Süddeutsche Zeitung

Hertha BSC - Mönchengladbach:Hertha baut Versailles im Zeltformat

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Den zu Saisonbeginn schwächelnden Berlinern reicht gegen ideenlose Gladbacher eine disziplinierte Leistung zum zweiten Sieg nacheinander. Die Borussen hingegen bieten ein Bild des Rätsels.

Von Javier Cáceres, Berlin

Zu den kuriosen, mitunter verstörenden Dingen, die sich am Samstagabend im Berliner Olympiastadion zutrugen und zumindest teilweise die 0:1-Niederlage von Borussia Mönchengladbach bei Hertha BSC erklärten, zählte dies: Wie sich Gladbach der Argumente beraubte, das Spiel zu gewinnen. Oder auf der anderen Seite: Welch rührend große Begeisterung ein vergleichsweise schmuckloser Triumph in einem klassischen Rumpelfußballspiel auf den Rängen hervorrief, der am Ende ein "verdienter", aber doch auch nur ein "Arbeitssieg" gewesen war, wie Hertha-Trainer Pal Dardai danach zu Recht meinte.

"Oooooh, wie ist das schön", sangen die Fans auf den Rängen im Westend mit großer Inbrunst; das hatte seine Erklärung darin, dass man "sowas" tatsächlich "lange nicht gesehen" hatte: Einen Heimsieg gegen eine Mannschaft von Rang und Klang hatte es zuletzt Anfang Mai gegeben. Dem damaligen 3:0 gegen den heutigen Champions-League-Aspiranten SC Freiburg folgte erst Mitte September ein mühsam erkämpftes 2:1 gegen den bislang überforderten Aufsteiger SpVgg Greuther Fürth. Und ein Spiel ohne Gegentor? War in dieser Saison bis zum Samstag noch gar nicht zu sehen. "Endlich haben wir es geschafft!", sagte Hertha-Torwart Alexander Schwolow aufatmend.

Herthas Fortschritt: "Die Laufleistungen stimmen wieder".

Überhaupt lieferte der Abend nichts, was die gute Laune bei der Hertha hätte relativieren können. Dass Gladbachs Nationalspieler Jonas Hofmann ebenfalls zu Recht bemerkte, seine Mannschaft habe "teilweise wirklich schlecht" gespielt? In den Augen der Berliner: völlig irrelevant. "Das ist gut für Hertha und für die Stadt", jubilierte Dardai nach dem vierten Dreipunkteerfolg der Saison, "wir freuen uns", berichtete Keeper Schwolow. "Solche Erfolgserlebnisse gegen namhafte Gegner tun uns gut", ergänzte Torschütze Marco Richter - mit Blick darauf, dass die zu Beginn der Saison arg humpelnde Hertha in der Vorwoche bei Eintracht Frankfurt gewonnen hatte. "Es ist ein gutes Gefühl", erklärte auch Herthas Manager Fredi Bobic im ZDF, der vor wenigen Tagen noch in der Zeitschrift Sport-Bild hatte lesen müssen, dass er sich vor ein paar Wochen mit dem derzeit beschäftigungslosen Trainer Domenico Tedesco getroffen hatte. Der aktuelle Coach Dardai bedankte sich dafür "beim Boulevard" - in seinem Kiez blieben die Autos stehen, berichtete er, weil die Fahrer ihm so viel Zuspruch und Liebe signalisieren würden wie noch nie. Und Dardai ist wirklich lange in Berlin.

Lange genug, um bestens zu wissen, dass Hertha ein Klub ist, der seit Jahren das Versprechen leistet, im übertragenen Sinn ein fußballerisches Versailles aufzubauen: einen bombastischen Palast mit faszinierendem Spiegelsaal, fürs Sehen und Gesehen werden. Vielleicht markierte das Spiel gegen Gladbach in dieser Hinsicht tatsächlich einen Wendepunkt. Denn es zeigte auf, dass es dem Volk auf den Rängen, der Mannschaft und dem Trainer aktuell völlig reicht, ein Zelt mit stabilem Gestänge und fest verankerten Angelhaken aufzubauen, um über den Winter zu kommen. Am Samstag war bei der Hertha niemand auszumachen, der sich großer Baukunst verschrieben hätte, wohl aber eine Mannschaft, die 90 Minuten lang kämpfte und kratzte und lief und nicht viel mehr als Disziplin an den Tag legte. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

"Alle rennen und geben alles - die Laufleistungen stimmen wieder", freute sich Verteidiger Marton Dardai nach 121 kollektiv abgespulten Kilometern. "Wir merken, dass es für jeden Gegner schwer ist, wenn wir als Team zusammenarbeiten und die Abstände kurz halten", fügte er hinzu, der Sohn ist offensichtlich ganz der Papa. Selbst das Tor von Marco Richter aus der 40. Minute, das den ersten Torschuss der Hertha im Spiel markierte, stand sinnbildlich für eine Genügsamkeit, die jede Form der Ästhetik hintanstellt, vorerst jedenfalls. "Ich treffe den Ball nicht gescheit, aber es sieht ja trotzdem ganz gut aus", sagte Richter. Merke: Wie der Ball über die gegnerische Linie fliegt, ist schnuppe.

In der Entstehung war der Treffer eine Ode an jene Art des Fußballs, die den Namen nicht richtig verdient, aber irgendwie Teil des Spiels ist. Das Tor war nicht das Ergebnis einer Reihe durchdachter Pässe. Sondern es erwuchs aus einer immerhin einstudierten Standardvariante. Marvin Plattenhardt schleuderte einen Einwurf in den Strafraum der Gladbacher - und setzte diesen dadurch gewissermaßen in Brand: Richter verlängerte, Stürmer Krzysztof Piatek scheiterte mit einem Fallrückzieher am Rücken von Luca Netz, und als der Ball zu Richter wieder zurückflog, traf ihn der aus Augsburg eingewanderte Stürmer tatsächlich nicht exakt - aber doch so, dass er aufsetzte und dann im hohen Bogen über Gladbachs Torwart Yann Sommer hinweg ins Tor flog. Ansonsten wurden im Olympiastadion außerordentlich viele Unterbrechungen registriert; mehr als 30 Fouls, von denen zwei Drittel auf das Konto der Gladbacher gingen, die wiederum einer der Ursachen dafür waren, dass sich die Borussia um einen möglichen Sieg brachte. Denn sie trugen - zusammen mit dem auffälligen Schiedsrichter - dazu bei, dass dem Abend fast Spielfluss abhanden kam.

Ein anderer Grund lag darin, dass Gladbachs Trainer Adi Hütter seinem Kapitän Lars Stindl zur Halbzeit eine Schaffenspause gönnte - obwohl Stindl den größten fußballerischen Beitrag geleistet hatte. Nicht, dass die Borussen in der ersten Halbzeit ein fußballerisches Feuerwerk gezündet hätten. Doch in der zweiten Halbzeit versiegte ohne Stindl jede Kreativität, um wenigstens Chancen zu verballern wie Breel Embolo in Halbzeit eins.

Umso schaler klang, was Trainer Hütter bemerkte: "Ich bin sehr enttäuscht, dass wir hier nicht einmal einen Punkt mitgenommen haben." Er blickt nun auf vier Niederlagen aus den fünf Auswärtsspielen der laufenden Saison zurück. In Summe bedeutet das einen bloß zweistelligen Tabellenplatz mit nur elf Punkten aus neun Spielen. Weniger als die Hertha mit ihren zwölf Punkten.

Gladbach empfängt am Mittwoch den FC Bayern im Pokal, Hertha reist am Dienstag zum Viertligisten Preußen Münster, da sei ein Weiterkommen Pflicht, sagte Dardai. "Wir müssen da jetzt durch, egal wie." Er klang, als formulierte er Herthas Motto der Gegenwart: Egal wie.

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