Hertha BSC:Gelernt von Bröndby

FC Ingolstadt 04 - Hertha BSC

"Gut gemacht!" - "Selbst gut!" Die Berliner Julian Schieber (Torschütze) und Genki Haraguchi (Vorlagengeber) gratulieren sich in Ingolstadt.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Berlin startet so gut in eine Bundesliga-Saison wie noch nie - und begrüßt zwei Spieler in den Reihen, die nach manchen Sorgen offenbar so langsam ihr Potenzial entfalten.

Von Christopher Gerards, Ingolstadt

Er werde "bestimmt keinen großen Sekt öffnen", hat Pal Dardai, der Trainer von Hertha BSC, am Samstagabend gesagt. Er hat dann ergänzt, dass es auch keine "riesen Hausfeier" geben werde, und dann hat er einfach weitergeredet, niemand konnte kritisch nachfragen. Wird er womöglich einen kleinen Sekt öffnen? Zieht er eine mittelgroße "Hausfeier" in Betracht? Man wird es nie erfahren, wobei: Dardai hat die Fragen, die ihm niemand gestellt hat, indirekt schon noch beantwortet, mit einem kleinen Halbsatz. Dardai forderte, "realistisch zu bleiben".

Er sei wieder der Alte, sagte Julian Schieber nach seinem Jokertor

2:1 gegen Freiburg, nun 2:0 in Ingolstadt - Hertha BSC ist noch nie derart gut in eine Bundesliga-Saison gestartet wie in diesen Tagen, mit zwei Siegen in Serie. So gesehen war es ein historischer Samstagnachmittag für die Berliner, wobei sich das Wort "historisch" wahrscheinlich manchmal selbst wundert, wofür es alles herhalten muss. Ja, die Hertha hat einen neuen Vereinsrekord erschaffen. Aber nein, Dardai hat das ziemlich genau überhaupt nicht interessiert. Kein Sekt, keine Party. Dardai weiß ja inzwischen, wie schnell sich die öffentliche Meinung drehen kann.

Ein seltsamer Sommer ist das gewesen für die Hertha, den Siebten der Vorsaison. Das fing an mit der Qualifikation für die Europa League, Hertha schied gegen den dänischen Vertreter Bröndby IF aus. Da war zudem eine 1:4-Testniederlage gegen Neapel. Und da war ein Pokalspiel gegen Drittligist Regensburg, erst im Elfmeterdurchschießen überstand die Hertha die erste Runde. Diese Eindrücke waren noch hinreichend jung, dass Dardai sich in Ingolstadt an sie erinnern konnte. "Wir haben es hingekriegt, dass wir letzte Saison 50 Punkte geholt haben. Alles schön und gut", sagte er. Aber es gab eben eine Entwicklung, die weder schön war noch gut, sie betraf die Stimmung rund um den Klub: "In zwei Monaten Pause haben wir es hingekriegt, dass alles negativ geworden ist in Berlin. Deshalb sollen jetzt nicht alle über die Champions League reden, ja? Weil das bringt uns nicht weiter."

Andererseits kann Dardai nicht verhindern, dass Berlin in der Tabelle nun auf Platz zwei geführt wird. Und nach allem, was die Republik in dieser jungen Bundesligasaison von der Hertha gesehen hat, kann man auch zu diesem Schluss kommen: dass die Niederlagen gegen Bröndy und Neapel, in all ihrer Wucht, eine reinigende Wirkung entfaltet haben.

Dardai hat schon vor dem Saisonstart den neuen Konkurrenzkampf in der Mannschaft gelobt. Er selbst hat zudem die Hierarchie des Teams umgebaut, in radikaler Weise: Er entmachtete Fabian Lustenberger und bestimmte Vedad Ibisevic als neuen Kapitän. Als "Neuanfang mit einem anderen Spielertyp" bezeichnete Dardai den Umbau, wobei "anders" in diesem Falle bedeutet: mit aggressiverer Körpersprache. Am Samstag traf Ibisevic zum ersten Mal in seinem neuen Amt.

Es war ein interessanter Stilmix, den die Hertha in Ingolstadt zeigte, eine Mischung aus bodenständigen und ziemlich klugen Elementen. Sie hatte weniger Torschüsse, weniger Ballbesitz, weniger gelaufen war sie auch, in fast allen wichtigen Statistiken war sie unterlegen. In einer Statistik lagen die Berliner jedoch vorn, und diese Statistik war noch ein bisschen wichtiger als alle anderen. Diese Statistik maß die Zahl der geschossenen Tore. Bei Hertha stand eine Zwei. Bei Ingolstadt eine Null. "Wir haben unsere Möglichkeiten nicht genutzt", klagte deshalb Ingolstadts Trainer Markus Kauczinski, "wie kalt man sein kann, hat Hertha gezeigt."

Es sei optimal gelaufen - diesen Satz hat Julian Schieber hinterher gesagt, und niemand hat ihm widersprochen. Schieber, 27, der Torschütze zum 2:0, hat schon zwei Tore erzielt in dieser Saison, beide als Einwechselspieler, was exakt zwei mehr sind als in der vorherigen Spielzeit. Wegen eines Knorpelschadens hatte er damals die gesamte Hinrunde verpasst, insgesamt nur sechs Mal gespielt. Es sei ihm egal, ob er drei oder zehn Minuten spiele oder noch länger - "ich bin froh, dass ich helfen kann", sagte er. Er sei "wieder der Alte", fügte Schieber noch an, aber dieser Satz stimmte nur zum Teil. Die Hertha hat nur drei Zugänge empfangen im Sommer, aber Schieber ist eine Art neuer Spieler, ohne ein neuer Spieler zu sein.

Das gilt übrigens auch für Genki Haraguchi. Der Japaner, vor zwei Jahren zur Hertha gestoßen, hat eine Saison hinter sich, die rein statistisch schon auch ganz okay gewesen ist: 32 Spiele, zwei Tore, drei Vorlagen. Am Samstag kam Haraguchi diesen Werten bereits bedrohlich nahe, er bereitete beide Tore vor, und seinem Trainer fiel folgendes Lob ein: "Gegen Freiburg und auch heute kann man sagen: bester Mann." Dardai erinnerte sich an Videos, die Haraguchi zeigten, als er noch in Japan spielte: "Da hast du ohne Ende Tore und gute Aktionen nach vorne." Dardai selbst merkte es wahrscheinlich gar nicht. Aber sein Satz klang wie eine ernste Drohung an die Konkurrenz.

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