Süddeutsche Zeitung

Hertha BSC:Die Mauer bricht

Trainer Jürgen Klinsmann verordnet Hertha BSC gegen die Bayern eine hochgradig defensive Ausrichtung - doch es mangelt an Kontern.

Von Javier Cáceres, Berlin

Ein bisschen zappeln ließen Deutscher Fußball-Bund (DFB) und Deutsche Fußball Liga (DFL) Jürgen Klinsmann doch. Erst am Samstagvormittag bestätigten beide Verbände, dass die Trainerlizenz, die der frühere Bundestrainer und US-Nationalcoach im Jahr 2000 erworben hatte, auch aktuell Gültigkeit besitze und Hertha also mit Beginn der Rückrunde die Lizenzordnung vollumfänglich einhält. Bis in den Freitag hinein hatten Klinsmann und die Hertha Unterlagen verschickt. Am Ende übermittelte auch der US-Verband direkt Nachweise der Fortbildungsmaßnahmen Klinsmanns nach Deutschland, Lizenztrainer müssen alle drei Jahre belegen, dass sie ihre Kenntnisse aufgefrischt haben.

Und so saß Klinsmann am Sonntag als ganz legaler Coach auf der Trainerbank der Hertha. Nur mit der Fortune haperte es, die Bayern siegten 4:0. Es war die heftigste Niederlage der Hertha gegen die Bayern seit dem 0:6 aus der Saison 2011/12. Damals taumelte der Klub unter Otto Rehhagel der zweiten Liga entgegen. "Das sieht jetzt natürlich etwas unglücklich aus", sagte Klinsmann und deutete damit an, dass sein Team unter Wert geschlagen wurde.

Als Klinsmann über die Lautsprecher angekündigt wurde, gab es im Olympiastadion auch ein paar Pfiffe, und ob sie wirklich nur aus dem Bayern-Block kamen, muss dahingestellt bleiben. Klinsmann hatte vor einem Jahrzehnt den FC Bayern trainiert; am Ende einer Saison, die er nicht mehr als Bayern-Angestellter erlebte, sondern in seiner Wahlheimat USA, wurde Wolfsburg deutscher Meister. Sollte es in Berlin tatsächlich Skepsis gegenüber Klinsmann geben, der im Gefolge des Großinvestors Lars Windhorst in die Hauptstadt kam, dann kann das kaum an den Resultaten liegen, die er seit November erzielt hat, als er den glücklosen Ante Covic als Trainer ersetzte. In seinen ersten fünf Spielen bei der Hertha blieb er vier Mal ungeschlagen - und hatte die Berliner, so schien es, schon aus der akuten Abstiegsgefahr befreit. Nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel.

Denn Klinsmann vollbrachte dies mit einer Betonung der Defensive, die durchaus im Widerspruch steht zu den Superlativen, die zuvor oft ins Feld geführt wurden. Auch im Widerspruch zum Ruf des offensiven Innovators des deutschen Fußballs, der ihm vor allem im Ausland vorauseilt. Und: Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, als Hertha gegen den FC Bayern mutige und auch vergleichsweise erfolgreiche Auftritte hingelegt hatte. In der Saison 2018/19 gab es gar ein 2:0 durch Tore des desavouierten Kapitäns Vedad Ibisevic und des zu Norwich City abgeschobenen Ondrej Duda. Am Sonntag aber war das anders.

Wie von Klinsmann angedeutet, überließ Hertha den Bayern Ball und Initiative, verlagerte den Schwerpunkt in die Nähe des eigenen Strafraums. Hertha erledigte diese Aufgabe mit Disziplin, so dass Klinsmann kaum an der Seitenlinie in Erscheinung trat. Also ob es nicht viel zu coachen gab. Herthas offenkundiger Plan freilich, die Kräfte für Konter sparen, ging nur sporadisch auf, Gefahr war nur andeutungsweise zu spüren, echte Chancen hatte Hertha mit Ausnahme eines Kopfballs des seit Monaten glücklosen Stürmers Davie Selke nicht. Gegen Ende musste Bayerns Torwart Neuer gegen den eingewechselten Marius Wolf retten - da stand es bereits 0:4.

Kritik äußerte Klinsmann an der Elfmeter-Entscheidung, die zum 0:2 führte, sie sei "der Knackpunkt" gewesen. Der Schiedsrichter hatte auf Strafstoß entschieden, weil Klünter den Bayern-Profi Goretzka im Strafraum am Ärmel zog. Auf so einen Elfmeter hoffe man auch mal, sagte Klinsmann, "das wäre sehr hilfreich". So viel Selbstvertrauen habe er, dass man den Bayern noch Paroli geboten, womöglich sogar den Ausgleich erzielt hätte. Ansonsten gelte jedoch: Gegen den FC Bayern könne man mal verlieren.

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SZ vom 20.01.2020
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