Süddeutsche Zeitung

Finanzen bei Hertha BSC:Das Geld ist "vaplempat"

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Dreieinhalb Jahre nach dem Einstieg von Investor Lars Windhorst greift Hertha BSC wieder in leere Taschen. Der neue Geschäftsführer versicherte aber: "Hier wird nichts wie ein Kartenhaus zusammenbrechen."

Von Javier Cáceres und Uwe Ritzer, Berlin

Die Stimmung ist noch nirgends danach, schon jetzt auf das Jahr zurückzublicken. Aber es hilft ja nix, auch nicht bei der Hertha.

Am Sonntag stand in der fensterlosen, unbeheizten Halle 22 der Berliner Messe die Mitgliederversammlung an, und sie gab eigentlich dazu Anlass, Betrübtheit hervorzurufen: Die Finanzkennzahlen, die diskutiert wurden, waren beklemmend. Dennoch: Die Stimmung war recht entspannt. Wie es halt so ist, wenn am Vorabend die Kugel doch ins gegnerische Tor gerollt und ein Sieg zu feiern gewesen war wie gegen den 1. FC Köln (2:0).

Als sie sich Ende Juni das letzte Mal an gleicher Stelle trafen, war die Stimmung ungleich gereizter. Werner Gegenbauer war nach 14 Jahren als Präsident zurückgetreten; das Hertha-Establishment schickte den Ex-Politiker Frank Steffel ins Rennen, einen Kandidaten, der sich der Kontinuität verschrieben hatte. Und das Establishment verlor. Es siegte ein Kind der Ostkurve: Kay Bernstein, 42, ehedem Ultra, seit Jahren Marketing-Unternehmer.

Im Spätsommer dann: der Eklat um Investor Lars Windhorst, der 2019 einstieg und einen Betrag in den Klub pumpte - 374 Millionen Euro -, ohne den die Hertha vielleicht verschwunden wäre. Das Geld ist, wie man in Berlin sagt, "vaplempat" oder auch "vapulvert". Vor allem aber ist das Verhältnis zu Windhorst zerrüttet.

Frisches Kapital wäre im Berliner Westend hochwillkommen

Windhorst geriet Ende September durch einen Prozess in Israel in den Ruch, eine Sicherheitsfirma gegen den Ex-Präsidenten Gegenbauer ins Feld geschickt zu haben. Die Financial Times berichtete, aus den Prozessakten gehe hervor, Windhorst habe versucht, Gegenbauer mit nachrichtendienstlichen Methoden aus dem Weg zu räumen. Windhorst bestreitet diese Darstellung. Aber er reagierte, indem er der Hertha anbot, die Anteile zum Einkaufspreis zurückzukaufen, die er seit Sommer 2019 an der Profiabteilung erworben hatte. Die Hertha lehnte ab, auch weil sie keine Mittel dafür hat - von anderen Interessenten ist bislang nichts bekannt. Frisches Kapital wäre im Berliner Westend freilich hochwillkommen. Denn die Gefahr, dass Hertha sich in der Schuldenfalle verheddert, ist so real, dass ein Mitglied am Sonntag erregt ins Mikrofon rief, Hertha werde absehbar unter Zinslasten erdrückt werden, wenn nicht sofort gegengesteuert werde. Der neue Geschäftsführer Thomas E. Herrich versicherte: "Hier wird nichts wie ein Kartenhaus zusammenbrechen."

Hertha schloss die vergangene Saison trotz Transfereinnahmen von 46,8 Millionen Euro mit einem Minus von knapp 80 Millionen Euro ab; die Verluste der letzten drei Jahre summieren sich damit auf 211,3 Millionen Euro. Das Eigenkapital sank zum Stichtag 30. Juni 2022 auf knapp 30 Millionen Euro, im Vorjahr hatte Hertha noch 110 Millionen Euro zur Verfügung. Die Personalkosten wiederum stiegen auf rund 100 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der Samstagsgegner Köln kommt nicht mal auf die Hälfte. Herthas Schuldenstand liegt mit 80,8 Millionen Euro höher als das Eigenkapital (29,5 Millionen Euro). Zudem muss im November 2023 eine mit üppigen 6,5 Prozent verzinste 40-Millionen-Euro-Anleihe zurückgezahlt werden.

Hertha könnte eine neue Anleihe ausgeben, um mit den Einnahmen die alte abzulösen, und erwägt dies auch. Geschäftsführer Herrich betonte, man sei "in guten Gesprächen" mit möglichen Partnern, man prüfe diverse Optionen. Aber: "Wir müssen den Gürtel enger schnallen." Zumal im kommenden Frühjahr das alljährliche Lizenzierungsverfahren für die nächste Saison bei der DFL ansteht. Ein negatives Eigenkapital in der Bilanz wäre ein No-Go. "Wir müssen sämtliche Finanzierungsmöglichkeiten, sei es durch Eigen- oder Fremdkapital, in Betracht ziehen", sagte Herrich.

"Die Jungs sind durch. Der Einzige, der relativ fit war, war ich", sagt Kölns Trainer Baumgart

Misslich ist das auch insofern, als die Hertha zwar mittlerweile unter dem im Sommer bestellten Trainer Sandro Schwarz einen besseren Eindruck macht als in vielen, vielen Phasen der letzten Jahre. Aber die besten Erlösquellen sind im Profifußball die Profis. Nur: "Dafür brauchst du erst mal einen Markt", sagte Manager Fredi Bobic, und dann "auch Spieler, die absolut gewollt sind". Sprich: Die Nachfrage nach Hertha-Profis ist überschaubar. Gleichzeitig kann sich Hertha gerade auch keinen Verlust an Qualität leisten: "Wir dürfen uns nicht ausverkaufen", sagte Bobic. Hochwertige Zugänge sind erst recht nicht drin. Das Augenmerk liegt daher mehr denn je auf der Förderung von eigenen Nachwuchskräften - sei es, um sie "zu monetarisieren", wie Präsident Bernstein sagte, oder sie in die erste Mannschaft einzubauen.

Auch die Partie gegen Köln zeigte, dass Hertha ein paar Tropfen Qualität gut zu Gesicht stehen würden. Ein 2:0 liest sich souverän, doch ein paar Relativierungen waren statthaft. Herthas Sieg hätte höher ausfallen können, vor allem in der Schlussphase zeigte Torwart Marvin Schwäbe gute Paraden. Aber Köln war erkennbar ein erschöpfter Gegner. "Die Jungs sind durch. Der Einzige, der relativ fit war, war ich", sagte Kölns Trainer Steffen Baumgart. Und dann war da noch die Begebenheit, dass die Rheinländer sich selbst das Genick brachen, indem sie in der ersten Halbzeit "drei Riesen" liegenließen, wie Baumgart die wirklich überbordend guten Kölner Chancen nannte.

Dabei stach Sargis Adamyan heraus. Er nutzte die Chance, vor Ende des Einsendeschlusses für Jahresrückblicke eine überzeugende Bewerbung abzugeben. Auf der rechten Seite hatte sich sein Kollege Linton Maina durchgesetzt und Adamyan völlig frei im Fünfmeterraum gesehen. Was dann geschah, hatte Kölns Trainer schon mal gesehen: "Als ich Stürmer war", sagte Baumgart. Adamyan traf den Ball mit der inneren Seite des Fersenbeins, die Kugel zeichnete daraufhin eine unwahrscheinliche Parabel und flog in hohem Bogen auf die Querlatte. "Ich dachte, das kann nicht sein", sagte Adamyan später.

Die Führung der Berliner hatte Mittelstürmer Wilfried Kanga in der neunten Minute per Kopf hergestellt. Kurz nach der Pause war es dann Marco Richter, der die Führung auf 2:0 (54.) ausbaute. Nach einer scharfen Hereingabe von Dodi Lukébakio von der Grundlinie hatte Schwäbe den Ball bloß mit dem Fuß zur Mitte abwehren können - Richter staubte ab.

Die Hertha wird im neuen Jahr, nach der WM-Pause, zwar erst mal weiterhin im unteren Tabellendrittel herumkrebsen. Aber vor allem als Zeichen der Verarbeitung der jüngste Last-Second-Pleite beim VfB Stuttgart (1:2) war der Sieg wichtig - allein schon, um die zuletzt mit der Drahtbürste bearbeitete Hertha-Seele zu streicheln. "Das war ein Stimmungsaufheller, der wichtig war für uns", sagte Manager Fredi Bobic.

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