Ein spätes Joker-Tor von Nils Petersen (78.) hat den SC Freiburg vor einer Sünde bewahrt. Vor der Sünde, das Olympiastadion von Berlin mit weniger als drei Punkten im Gepäck zu verlassen. Sie umtänzelten die Berliner lange Zeit wie eine Musical-Truppe, nach durchchoreografierten Bewegungsmustern, orientierten sich dabei aber eher am Tanztheater Wuppertal von Pina Bausch, und weniger an den blutrünstigen Sharks aus West Side Story. Nach dem Ausgleich durch Krzysztof Piatek (70.), der die Führung durch Philipp Lienhart (17.) egalisierte, hätte der ebenfalls eingewechselte Jurgen Ekkelenkamp fast das 2:1 für die Berliner erzielt. Er traf jedoch nur die Querlatte.
Freiburg hat nun sieben Spiele in Serie nicht verloren und damit den besten Saisonstart in der Bundesliga-Geschichte des Klubs hingelegt. Hertha hat bislang nur sechs Zähler aufzuweisen. Das reicht allenfalls, um Personaldebatten nicht sieden zu lassen. "Es ist nicht so, dass wir jetzt in eine Panik verfallen müssen", sagte Herthas Manager Fredi Bobic.
Der Berliner Trainer Pal Dardai konnte personell auf mehr Ressourcen zurückgreifen als zuletzt. Das bedeutete unter anderem, dass die neulich noch verletzten Dedryck Boyata, Kevin-Prince Boateng und vor allem Stevan Jovetic von Beginn an spielen konnten. Jovetic, ein in die Jahre gekommener, aber faszinierend talentierter Spieler, hatte auch zwei verheißungsvolle Szenen, in der 7. und in der 15. Minute, die vielleicht nur deshalb nicht zu Toren führten, weil ihm Spielpraxis fehlt.
Dann aber entpuppten sich "viele positive Ansätze", die Bobic hinterher gesehen haben wollte, erst einmal als ein Soufflé, das lautlos in sich zusammenfiel. Nach einer Ecke Freiburgs, die an den ersten Pfosten mehr segelte denn flog, sprang Philipp Lienhart entschlossener als Davie Selke - und köpfelte den Ball zur Führung ins Tor. "Das war zu einfach", hieß es hinterher unisono aus dem Lager der Berliner, die nun schon 20 Gegentore kassiert haben - acht davon nach Standards.
Die Hertha verströmt so gut wie keine Gefahr
Was danach folgte, wirkte wie die Wiederkehr der Dämonen der Vorwoche, als Hertha in Leipzig mit 0:6 unterging. Nach und nach verschwand Spieler um Spieler von der Landkarte; Suat Serdar und Maxi Mittelstädt sollten nach der Partie monieren, dass man zu defensiv agiert habe. Zog man einen Distanzschuss von Marco Richter ab, der sehr knapp am Tor vorbeistrich (27.), so verströmte die Hertha keinerlei Gefahr mehr. Serdar zählte zu den wenigen Spielern, die sich erkennbar gegen die drohende Niederlage stemmten. Die anderen? Schienen zunehmend und vor allem mit sich selbst beschäftigt zu sein.
Je länger die Partie dauerte, desto mehr wurde die um sich greifende Verunsicherung zu einem allgemeingültigen Zustand. Der Hertha misslangen die essenziellen Dinge des Spiels. Gemessen daran wirkte die Leistung der Freiburger fast schon bieder. Sie schienen nicht zu riechen, dass ihr Gegner blutete. Nicht einmal, als auf den Rängen der Missmut zu einem Chor anschwoll: "Wir woll'n Euch kämpfen seh'n ...!", rief das mit rund 18 000 Zuschauern gefüllte Stadion.
Erst nach der Pause kam bei Hertha ein anderer Zug hinein. Davie Selke, der nur wegen einer klaffenden Platzwunde am Kopf aufgefallen war, und der neuerlich indisponierte Marton Dardai (Verdacht auf Muskelfaserriss) blieben zur Halbzeit in der Kabine; dafür kamen Krzysztof Piatek und Peter Pekarik. Zur 64. Minute hatte Dardai dann auch schon sein Wechselkontingent erfüllt, weil Dennis Jastrzembski, Jurgen Ekkelenkamp und Maximilian Mittelstädt für Richter (Pferdekuss), Boateng (nicht bereit für 90 Minuten) und den nach seiner Wadenverletzung noch nicht völlig wiederhergestellten Jovetic kamen. Und siehe: Es folgten zehn Minuten, in denen die Hertha drängte - und dem Abgrund zu entrinnen schien.
Nils Petersen trifft per Fallrückzieher für Freiburg
Nach einem resoluten Einsatz von Serdar im Mittelfeld spielte Mittelstädt von der linken Flanke einen präzisen Pass auf den unbewachten Piatek, der aus sieben Metern einschoss. Als aber die Hertha alles in der Hand hatte, die Nachsichtigkeit der Freiburger zu strafen, ließ sie sich neuerlich bei einer Standardsituation düpieren. Höfler verlängerte eine Ecke von Günter per Kopf; der Ball sprang im Fünfmeterraum an den Six-Pack von Boyata, diesen Abpraller jagte der gerade eingewechselte Nils Petersen per Fallrückzieher ins Netz. Das 30. Joker-Tor in Petersens Karriere war gleichbedeutend mit dem Endstand. "Wir dürfen zu Hause nicht zwei Standardtore kriegen. So gewinnen wir kein Spiel", sagte Serdar. Auch Dardai ärgerte sich: "Ich kann nicht mitspielen und den Ball wegköpfen", sagte der Coach nach Herthas schlechtestem Saisonstart seit der Abstiegssaison 2009/2010.

Den Gesetzen der Branche zufolge, lenkt eine solche Ausbeute zwangsläufig den Blick auf den Trainer. Manager Bobic nahm den Debatten aber umgehend jede Schärfe. Dardai werde auch nach der nun beginnenden Länderspielpause Trainer bleiben und die Mannschaft auf das Spiel gegen Eintracht Frankfurt vorbereiten. "Weil die Leistung - das habe ich Pal auch gesagt - insgesamt in Ordnung ist", erläuterte Bobic, "auch wenn das Ergebnis nicht stimmt." Freiburgs Trainer Christian Streich wiederum entsagte nach einem Spiel, das er zu recht "durchschnittlich" nannte, jeder Euphorie. "Jetzt läuft es gut. Ich bereite mich darauf vor, wenn es nicht so gut läuft."