Hertha BSC erreicht Relegation:"Wir freuen uns des Lebens!"

Lesezeit: 3 Min.

Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit schwenkt Fähnchen im Stadion, Herthas Trainer Otto Rehhagel kleidet Banalitäten in Weisheiten und die Spieler Raffael und Änis Ben-Hatira entdecken den Altruismus. Hertha BSC ist bereit für die Relegation.

Max Bosse, Berlin

Als Otto Rehhagel Ende Februar Trainer bei Hertha BSC wurde, da war bereits zu erwarten, dass mit einigen Überraschungen zu rechnen sein würde. Als dann in der entscheidenden Partie am 34. Spieltag plötzlich ein Spieler aus der Reservemannschaft in der Berliner Startformation auftauchte, der nicht einmal im Stadionheft aufgeführt war, staunte dennoch so manch einer im Olympiastadion.

Bereit für die Relegation: Berlins Manager Michael Preetz und Trainer Otto Rehhagel. (Foto: REUTERS)

Während Fabian Holland jedoch nicht negativ auffiel, wartete nach Spielende eine andere, unangenehmere Überraschung auf manchen Zuschauer. Während die Fans im Stadion gegen den drohenden Abstieg ansangen, verteilten Mitarbeiter des städtischen Ordnungsamtes Strafzettel an Falschparker.

Der Ärger darüber wird sich dennoch ausnahmsweise in Grenzen gehalten haben. Mit dem 3:1 (1:0) gegen Hoffenheim hat der Hauptstadtclub den direkten Abstieg doch noch vermieden und die Relegation gegen den Drittplatzierten der zweiten Liga erreicht.

Die Herthafans dürften es daher mit Rehhagel gehalten haben, der auf die Frage nach einer Nichtabstiegsprämie antwortete: "Wir sprechen heute nicht über Geld, wir freuen uns des Lebens." Überhaupt war Rehhagel nach dem Sieg in seinem Element und demonstrierte wieder einmal, dass er eines richtig gut kann: Banalitäten in Weisheiten zu kleiden.

Er könne als Trainer nicht zwei oder drei Jahre warten, bis seine Mannen verstünden, wann sie Individualarbeit leisten müssten und wann Teamarbeit, sagte er nach dem Sieg gegen Hoffenheim. Er dachte dabei vor allem an seine Kreativspieler Raffael und Änis Ben-Hatira, die gerne mit dem Ball am Fuß um den Gegner kurven, dabei ihre Mitspieler vergessen.

So gesehen war es ein Glücksfall, dass die beiden nur zweieinhalb Monate nach Rehhagels Installation von einem Geistesblitz der Erkenntnis getroffen wurden. Im Moment, in dem der Ball die Torlinie des Gegners überquert, wird Einzelarbeit zum Ertrag für das Kollektiv - ganz automatisch.

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Als Hoffenheims Torhüter Tom Starke nach einer knappen Viertelstunde, zum ersten Mal von Ben-Hatira bezwungen, kopfüber im Tornetz hing, schwenkte Klaus Wowereit selig sein Hertha-Fähnchen. Seit Januar 2004 ist er Mitglied von Hertha BSC. Damals stand der Fußballverein am Tabellenende der Bundesliga, der Bürgermeister wollte ein Zeichen setzen.

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Ob der Beitritt einst wirklich ausschlaggebend war, ist nicht nachzuhalten; fest steht aber, dass die Hertha damals die Klasse hielt und der 1.FC Köln anstatt dessen absteigen musste. Acht Jahre später waren sich in Berlin jedoch die meisten sicher, dass es nun genau andersherum kommen würde.

Der glückliche Treffer gab den Berlinern den verlorenen Glauben an sich selbst zurück. Denn Torchancen hatten sich die Herthaner in den vorangegangen Spielen stets erarbeitet, diese dann aber zumeist geradezu grotesk vergeben. "Ausschlaggebend war, dass wir heute die erste Möglichkeit genutzt haben", sagte Co-Trainer Ante Covic dazu später.

Ausschlaggebend war aber auch, dass die Gäste aus Hoffenheim trotz des von den Berliner Medien genährten Rosenkriegs zwischen ihrem Trainer und ehemaligen Hertha-Coach Markus Babbel nichts gegen einen Verbleib von Hertha in der Bundesliga zu haben schienen. Auch Ben-Hatiras zweitem Tor (78.) sowie dem 3:1 durch Raffael in der Nachspielzeit gingen freundliche Einladungen der Gäste voraus.

Zudem erleichterte Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer den Berlinern ihre Aufgabe. Kurz vor der Pause schubste Berlins Kapitän Levan Kobiashvili zunächst Hoffenheims Ryan Babel, sodass dieser Peter Niemeyer umrempelte. Dann fiel Kobiashvilli Sekunden später selbst um, als sich Babel wieder vom Boden erhob. Der Schiedsrichter bedacht beide Aktionen mit Gelb - für Babel.

Hoffenheim war folglich eine Halbzeit lang in Unterzahl. Trotzdem gelang Marvin Compper der zwischenzeitliche Anschluss (85.). Anders als in den vorangegangenen Spielen hielten Rehhagels Spieler dem enormen Druck dieses Mal aber stand und verdienten sich so die Chance, in der Relegation ihre Bundesligareife unter Beweis zu stellen.

Die Leistung gegen Hoffenheim macht Mut, wirkliche Zuversicht verbreitete sie nicht. Egal, ob Düsseldorf, St. Pauli oder Paderborn, so zurückhaltend und höflich wie Hoffenheim wird keiner der potentiellen Gegner am kommenden Donnerstag im Olympiastadion auftreten.

Außerdem wird ausgerechnet Berlins bester Torjäger fehlen. Michel-Pierre Lasogga riss sich am Samstagnachmittag sein vorderes Kreuzband und reiht sich in Herthas lange Verletztenliste ein. Immerhin: auf die Unterstützung durch ihre Fans kann das Team zählen. Die lassen sich weder von den vielen schwachen Leistungen dieser Saison noch von Strafzetteln abhalten. 5500 Karten gingen sofort nach Abpfiff über die Theken der Ticketschalter im Stadion.

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