Hertha im Abstiegskampf:"Wenn das schiefgeht, lachen alle"

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Pal Dardai: Wurde für seinen Mut zur Rochade belohnt (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Hertha-Trainer Pal Dardai hört auf die Signale seines Körpers und wird für seinen Mut zur Mega-Rotation belohnt - mit einem Sprung auf den 14. Tabellenplatz. Nun ist die Befreiung greifbar.

Von Javier Cáceres, Berlin

Kurz vor Schluss noch eine Szene, die gewissermaßen sinnbildlich für Vieles stand, was die Hertha am Donnerstagabend zur Aufführung brachte. Es fehlten nur Minuten bis zum Ende der regulären Spielzeit, und der Linksverteidiger Jordan Torunarigha, der in dieser Saison niemals Stammkraft war, sprintete zurück und kämpfte mit einem Freiburger Gegenspieler im Strafraum um den Ball. Das war spektakulär: Torunarigha schabte mit dem Kopf über den grünen Rasen. Und obsiegte. Freiburgs Angriffsbemühung geriet ins Stocken, und im Nu war die Hertha wieder vorn. Nemanja Radonjic kurvte in und durch den Strafraum und setzte zu einem trockenen Schuss an, der den Endstand herstellte: ein 3:0-Sieg im Nachholspiel gegen die Mannschaft aus dem Breisgau, der Hertha vom 17. auf den 14. Tabellenplatz katapultierte.

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Im Nachholspiel bezwingen die Berliner Freiburg 3:0 - und erkämpfen drei wichtige Punkte für den Klassenerhalt.

Von Javier Cáceres

Trainer Pal Dardai zollte Torunarigha "Respekt", für diese Aktion im Besonderen und seine Leistung im Allgemeinen. "Aber das gilt nicht nur für ihn", fügte der Ungar hinzu. Der Sieg gegen Freiburg sei wichtig im Überlebenskampf gewesen, keine Frage. Aber regelrecht begeistert wirkte er erst, als er über Dinge sprach, die nicht so materiell sind wie Tore und Punkte. "Schön, dass die Jungs langsam verstehen, was ein Team ist, was es bedeutet, Teil der Hertha-Familie zu sein", sagte Dardai. Der Rekordspieler Herthas war Ende Januar eingesprungen - als Nachfolger für Bruno Labbadia - und hatte sich die Beseitigung der Egos auf die Fahne geschrieben. Nun zeigten sich Erfolge in diesem Kampf, nach zweiwöchiger, coronabedingter Isolation. "Es war auch ein bisschen Gänsehaut, es war Teamgeist", sagte Dardai.

Er trug dazu bei, indem er fast komplett durchrotierte - und im Vergleich zum Mainz-Spiel vom Montag (1:1) gleich neun neue Kräfte auf den Platz schickte. Mit Ausnahme von Mattéo Guendouzi und Torwart Alexander Schwolow war kein Startelfspieler aus der Mainz-Partie auf dem Platz. "Wenn das schiefgeht, lachen alle", sagte Dardai. Er zog es dennoch durch, weil er seinem Bauchgefühl ("ich bin meiner ersten Idee gefolgt") und auch anderen Signale des Körpers gehorchte. "Dafür habe ich die Eier", erklärte er wörtlich. Andererseits: Ein wenig relativierte er die Größe seines Mutes selbst, Dardais Vertrauen in den breiten und qualitativ hochwertigen Kader ist enorm.

Es zahlt sich auch aus, dass Dardai den Kader beisammenhielt

Die B-Elf, das war "eine richtig gute Aufstellung", sagte Dardai - immerhin standen da renommierte teure Transfers wie der exzellent aufgelegte Torwart Schwolow, Kapitän Dedryck Boyata, Mittelfeldspieler Santi Ascacíbar oder Krzysztof Piatek auf dem Rasen. Es zahlte sich auch aus, dass Dardai den Kader beisammenhielt. Nach seinem Amtsantritt Ende Januar habe er manchen Spielern den Wunsch verweigert, die Hertha per Leihe zu verlassen. In Zeiten von Corona wisse man nie, wen man noch brauchen werde, das sei sein Gedanke gewesen, sagte Dardai. Und siehe: Er behielt Recht. Doch nicht nur das: Die Mannschaft spielte sehr gut zusammen, und man merkte ihr schon an, dass sie in der Vergangenheit häufiger miteinander geübt hatte. Und nicht erst zwei Tage vor dem Spiel, als Dardai sie aufforderte, die Zehn-gegen-Null-Übung mit großer Ernsthaftigkeit anzugehen: "Ihr spielt!" Und siehe: Hertha ging durch Krzysztof Piatek (13.) und Peter Pekarik (28.) vollauf verdient in Führung.

Diese Total-Rotation war natürlich nicht ausschließlich eine Frage der Intuition. Sondern auch eine Notwendigkeit. "Nach vierzehn Tagen in der Wohnung, auf dem Laufband und Rädern" und der plötzlichen Rückkehr auf den Platz und zu fußballspezifischen Bewegungen war die Angst vor Muskelverletzungen recht groß. Tragisch wurde es allerdings nur für Guendouzi, der allerdings eine Mittelfußfraktur erlitt, für ihn ist die Saison vorüber. Der im Winter herbeigeholte Sami Khedira klagte tatsächlich über ein Zwicken in der Wade. Er hat allerdings eine längere Verletzungshistorie. Ob er am Sonntag gegen Arminia Bielefeld ausfällt, sollen Untersuchungen am Freitag klären.

So oder so: Eine gewisse Entspannung ist vor dem ersten der vier ausstehenden Endspiele eingekehrt. Dardai hatte das Ziel ausgegeben, aus den drei Nachholspielen, die Hertha wegen der Pause bestreiten muss, vier Punkte zu holen, das haben die Berliner mit dem Remis aus Mainz und dem 3:0 gegen Freiburg nun erreicht. Der nächste Gegner Bielefeld (Sonntag, 18 Uhr) ist durch Herthas Sprung auf den 14. Tabellenrang auf Relegationsplatz 16 gerutscht, aber mit den Berlinern punktgleich. "Wenn wir da gewinnen, können wir uns befreien", sagte Dardai. Die Frage wird nun sein, ob er das Spiel mit der A- oder mit der B-Mannschaft angeht.

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