Hertha BSC:Der Vorrechner brummt

Hertha BSC: Partykiller im Anflug: Stefan Bells (3. von rechts) Siegtreffer zum 2:1 durchkreuzt die Pläne der Berliner, im eigenen Stadion vorzeitig den Klassenverbleib zu sichern.

Partykiller im Anflug: Stefan Bells (3. von rechts) Siegtreffer zum 2:1 durchkreuzt die Pläne der Berliner, im eigenen Stadion vorzeitig den Klassenverbleib zu sichern.

(Foto: Andreas Gora/Imago)

Mit Felix Magath als Trainer hat Hertha BSC in sieben Spielen fast ein Drittel aller Saisonpunkte gesichert. Nach der Niederlage gegen Mainz könnte seine Berliner Rettungsmission aber theoretisch noch scheitern.

Von Javier Cáceres, Berlin

Fußballspiele werden mitunter auch in Presseräumen und vor Mikrofonen entschieden. Wer wüsste das besser als Felix Magath. Am Samstagabend saß Magath, 68, Trainer des Bundesligisten Hertha BSC, in den Katakomben des Berliner Olympiastadions und sortierte sowohl das, was gerade geschehen war, als auch das, was da noch kommen sollte oder müsste oder muss.

Hertha hatte gerade 1:2 gegen den FSV Mainz 05 verloren und damit einen Matchball vergeben. Das heißt: Magaths Team hatte die Chance liegenlassen, sich aus eigener Kraft aus dem Abstiegskampf zu befreien und eine große Abschlussparty vor nahezu vollen Rängen zu feiern. Andererseits bedeutete das Ergebnis nicht, dass die Möglichkeit des Klassenverbleibs entscheidend geringer geworden wäre. Magath brummte.

Am Freitag musste sich Arminia Bielefeld dem VfL Bochum 1:2 geschlagen geben: Herthas direkter Abstieg war damit schon einmal vermieden. Den Relegationsplatz, der nach Saisonende zwei Entscheidungsspiele gegen den Dritten der 2. Bundesliga mit sich bringt, belegten die Stuttgarter. Vor der sonntäglichen Visite beim Meister FC Bayern München lagen die Schwaben vier Punkte hinter den Berlinern zurück. Und das wiederum ließ vermuten, dass nach menschlichem Ermessen die Chancen auf eine Rettung der Hertha weit besser lagen als die der Stuttgarter. Papperlapapp, sagte Magath sinngemäß. "Als Profi, für den ich mich halte, bereite ich mich auf den schlechtesten Fall vor", erklärte er. "Es hat nur zu einer Niederlage gereicht, deswegen gilt es für uns, ab heute uns auf die Relegation vorzubereiten." Und das bedeutete, dass die drei freien Tage, die Magath der Mannschaft in Aussicht gestellt hatte, kommissarisch annulliert waren.

Hertha verharrt auf Platz 15 - doch Magaths Wirken geht über die Statistik hinaus

Magath hat in seiner langen Karriere nicht nur Fußballprofis nach zu hartem Training, sondern wahrscheinlich auch Pferde kotzen sehen. Und in der Tat: Warum sollten die Stuttgarter nicht in München gewinnen? Zumal der bayerische Serienmeister eine Woche zuvor gegen Mainz verloren hatte und danach zu großen Teilen nach Ibiza ausgerückt war, um den Titel zu begießen.

Mit der Möglichkeit eines Dreipunkteerfolgs der Hertha am letzten Spieltag in Dortmund dürfe hingegen niemand ernsthaft rechnen, der die Tabelle liest, sagte Magath einigermaßen brüsk: "Ich habe ja keine Ahnung, wie Sie jetzt Fußball beurteilen", zischte er einen Fragesteller an, der wissen wollte, ob der Coach seiner Mannschaft nichts zutraue, "aber ich glaube, wir spielen am nächsten Samstag gegen den Tabellenzweiten, wir sind Tabellenfünfzehnter; und unbesehen der Namen, die dahinterstehen, glaube ich, dass der Tabellenzweite gegen den Tabellenfünfzehnten mehr Spiele gewinnt als verliert."

