Herausforderer von Magnus Carlsen:Der Techniker am Brett

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  • Fabiano Caruana gewinnt das Kandidatenturnier in Berlin und darf im Winter gegen Magnus Carlsen um den WM-Titel spielen.
  • Er ist damit der erste Amerikaner seit Bobby Fischer 1972.
  • Seine Großeltern sind gebürtige Italiener, er selbst kam in Miami zur Welt. Mit fünf begann er, Schach zu spielen.

Von Johannes Aumüller

Als Fabiano Caruana vor ein paar Jahren begann, sich in der Weltspitze des Schachsports zu etablieren, gab einer seiner Kontrahenten ein bemerkenswertes Interview. Ein schrecklicher Typ sei dieser Caruana, völlig introvertiert und weltfremd, er grüße und quatsche quasi nie und kenne nur Schach, Schach, Schach. So unglaublich viele Partien und Turniere spiele der unter dem Druck des fanatischen Vaters, das sei "Selbstmord fürs Gehirn".

Der Russe Sergej Karjakin war der Mann, der damals so hart urteilte. In den vergangenen zweieinhalb Wochen haben sich Karjakin und Caruana oft gesehen. Gemeinsam mit sechs anderen Großmeistern ermittelten sie in Berlin in einem Turnier den Herausforderer von Weltmeister Magnus Carlsen. Als es vorbei war, blieb Karjakin nichts anderes übrig, als Caruana zum "verdienten Sieg" zu gratulieren. Fünf Siege, acht Unentschieden, eine Niederlage, das war die Bilanz, einen Punkt lag Caruana vor der Konkurrenz. Und als erster Amerikaner seit Bobby Fischer 1972 kann er nun im November in London den WM-Titel erringen.

Traditionell ist gerade der Schachsport reich an Inszenierung und Überhöhung. Zu Zeiten, als Bobby Fischer gegen Spieler der Sowjetunion antrat, spiegelte sich der Ost-West-Konflikt auf dem Brett. Später ließen sich Duelle zwischen Routiniers und den Emporkömmlingen der Computer-Generation darstellen. Noch bei Carlsen versus Karjakin im Jahr 2016 schwang viel Politisches mit, weil der Russe aus seiner Sympathie für seinen Staatschef Wladimir Putin und dessen Vorgehen auf der Halbinsel Krim keinen Hehl machte.

Bei Carlsen gegen Caruana, dem diesjährigen WM-Duell, fehlt diese Ebene. Es wird ein Wettkampf zweier exzellenter Schachspieler, beide aus der gleichen Generation, beide aus dem Westen. Chef-Organisator Ilja Merenzon wies auf der Sieger-Pressekonferenz in Berlin selbst darauf hin, dass aus Marketingsicht vielleicht ein Duell Carlsens gegen Karjakin oder den Oldie Wladimir Kramnik mit seinem spektakulären Spielstil interessant gewesen wäre. Das hätte sich schlicht besser inszenieren lassen.

Zur Ablenkung ein Kinobesuch in Berlin

Bei Caruana spielt allenfalls die Hoffnung auf einen Schach-Hype auf dem großen und finanzstarken US-Markt eine Rolle. Für den 25-Jährigen ist es jedenfalls der bisherige Höhepunkt einer bemerkenswerten Biografie. Seine Großeltern sind gebürtige Italiener, er selbst kam in Miami zur Welt. Mit fünf begann er, Schach zu spielen. In seinen Teenie-Jahren zog die Familie nach Europa, um die Schach-Entwicklung des Nachwuchses zu forcieren. Caruana lebte in Madrid und Budapest und trat für Italiens Verband an; erst 2015 ging es wieder zurück in die USA. Schon früh holte er viele Wertungspunkte und hohe Positionen in der Weltrangliste, die Qualifikation für den WM-Kampf verpasste er beim letzten Kandidatenturnier noch knapp.

Natürlich waren Karjakins Schilderungen über Caruana von damals überzogen. Aber der Mann mit den dicken Brillengläsern und dem kurzen Lockenkopf kommt insgesamt eher unscheinbar daher. Emotionen zeigt er kaum, nicht einmal bei der Siegerehrung nach einem so wichtigen Erfolg wie jetzt in Berlin. Am verwegensten an ihm dürfte sein, dass er Led Zeppelin als seine Lieblingsband bezeichnet. Sein Spielstil passt dazu: Er agiert nicht so intuitiv und künstlerisch wie andere, sondern technischer und rationaler.

Jeder Schach-Großmeister verbringt viel Zeit vor dem Brett und am Computer, um sich vorzubereiten, aber bei Caruana scheint die Vorbereitung besonders akribisch zu sein. Für Freunde oder Bücher habe er kaum Zeit, bekannte er einmal. Aber beim Turnier in Berlin, versicherte er, gab es auch Stunden, in denen er gar nicht an Schach dachte. Nach seiner einzigen Niederlage war das, da ging er ins Kino und sah sich "Shape of Water" an. Danach habe er überraschend gut geschlafen und die letzten Runden viel freier aufspielen können.

© SZ vom 29.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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