Süddeutsche Zeitung

Hertha siegt nach Chaos-Woche:"Heute ging es nicht um Performance"

  • Hertha BSC gewinnt in Paderborn mit 2:1 und vergrößtert den Abstand zum Relegationsplatz auf neun Punkte.
  • Die Verantwortlichen sind nach der denkwürdigen Woche mit dem Abgang von Jürgen Klinsmann erleichtert.
  • Winter-Neuzugang Matheus Cunha erzielt mit der Hacke das Tor des Tages.

Von Ulrich Hartmann, Paderborn

Die letzten Minuten in einem aufregenden Auswärtsspiel beim Tabellenletzten SC Paderborn offenbarten bei der leidgeplagten Hertha BSC aus Berlin Anzeichen der Verzweiflung. Dem Big-City-Club war das in der ostwestfälischen Provinz zu diesem Zeitpunkt aber irgendwie auch schon egal. Es entwickelte sich eine leidenschaftliche Abwehrschlacht mit allerhand Befreiungsschlägen. Berliner Spieler lagen wiederholt am Boden mit Wadenkrämpfen, die freilich immer auch ein paar Sekunden Zeitgewinn bedeuten.

Am Spielfeldrand bettelte der Trainer Alexander Nouri in der fünften Minute der Nachspielzeit um den Schlusspfiff, während der Manager Michael Preetz die Szenerie mit skeptischen Blick beobachtete. Der finale Pfiff der Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus bedeutete beim Endstand von 2:1 (1:0) schließlich die Erlösung für jenen Klub namens Hertha, der vier Tage nach dem plötzlichen Abgang seines Trainers Jürgen Klinsmann heilfroh war, in Paderborn mit Ach und Krach gewonnen zu haben. "Heute ging es nicht um Performance", sagte hernach Berlins Torschütze Dedryck Boyata, "heute ging es nur um drei Punkte."

Alles war schon damit losgegangen, dass der Berliner Performance-Manager Schwierigkeiten hatte, seinen Sitzplatz zu finden. Arne Friedrich irrte orientierungslos durch die engen Sitzreihen in der Paderborner Arena. "Jetzt komm' halt endlich!", bedeutete ihm armschwenkend der Präsident Werner Gegenbauer, aber Friedrich hatte keine Ahnung, wie er dorthin kommen sollte. Wer in Paderborn erst kurz vor dem Anpfiff seine Sitzschale in den extrem engen Reihen einzunehmen gedenkt, der seilt sich am besten aus einem Hubschrauber ab. Aber einen solchen haben sie sich in Berlin auch in den Klinsmann-Wochen nicht angeschafft.

Nouri telefoniert noch mit Vorgänger Klinsmann

In Paderborn sitzt die offizielle Delegation der Gastmannschaft auf ganz normalen Sitzen mitten unter Paderborner Publikum. So erlebten Friedrich und Gegenbauer ein aufregendes Spiel, in dem die Menschen um sie herum ständig auf- und absprangen. Sie sprangen auf, als Boyata in der 10. Minute das Berliner 1:0 erzielte, als Herthas Torwart Rune Jarstein in der 51. Minute einen Ball zum 1:1 ins eigene Tor lenkte und als Matheus Cunha in der 67. Minute den 2:1-Siegtreffer per Volley-Hacke für die Berliner erzwang - die DFL wertete den Treffer als Eigentor von Collins. Auch zwischendurch sprangen sie immer wieder auf. Am Ende jubelten aber die Gäste.

Drei, vielleicht auch vier Siege benötigen die Berliner noch, um den Klassenverbleib sicher zu wissen. "Dieser Sieg tut extrem gut", sagte der Sportchef Preetz, "es war nicht leicht, nach einer turbulenten Woche den Fokus auf dieses Spiel zu legen, aber genau das hat Alexander Nouri geschafft." Man habe die Verabredung getroffen, dass Nouri bis zum Saisonende Trainer bleibe. "Je eher der Klassenerhalt feststeht", so Preetz, "desto eher kann ich mich mit den Zukunftsplanungen beschäftigen."

Nouri veränderte die Mannschaft, die Klinsmann eine Woche zuvor bei der 1:3-Heimniederlage gegen Mainz letztmals ins Rennen geschickt hatte, auf vier Positionen: Karim Rekik ersetzte Jordan Torunarigha in der Dreierabwehrkette, Peter Pekarik spielte anstelle von Marius Wolf (der gesperrt war) auf dem rechten Flügel, Per Skjelbred bekam im Mittelfeld den Vorzug vor Marko Grujic und der in letzter Sekunde mit einer Spielberechtigung ausgestattete Brasilianer Matheus Cunha ersetzte Pascal Köpke in der Doppelspitze neben Krzystof Piatek. Cunha war in der Winterpause von RB Leipzig zur Hertha gewechselt, während er mit Brasilien die Olympia-Qualifikation errang, von der er erst drei Tage vor dem Spiel nach Berlin gekommen war. Dafür zeigte er nicht nur wegen seines Traumsiegtores eine überzeugende Leistung. Mit fünf Torschüssen war er der aktivste Offensivspieler und traf schon in der ersten Halbzeit, der Treffer wurde aber wegen eines Handspiels von Piatek zurecht nicht anerkannt.

"Dem Jürgen war es ein Anliegen, uns viel Glück zu wünschen"

Die Paderborner brachten die Berliner zwar durch Tempo und Leidenschaft immer wieder in Bedrängnis, vergaben ihre Möglichkeiten aber durch individuelle Schwächen. Hertha BSC machte zu wenig aus den Paderborner Patzern. "Klar können wir besser Fußball spielen", sagte Rekik, "aber es war auch keine leichte Situation für uns." Manager Friedrich hatte in der Halbzeit einem Zuschauer zugeraunt: "Drei Punkte - egal wie!" Und genauso kam es ja dann.

Trainer Nouri sprach seinen Spielern hinterher "ein großes Lob" aus, sie hätten "den Fight angenommen und alles gut wegverteidigt". Vor dem Spiel habe er kurz mit Klinsmann telefoniert. "Dem Jürgen war es ein Anliegen, uns viel Glück zu wünschen." Der Manager Preetz freute sich derweil "auf einen entspannten Sonntag und eine ganz normale Trainingswoche". Heftige Turbulenzen erhöhen offenbar die Freude am kleinen Glück.

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