Magath hat die Hertha im März vor dem 27. Spieltag übernommen. Er kann nun darauf verweisen, dass er seither zehn von 21 möglichen Punkten gesichert hat. Das ist nicht überragend. Aber immerhin doch knapp ein Drittel jener 33 Punkte, die Hertha insgesamt addieren durfte. Hertha stand auch damals auf Tabellenplatz 15. Doch was Magath bewerkstelligt hat, geht über die Statistik hinaus. Denn als ihm die Mannschaft seines Vorgängers Tayfun Korkut überantwortet wurde, lag sie, bildlich gesprochen, apathisch darnieder. Magath selbst erwähnte wiederholt, dass von allen Rettungsaktionen, die er über die Jahre angenommen hat, die Berliner Mission als die schwierigste zu klassifizieren sei. Und das war wohl mehr als Koketterie. Zu Beginn seiner Aufgabe war jedenfalls nicht unbedingt damit zu rechnen, dass die Hertha am 33. Spieltag vor der Chance stehen würde, das nach unten korrigierte Ziel namens Klassenverbleib vorzeitig zu sichern.

Wie Hertha BSC dem Krebsgang treu bleibt, ist anderseits natürlich ein Witz eingedenk der 374 Millionen Euro, die der Finanzinvestor Lars Windhorst vor drei Jahren in die Hertha steckte. Die Probleme sind im Übrigen nicht ausgestanden. Auch am Samstag prangte in der Ostkurve ein Banner, das langsam zu verwittern droht. "Windhorst und Gegenbauer raus", steht dort geschrieben. Werner Gegenbauer, der Hertha-Präsident, muss befürchten, bei der Mitgliederversammlung am 29. Mai abgewählt zu werden; ein erster potenzieller Kandidat auf Gegenbauers Nachfolge hat sich bereits in Stellung gebracht.

Aussöhnung von Team und Fans vor der Ostkurve

Dafür war an anderer Stelle Entspannung zu beobachten. Vier Wochen nach dem von Herthas radikalsten Ultras heraufbeschworenen Eklat haben die Berliner Profis nun ihre Fans begnadigt. Als Reaktion auf die Aufforderung der Ultras an die Hertha-Mannschaft, das Trikot nach der 1:4-Derby-Pleite gegen den 1. FC Union auszuziehen, hatten sie ihre Anhänger mit demonstrativer Missachtung gestraft. Am Wochenende gingen sie vor dem Spiel in die Ostkurve, um ebenso demonstrativ den Schulterschluss zu üben.

Aber die erhoffte Party blieb aus, Mainz 05 durchkreuzte die Pläne. Silvan Widmer brachte die Mainzer in Führung (25.), weil Hertha auf der linken Abwehrseite mindestens ebenso dramatisch patzte wie Torwart Marcel Lotka, der am ersten Pfosten den Ball durchrutschen ließ. In der 81. Minute traf Stefan Bell (81.) zum 2:1-Siegtreffer der Mainzer, der zwischenzeitliche Ausgleich durch Davie Selke (45.+5, Foulelfmeter) war damit bedeutungslos geworden, zum offenkundigen Ärger von Magath, dessen Vertrag bis Saisonende läuft.

Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Zusammenarbeit verlängert wird, Manager Fredi Bobic umschiffte jedoch eindeutige Aussagen. "Wir wissen noch nicht, von was wir reden, wir sind noch nicht durch. Wenn wir durch sind, werden wir uns zusammensetzen", formuliere er vage. In den Medien werden bereits erste Nachfolgekandidaten gehandelt, etwa Sandro Schwarz, derzeit noch bei Dynamo Moskau angestellt, oder André Breitenreiter, der gerade in der Schweiz den FC Zürich zum Meistertitel geführt hat.

Und Magath? Der hätte nach eigenen Angaben keine Probleme damit, bis März 2023 zu warten, um sich an einer neuen Rettungsmission zu versuchen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: