Hertha BSC gewinnt 3:0:"Der Typ ist Wahnsinn"

Hertha BSC gewinnt 3:0: Mark Fotheringham jubelt mit Dedryck Boyata nach dem Sieg gegen Hoffenheim.

Mark Fotheringham jubelt mit Dedryck Boyata nach dem Sieg gegen Hoffenheim.

(Foto: Andreas Gora/Imago)

Eine revitalisierte Hertha schlägt Hoffenheim 3:0 und verlässt die Abstiegsplätze. In Abwesenheit von Felix Magath steht dabei ein Co-Trainer im Fokus, der in Berlin in wenigen Tagen zur Kultfigur geworden ist: Mark Fotheringham.

Von Javier Cáceres, Berlin

Der erste Sieg der Berliner Hertha im laufenden Kalenderjahr war am Samstag nur ein paar Minuten alt, da war schon klar, dass es ein weiteres Ergebnis gegeben hatte. Hertha BSC hat eine neue Kultfigur: Mark Fotheringham, Assistenztrainer und am Samstag coronabedingt Vertreter von Felix Magath. Der 38-Jährige ist ein Kind der schottischen Arbeiterklasse und offenkundig Teil einer Fußballkultur, die sich nicht lange mit akademischen Feinheiten des Spiels aufhält. Taktik? Dreier-, Vierer-, Fünferkette? 4-1-4-1-System? Darüber wollte Fotheringham nicht reden. Weder vor dem Spiel, noch nach dem Spiel.

"Taktik und so, das interessiert mich alles nicht. Tschuldigung", sagte der Schotte. Arbeit, Präsenz, Leidenschaft, Mut, Intensität, Freude - das waren die Schlagworte, die er dieser Tage auf den Lippen trug. "Lasst die Handbremse weg!", rief er. Seine neue Mannschaft löste sie - in Abwesenheit vom "Boss", wie Fotheringham sagt, wenn er über Magath spricht. Denn der Boss konnte nur aus dem Hotel heraus begutachten - und vermutlich genießen -, wie die Hertha den 17. Tabellenplatz und damit einen direkten Abstiegsrang verließ und auf den Relegationsplatz kletterte.

Fotheringham coachte alle Herthaner mit Verve - sogar das überlebensgroße Plüsch-Maskottchen

Was derlei mit den Menschen machen kann, die sich der Hertha verbunden fühlen, konnte man im Olympiastadion eine Viertelstunde vor Schluss sehen. Und hören. Sehen, weil der Sektor der Ostkurve, in dem sich üblicherweise die Ultras tummeln, geflutet wurde. Zuletzt war er immer symbolisch verwaist geblieben - als Zeichen dafür, dass nicht alle ins Stadion dürfen. Nach dem 3:0 aber liefen Hunderte in den Ultras-Block und sangen mit dem Rest des Stadion das gleiche Lied, das sie schon vor zwei Wochen gegen Frankfurt zum Besten gegeben hatten: "Oh wie ist das schön." Mit einem Unterschied.

Was beim 1:4 noch beißender Spott war, klang nun nach Versöhnung, Freude, Stolz. Lerne: Der Ton macht die Musik. Und der hat sich bei der Hertha nicht nur auf den Rängen geändert. Sondern auch auf dem Platz. Durch Fotheringham, der auf dem Trainingsplatz die Stimme des Meisters ist und gegen Hoffenheim unentwegt und alle coachte. Sogar das überlebensgroße Plüsch-Maskottchen namens Herthinho. "Der Typ ist Wahnsinn", sagte Niklas Stark über Fotheringham.

Magath und Fotheringham, die einander aus gemeinsamen Tagen beim englischen Profiklub Fulham kennen, beerbten den am Sonntag beurlaubten Tayfun Korkut. "A shock Bundesliga role" sei den beiden zugefallen, schrieb The Courier, eine Zeitung, die in Fotheringhams Geburtsstadt Dundee vertrieben wird. Was die beiden dieser Tage feststellten: Dass Korkut eine Mannschaft hinterlassen hatte, die immerhin topfit war. Die Grundlagen waren also da, um so zu agieren, wie es die Hertha am Samstag gegen Hoffenheim tat: voller Energie. Und kompakt.

Die Hoffenheimer ließen zwar erkennen, dass sie um ein kultivierteres Spiel bemüht waren. Aber jeder Ballbesitz der Gäste mündete irgendwann in einen Nahkampf, und da behielten die Berliner oft die Oberhand. Die ersten Abschlüsse der Partie trugen die Unterschriften von Niklas Stark (5. Minute), Marko Richter (8.) und Ishak Belfodil (18.). Erst danach zeigten die Berliner einen Anflug von Verwundbarkeit.

Hertha BSC gewinnt 3:0: Niklas Stark erzielt das 1:0 nach einem Freistoß.

Niklas Stark erzielt das 1:0 nach einem Freistoß.

(Foto: Taeger/Fotostand/Imago)

Wie bei einem langen Pass von Kevin Akpoguma auf Jacob Bruun Larsen, der sich hinter die letzte Abwehrkette der Berliner geschlichen hatte, dann aber verzog. "Da hat unsere Kette ein bisschen geschlafen", meinte Fotheringham. Was vor ein paar Tagen noch Anlass gewesen wäre, destabilisierende Wirkung zu haben, zeigte diesmal keine nachhaltigen Effekte. Im Gegenteil: In der 39. Minute fiel das Führungstor für die Hertha - durch einen Standardtreffer, der gefühlt der erste war seit dem Mauerfall. Plattenhardt schlug eine Flanke in den Strafraum, Niklas Stark vollendete per Kopfballaufsetzer zum 1:0-Halbzeitstand.

Vor der Bahn kommt es zu Verbrüderungsszenen: Zwischen dankbaren Hertha-Fans und Schotten im Kilt

In der Pause schaltete sich Magath zu. Per Facetime und mutmaßlich mit einem frisch gebrühten Tee. Fotheringham staunte über die tollen Sachen, die man nun mit der modernen Technik machen kann. Er verweigerte jede Auskunft zu inhaltlichen Dingen, die Magath sagte, unter Verweis auf ein Schweigegelübde, das in seiner Heimat gelte. "In Schottland sagen wir immer: 'Was in der Kabine gesagt wird, bleibt in der Kabine.'" Dafür petzte Marco Richter: "Die Halbzeit verlief ruhig. Er hat uns runtergebracht und wusste genau, was er sagt. Er hat uns gepusht." Wie das auch immer vonstatten ging: Es zeigte Ergebnisse.

Denn in der zweiten Halbzeit versuchten die Hoffenheimer zwar, an der Statik der Partie zu zerren. Nur: Auch nach einem gar nicht mal ungefährlichen Freistoß von Nationalspieler David Raum blieb die Hertha eine Mannschaft, die im Gegensatz zu den vergangenen Monaten nicht nach Alibis suchte, sondern in jeder Lage nach dem Ball. Allen voran der kleine, giftige Argentinier Santi Ascacíbar und - man höre und staune - dessen französischer Mittelfeldkollege Lucas Tousart.

Sie standen sinnbildlich dafür, dass Hertha nicht einen Zentimeter Terrain verloren gab und eine Entschlossenheit zeigte, die man lange vermisst hatte. Noch ungeheuerlicher war aber, dass auch die Treffer zwei und drei Standards entsprangen: Beim 2:0 schlug Plattenhardt den Ball auf Marc-Oliver Kempf, der per Kopf auf Belfodil ablegte. Der frühere Hoffenheimer drückte den Ball über die Linie (63.). Beim dritten Tor verlängerte Kapitän Dedryck Boyata per Kopf; diesmal war es Tousart, der den Ball Richtung Tor bekam (74.).

Damit war Hoffenheim endgültig besiegt, weil die Hertha, auch das war neu, 90 Minuten lang konzentriert blieb. Das war die eine Seite. Die andere, dass nun so etwas wie Hoffnung in den Berliner Westend zurückgekehrt ist - und neue Freundschaften entstanden sind. Ein paar Schotten hatten sich - im Kilt! - ins Olympiastadion begeben und wurden vor der S-Bahn von Hertha-Fans umarmt. Aus Dankbarkeit. "Ich bin sehr stolz auf die Jungs", sagte Fotheringham, und versicherte, dass die Mannschaft noch mehr in den Beinen habe. Es heißt, dass demnächst ein Kurz-Trainingslager ansteht. Magath mag in Quarantäne sein. Aber es kann kein Zweifel mehr bestehen: Er ist zurück. Vorerst triumphal.

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