinsmann wertet auch das glückliche Last-Minute-2:1 in Wolfsburg als Beleg, dass er die Mannschaft wieder auf Kurs gebracht hat. Im Fanblock bleiben trotzdem viele skeptisch.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg/Berlin

"Ich wünsch' euch einen Supersonntag", sagte Jürgen Klinsmann, Betonung auf "Super!" - und wenn etwas feststand, dann dies: dass er selbst einen solchen haben würde. Mochte das Wetter in Berlin auch noch so bedrückend sein, grau, wie es auch das Spiel seiner Mannschaft weiterhin häufig ist: Für Klinsmann war es allein deshalb ein Supersonntag, weil es der Tag nach seinem dritten Sieg als Hertha-Trainer war.

Durch das etwas schmeichelhafte 2:1 (0:0) beim kriselnden VfL Wolfsburg (sieben Niederlagen aus den vergangenen zehn Partien) hat Klinsmann in sieben Spielen mit der Hertha nun schon elf Punkte gesammelt. "Jeder Punkt ist ein kleiner Wendepunkt", sagte Klinsmann am Supersonntagvormittag, was natürlich nichts mit Geometrie- oder Kurvendiskussionen zu tun hatte; Fußball ist ja, wie man seit dem legendären Disput zwischen Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge und Ottmar Hitzfeld im Jahr 2007 weiß, keine Mathematik. Die neuerlichen "Wendepunkte" dienten Klinsmann vielmehr als Beweis dafür, dass es mit dem "Big-City-Club" Hertha bergauf geht, seit er da ist.

Was man nun auch indirekt herleiten kann: Klinsmann betonte nämlich, dass Hertha unter dem Trainer Klinsmann nur gegen Dortmund und Bayern verloren hat, "und das sind natürlich Megamannschaften". Punktetechnisch sind die Berliner nicht so weit von den Abstiegsrängen entfernt, und Tabellenplatz 13 klingt nun auch nicht gerade "mega", um es mit Klinsmanns Worten zu sagen. Aber die Beschwörung der Angst vor der zweiten Liga, der Klinsmann am Samstag in Wolfsburg und am Sonntag in Berlin frönte, wirkte dann doch aufgesetzt. Und kontrastierte mit der ansonsten nachvollziehbar guten Laune.

Wollte Klinsmann die Fans vom Training aussperren? "Das wurde komplett falsch verstanden!"

Bereitet worden war sie Klinsmann durch jenen 2:1-Sieg in Wolfsburg, den die Anhänger des unterlegenen VfL auf die Komplettblockade der eigenen Elf, andere Beobachter auf das bemerkenswerte Matchglück der Hertha, Klinsmann selbst freilich auf die "harte Arbeit der letzten Wochen" zurückführten. Viel sprach für die Hypothese Glück. Von ihr konnte man allein schon deshalb reden, weil das Siegtor in der 90. Minute fiel, als Lukas Klünter eine, nun ja, Flanke von Marko Grujic verlängert und Dodi Lukebakio den Ball mit dem Hinterkopf ins Netz bugsiert hatte.

Dass Trainer Klinsmann anderntags in sehr ernsthaftem Ton davon sprechen sollte, dass Lukebakio da gar nicht richtig gewusst habe, wo das Tor stand, war vielleicht scherzhaft gemeint. Denn wenn Lukébakio etwas bewiesen hatte, dann Orientierungssinn und Gefährlichkeit. Mehr jedenfalls als Klinsmanns bisheriger Lieblingsstürmer Davie Selke, der sich mit nur einem Tor aus 18 Spielen eher den Ruf eines Luftgitarrenspielers erworben hatte.

Von Lukebakio stammte zum Beispiel auch jene Flanke, die Marius Wolf am Tor vorbeigestochert hatte. Und kurz vor dem Spielende hätte Lukebakio auch schon "Tor" singen müssen, als er am Ende des einzigen richtig guten Spielzugs der ganzen Partie stand. Ein paar Herthaner hatten da gegen die Ideenlosigkeit von Klinsmanns Safety-First-Fußball rebelliert - und eine Serie von flachen Direktpässen aufgeführt. Von Ascacíbar, Grujic und Esswein wanderte der Ball in elektrischer Geschwindigkeit zu Lukebakio, der aus fünf Metern aufs Tor, aber eben auch genau auf VfL-Torwart Koen Casteels drosch.

Zuvor hatte das dröge Spiel wenige gute Nachrichten parat gehalten. Wolfsburgs Führungstor von Admir Mehmedi war einer instinktiven Idee von Stürmer Wout Weghorst geschuldet: Er tauchte unter Mehmedis Flanke wie unter einer Welle hinweg, Herthas Torwart Rune Jarstein war entscheidend irritiert, der Ball im Netz. Danach glich Jordan Torunarigha aus (74.), ein von Klinsmann zuletzt verschmähter Innenverteidiger. Und dann waren da noch die Hertha-Fans.

"Wir wollen Fußball mit Herz und Seele, ohne Kommerz und Milliardäre", stand auf einem Transparent, das die Hertha-Fans in ihrer Kurve aufgehängt hatten. Das war wohl nicht nur eine Anspielung auf die VfL-Muttergesellschaft Volkswagen, sondern auch auf Multimillionär Lars Windhorst. Dessen Firma Tennor hat 49,9 Prozent der Profiabteilung Herthas gekauft und Klinsmann installiert. Seither wird viel durcheinander gewirbelt. Jüngste Volte: Die Fans (und die Medien) sollten von allen Trainingseinheiten ausgeschlossen werden, nur an bestimmten Tagen wären sie für 20 Minuten offen. So war es kommuniziert worden - und viele Fans waren auf der Zinne. Am Sonntag sagte Klinsmann, alles sei "ein Missverständnis" gewesen. Er habe nur verhindern wollen, dass Einheiten aufgezeichnet werden und von TV-Teams an Gegner weitergereicht werden; er wisse doch, wie das Geschäft laufe. "Das wurde komplett falsch verstanden", sagte Klinsmann, und klang, als habe er nichts mit dem nun zurückgenommenen Veto gegen die Fans zu tun gehabt. Das war überraschend. Denn Herthas Kommunikationsabteilung ist für akkurate Arbeit bekannt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: