Hertha BSC:Hostien statt Schrippen

Hertha BSC - SC Paderborn 07

Beherztes Solo zum 1:0: Der Berliner Javairo Dilrosun (links) schüttelt vor seinem Führungstor drei Paderborner ab.

(Foto: Soeren Stache/dpa)

Statt zu kombinieren stellen sich die Berliner hinten rein und gewinnen 2:1 gegen Paderborn - nur Dilrosuns 1:0 begeistert.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Ende blieb nur eine knapp zehnsekündige Sequenz übrig. Nur sie erinnerte an die Ansprüche, die vor gar nicht langer Zeit zum Programm erkoren worden waren: unaufhaltsam und mit vielen Haken war der niederländische Hertha-Stürmer Javairo Dilrosun durch das Verteidiger-Spalier des SC Paderborn gedrungen - ein Antritt, der die Hoffnung näherte auf Berliner Fußball feiner Machart.

Ein "Weltklasse-Solo", wie Herthas Mittelstürmer Davie Selke hernach loben sollte; Mittelfeldspieler Marco Grujic äußerte die Vermutung, dass Dilrosuns Auftritt im weltweiten Netz viral gehen würde, wie man neudeutsch sagt: "Heute hat er dem Land, der Welt gezeigt, was für ein Spieler er ist". Und fürwahr: Es war kein bloßes Dribbling, das Dilrosun hingelegt hatte. Es war eine Abenteuerreise durch vermintes Gelände, eine Performance, die an Straßenfußball erinnerte, mit dem er das Fundament für Herthas ersten Saisonsieg goss: das 2:1 gegen den Aufsteiger Paderborn, an den man den letzten Tabellenplatz der Fußballbundesliga abgeben konnte.

Hohes Pressing hatte die Hertha geübt und wieder verworfen - es ist den Spielern nicht gelungen

"Nur so ein Feeling" sei es gewesen, dass ihn beschlichen habe, als er den Ball an der linken Außenseite an sich riss. Er zog den Kopf ein, krümmte den Rücken und ignorierte alles, was um ihn herum geschah, um den Ball nach zehn Berührungen, fast ausnahmslos mit dem linken Fuß, im Tor unterzubringen. Für diese zehn Sekunden hatte er sich, zumindest ansatzweise, in Ronaldo Fenomeno verwandelt, den brasilianischen Stürmer der Jahrtausendwende, der den Ball so eng führte wie Dilrosun. "Es war ein gutes Tor", sagte Dilrosun, 21, der den Vorzug vor Herthas Rekordeinkauf Dodi Lukebakio erhalten hatte.

Schon seit einem Jahr ist der einstige Nachwuchsspieler von Ajax Amsterdam und Manchester City in Berlin; nach einem vielversprechenden Start war es aber wieder arg leise um ihn geworden. Verletzungen warfen ihn zurück. Er zog die Konsequenzen, aß weniger rotes Fleisch und schuftete stattdessen vermehrt im Kraftraum, um durch rumpfstabilisierende Übungen den Rücken zu stärken. Das Resultat: Er scheint nun angekommen zu sein. "Ich bin bei hundert Prozent."

Dass Dilrosuns Auftritt - ungeachtet seiner Vorlage zum zwischenzeitlichen 2:0 durch den Zugang Marius Wolf (53.) - der einzige Lichtblick im sonnengefluteten Olympiastadion bleiben sollte, hatte mit der zumindest vorübergehenden Abkehr von den selbstformulierten Ambitionen zu tun. Attraktiveren Fußball hatte die Hertha vor der Saison versprochen, und ein mutigeres Offensivspiel als in der Vergangenheit unter Trainer Pal Dardai. Angesichts der Saisonausbeute bis Samstag - ein Punkt von zwölf möglichen - hat man sich aber entschieden, erst mal kleinere Schrippen zu backen. Und es war auch im Nachgang weitgehend egal, dass sie am Ende kleiner ausfielen als Hostien.

Man sei mit der Idee ins Spiel gegangen, "nicht unbedingt den Ball haben zu müssen", gestand Trainer Ante Covic nach der Partie, "es ging darum, den Sieg zu erzwingen, das ist uns gelungen." Dilrosun berichtete, dass man im Training so verwegene Stilmittel wie hohes Pressing geübt und dann wieder verworfen habe. Die Ausführung habe so viel zu wünschen übrig gelassen, dass man entschied, lieber Konter mit vielen Angreifern zu fahren.

"Wir haben genug Speed in unseren Reihen, dass wir geradlinig, mit wenig Zirkulation zum Torerfolg kommen können", sagte Covic nach aufgegangener Rechnung. Paderborn engagierte sich rührend, hatte am Ende mehr Ballbesitz, Torschüsse und bessere Chancen, aber: null Punkte. Denn im Tor brachten sie den Ball nur einmal unter, durch Ben Zolinski (54.).

"Klar erwarten die Leute einen schöneren Fußball", sagte Hertha-Stürmer Marius Wolf. Ästhetische Erwägungen seien aber erst einmal hintangestellt, ergänzte sein Angriffskollege Selke: "Erst einmal müssen wir Punkte holen, gut gegen den Ball laufen, ackern, arbeiten, dreckig spielen, Punkte holen... Die Phase ist gerade dreckig und eklig", sagte er. Das heiße aber nicht, dass dies auf ewig so bleiben solle, "wir suchen nach unserer Taktik und unseren Ideen", erklärte Grujic, und er klang dabei, als sei er sich sicher, dass man sie finden werde.

Wie fern diese Zukunft liegt, wird sich auch an den Resultaten aus den Spielen in Köln und gegen Fortuna Düsseldorf bemessen. Vorerst freuen sich die Herthaner daran, dass sie ballastfreier üben dürfen. "Diese Woche wird die Atmosphäre bei den Spielern besser sein, alle werden lächeln und wir können uns bei besserer Stimmung auf das nächste Spiel vorbereiten", sagte Grujic.

Immerhin: Auch die Anhänger Herthas scheinen die Ansicht zu teilen, dass die Zukunft warten könne. Ob das daran liegt, dass ihnen die Werbeclaims der Hertha ein Dorn im Auge sind und einer davon lautet: "Die Zukunft gehört Berlin"? Gegen Paderborn war Murren nur vereinzelt zu hören, am Ende wurden die Spieler der Berliner von der Ostkurve gefeiert, als ob sie kurz davor stünden, mit Trophäen aus Edelmetall durchs Brandenburger Tor zu fahren. Grujic berichtete von überaus aufmunternden Dialogen, ein Fan habe ihm gesagt: "Nun geht unsere Saison erst richtig los." Sollte dem so sein, wäre es gerade noch rechtzeitig.

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