Hertha BSC:Erst ein Notfallplan, dann die Strategie

Hertha BSC: Letzter Ausweg Kündigung: Fredi Bobic ist nicht mehr Sportchef von Hertha BSC.

Letzter Ausweg Kündigung: Fredi Bobic ist nicht mehr Sportchef von Hertha BSC.

(Foto: Tom Weller/dpa)

Nach dem 0:2 im Derby gegen Union Berlin trennt sich Hertha BSC von Sportchef Fredi Bobic. Der Klub steht damit wieder vor einem Scherbenhaufen - und die zweite Liga rückt immer näher.

Von Thomas Hürner, Berlin

Hertha BSC ist am Sonntag um 13 Uhr Ortszeit mal wieder in eine neue Zukunft gestartet. Man kennt das ja im Berliner Westend: In schöner Regelmäßigkeit müssen die Klubverantwortlichen erklären, warum die Gegenwart so trist ist und in der jüngeren Vergangenheit mal wieder einiges schiefging. Und, klar: Warum schon bald - gewiss, gewiss - alles besser werden soll. Der Begriff "Verantwortliche", das ist dem fußballinteressierten Publikum auch gut bekannt, ist bei Hertha ohnehin eher als Variable denn als Konstante zu verstehen. Wer sich beim vergangenen Mal erklärte, muss das beim nächsten Mal noch lange nicht tun.

Und damit zurück zur Zukunft des Hauptstadtklubs. Mit der moderaten Verspätung von einer Minute traten am Sonntag vier Männer in den Pressesaal auf dem Berliner Olympiagelände, die für gewöhnlich eher im Hintergrund wirken und gemeinsam der nächsten Krisensituation begegnen wollen. Sie repräsentierten einen bunten Mischmasch jener Gremien, die in der Vereinsstruktur von Hertha von Relevanz sind: Außer dem Vereinspräsidenten Kay Bernstein saßen vorn auf dem Podium noch der Aufsichtsratschef Klaus Brüggemann, der Geschäftsführer Tom Herrich und der ehemalige Akademieleiter Benjamin Weber, der beim dauerkriselnden Klub die sportliche Verantwortung übernimmt. Vier Männer in kuscheliger Nähe zueinander. Ein symbolischer Schulterschluss?

Dass der bisherige Sport-Geschäftsführer Fredi Bobic in der Runde fehlte, war jedenfalls keine Überraschung, sondern der Ausgangspunkt der gesamten Veranstaltung. Bobic war am Samstagabend seines Amtes enthoben worden, der Verein versendete nur ein aufs Nötigste beschränktes Kommuniqué. Keine Danksagung, keine pflichtschuldige Würdigung seines Schaffens, auch keine Abschiedsworte von Bobic. Am Sonntag wurde zumindest in Teilen nachgeholt: Man sei im Guten auseinandergegangen, sagte Bernstein, der überdies Wert darauf legte, dass es sich nicht um eine "aktive Entscheidung" gegen Bobic, sondern vielmehr um eine bewusste Kursänderung hin zu einem neuen "Hertha-Weg" handele.

Soll heißen: Puritanischer und nachhaltiger als das in den vergangenen Jahren der Fall gewesen war. Dass die Demission von Bobic nur zwei Stunden nach dem gruseligen 0:2 gegen den Stadtrivalen 1. FC Union Berlin erfolgte, wurde von den Männern vorn auf dem Podium als reiner Zufall verkauft, der in keinem sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit der Derbyniederlage stehe.

Bobic lag bei den meisten seiner Trainer und Transfers daneben

Glauben musste man das nicht zwingend. Denn das letzte Spiel, in dem Bobic bei den Berlinern in Verantwortung stand, dürfte als ein symbolträchtiger Nachmittag in Erinnerung bleiben: Hertha bekam vom vermeintlich kleinen 1. FC Union einmal mehr vorgeführt, dass auch mit bescheidenen Finanzmitteln einiges drin ist, wenn man es nur schlau genug anstellt. Sage und schreibe fünf Derbysiege in Serie haben die Köpenicker mit jenem von Samstag nun angehäuft, darunter drei in den eineinhalb Jahren der Hertha unter Bobic.

Angesichts solch einer Bilanz konnte man aus Hertha-Sicht also fast schon froh sein, dass es nicht die nächste Klatsche setzte, wie neulich noch beim 0:5 gegen Wolfsburg. Doch die Lethargie in den Spielerköpfen, die Fantasielosigkeit in der Offensive, das Fehlen einer übergeordneten Spielidee - all das kann man Bobic anlasten. "Wir müssen uns restrukturieren", sagte der Präsident Bernstein und erntete dafür kollektives Kopfnicken seiner Gremienkollegen: "Wir haben ein Stück weit über unsere Verhältnisse gelebt. Jetzt müssen wir aus der Not eine Tugend machen."

Dabei war es ja Bobics erklärtes Ziel, aus dem wankelmütigen Hauptstadtklub wieder einen seriös geführten Bundesligisten zu machen, der sich wirtschaftlich und sportlich dem deutschen Mittelstand zugehörig fühlt. Das Ergebnis ist aus Hertha-Sicht jedoch maximal unbefriedigend: An Bobics erstem Arbeitstag stand Hertha auf Tabellenplatz 16, nun übergibt er auf Rang 17. Die finanziellen Rahmenbedingungen waren zwar schwierig, da die Millionen des Investors Lars Windhorst vor seinem Wirken bereits die Spree hinabgeflossen waren, ohne nennenswerte Substanz im Kader zu hinterlassen. Dem bei Eintracht Frankfurt zuvor umschwärmten Manager gelang es aber auch nicht, mit dem wenigen Geld kreative Transfergeschäfte abzuwickeln: Große Namen wie Stevan Jovetic oder Kevin-Prince Boateng frequentierten vor allem die Reha-Abteilung des Klubs. Und unter den eher kleinen Namen war bislang keiner dabei, der im Januar 2023 ein wenig größer wirkt.

Nur drei Siege konnte Hertha in der aktuellen Saison einsammeln - da ist die Zahl der Trainer, mit denen es Bobic versuchte, mittlerweile größer: Erst setzte der Manager die Vereinsikone Pal Dardai als Coach ab, dann lag er mit dessen Nachfolger Tayfun Korkut daneben. In der Vorsaison musste deshalb der Nothelfer Felix Magath den Last-Minute-Klassenverbleib in der Relegation bewerkstelligen. Auch wegen der permanenten Trainerrochade wurde nie ganz klar, für welchen Fußball der Verein mal stehen soll - und zu sehen war dann zumeist eine Hertha, die Fußball mit einer rigorosen Riegeltaktik verhinderte. Auch der Anfangseffekt des von Bobic vor der Saison als Coach installierten Sandro Schwarz ist verpufft. Weder bei den Ergebnissen noch in der B-Note wurden nachhaltige Fortschritte verzeichnet.

Die Gespräche mit der Investorengruppe 777 Partners befinden sich in der finalen Phase

Schwarz, so teilte es die Funktionärsrunde am Sonntag mit, genieße dennoch "100-prozentige Rückendeckung" der Gremien. Ein erneuter Trainerwechsel steht also erst mal nicht zu erwarten, doch davon abgesehen ist bei Hertha einiges in Bewegung. Kurz: Der Klub braucht einen kurzfristigen Notfallplan und befindet sich auf der Suche nach einer dauerhaften Strategie. Benjamin Weber, der Interimsnachfolger von Bobic als Führungskraft des Sportressorts, muss jetzt erst mal schauen, dass Hertha nicht noch tiefer stürzt. Bis zum 31. Januar ist das Transferfenster offen, frisches Geld wird er aber nicht zur Verfügung haben. Dafür erhält Weber aber wenigstens die Unterstützung des früheren Hertha-Profis Andreas "Zecke" Neuendorf, der sich als Bindeglied zur Mannschaft einfügen soll.

Weniger klar ist, wie es um die Bindung zwischen Verein und Großkapital steht. Die Gespräche mit der Investorengruppe 777 Partners, die sich für einen Einstieg bei Hertha interessiert, sollen zwar in die finale Phase eingetreten sein. Ein Scheitern des Geschäfts ist aber weiterhin möglich. "Wir hoffen, in zwei, drei Wochen etwas vermelden zu können", sagte der Hertha-Aufsichtsratschef Klaus Brüggemann. 777 soll sich beim Kaufpreis bereits mit dem Investor Windhorst einig sein, der über seine Tennor-Holding aktuell die Anteile an der Hertha-Profiabteilung hält. Laut Brüggemann gebe es vonseiten der möglichen neuen Anteilseigner aber "vollstes Commitment", den nun eingeschlagenen Hertha-Weg mitzugehen.

Seit dem Wochenende ist klar, dass das ein Weg ist, auf dem kein Platz mehr ist für Fredi Bobic.

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